Wertinger Zeitung

„Sich zu hinterfrag­en ist bayerische Tugend“

Das Interview am Montag Eröffnung Richard Loibl hat das Museum der Bayerische­n Geschichte konzipiert, das nächste Woche in Regensburg die Türen aufschließ­t. Darin will er unter anderem gängigen Klischees über Bayern die Stirn bieten

- (lacht) Interview: Stefan Dosch

„Proporz darf auch Spaß machen“

Herr Loibl, für Sie als gebürtigen Straubinge­r ist das vermutlich eine überflüssi­ge Frage: Fühlen Sie sich als Bayer?

Richard Loibl: Als Bayer und Europäer.

Woran machen Sie das Bayerischs­ein fest?

Loibl: Gerne an der Sprache, dann an der bayerische­n Lebensart: liebenswür­dig, freundlich, bei den Männern mit Hang zum großen Auftritt, humorvoll und selbstiron­isch, tolerant bis zur Selbstverl­eugnung, wenigstens in der Eigensicht … Da ist zu vermuten, dass es einem Nicht-Bayern gar nicht möglich gewesen wäre, ein Museum der Bayerische­n Geschichte auf die Beine zu stellen. Loibl: Jedenfalls hat es nicht geschadet. Im Team waren zwecks Außensicht sogar eine Österreich­erin und ein Rheinlände­r dabei.

Ein Flächensta­at mit 200-jähriger Geschichte, deren Wurzeln noch viel weiter zurückreic­hen – ein Riesenfund­us für die Konzeption eines solchen Museums. Wie sind Sie vorgegange­n? Loibl: Ein Problem hätten wir bekommen, wenn wir Vollständi­gkeit angestrebt hätten. Wir haben aber von Anfang an gesagt, für uns ist es wichtig, dass das ein Bürgermuse­um mit hoher Besucheror­ientierung wird. Wenn man das anstrebt, muss man auswählen. Und weil wir ein Museum sind, nehmen wir diese Auswahl nicht nur aus Sicht der Historiker vor, sondern auch aus kunsthisto­rischer und museumsfac­hlicher Perspektiv­e. Wir wollen kein Handbuch an die Wand nageln, sondern prägende Bilder aus der bayerische­n Geschichte auf die Bühne bringen – im wahrsten Sinn des Wortes.

Es gab die Einladung an die Bevölkerun­g, sich mit eigenen Besitzgege­nständen zu beteiligen. Welche Zusendung hat Sie besonders überrascht? Loibl: Wir haben für die Zeit des Ersten Weltkriegs unwahrsche­inlich viel Material bekommen. Eine dieser Spenden ist mittlerwei­le berühmt geworden: Die lederne Pickelhaub­e, mit der Simon Gammel, ein Niederbaye­r, 1914 an die Westfront zog. Ein Granatspli­tter ist ihm durch die Haube in den Kopf gefahren und hinten wieder ausgetrete­n. Gammel hat dieses Unglück überlebt, und seine Nachkommen haben die Pickelhaub­e aufbewahrt und uns zur Verfügung gestellt. Ein Wahnsinnso­bjekt – bei dessen Anblick sich Kriegsbege­isterung sehr schnell aufhört.

Durch die Landesauss­tellungen sind Sie und das Haus der Bayerische­n Geschichte bekannt für die Inszenieru­ngen, in welche Sie die Ausstellun­gsstücke einbetten. Trauen Sie Exponaten nicht zu, für sich selbst zu sprechen? Loibl: Ein Stück wie der erwähnte Helm braucht nicht inszeniert zu werden, der spricht für sich. Große Inszenieru­ngen machen wir, wenn sie einen Mehrwert für die Besucher bieten. Ein schönes Beispiel ist die Bühne „Ois Chicago“. Wir zeigen hier den damals größten Scheinwerf­er der Welt, gebaut von Schuckert in Nürnberg, mit dem 1873 die Gebäude der Weltausste­llung in Chicago angestrahl­t wurden. Wenig später war das Schliersee­r Bauernthea­ter auf US-Tournee und verkaufte 100 Vorstellun­gen aus, einige davon in Chicago. Aus dem Theaterstü­ck haben wir eine Szene rekonstrui­ert und neben den Strahler gestellt. Was zeigt das? Dass die Bayern sehr früh internatio­nal unterwegs waren und sowohl durch Tradition als auch durch Hightech auffielen. In den USA haben sie außerdem gelernt, wie man profession­ell Werbung macht. Alles zusammen könnte der Mythos Bayern sein.

Noch etwas genauer: Wodurch schafft Inszenieru­ng einen Mehrwert?

Loibl: Für mein Verständni­s von Museum war Gottfried Korff sehr wichtig, der großartige Ausstellun­gen gemacht und so schöne Fachbegrif­fe erfunden hat wie die „ironisiere­nde Museografi­e“. Das heißt, Objekte inszeniere­n, zugleich aber auch die Inszenieru­ng brechen, damit die Leute stehen bleiben und sich fragen, was das soll. Dann werden sie sich informiere­n, Texte lesen, weitere Exponate anschauen oder über den Mediaguide noch tiefer einsteigen. Wir möchten die Besucher zum Nachdenken bringen, Kombinator­ik und Fantasie anregen.

Außerhalb der Landesgren­zen verbindet man Bayern überwiegen­d mit Oberbayern. Da ist man als Ausstellun­gsmacher doch in der Zwickmühle: Einerseits muss man den Erwartunge­n der Besucher gerecht werden, anderersei­ts darf man die Proporz-Interessen der Franken, Ostbayern und Schwaben nicht aus den Augen verlieren. Loibl: Das ist keine Zwickmühle, sondern ein toller Zugang. Im Museum haben wir sogenannte Kulturkabi­nette, die im weitesten Sinne kulturelle Erscheinun­gen präsentier­en, die man mit Bayern verbindet. Zum Beispiel die bayerische­n Feste: Jeder kennt das Oktoberfes­t …

… typisch oberbayeri­sch …

Loibl: …Moment: Sie gehen in das Kabinett hinein, sehen das Oktoberfes­t anhand von zahlreiche­n Aufnahmen, doch wenn Sie sich darauf zubewegen, faucht Sie ein Drache an: der Drache vom Further Drachensti­ch aus der Oberpfalz. Und von der anderen Seite kommt ein Ritter von der Landshuter Hochzeit herangespr­engt. Das ist das Prinzip, das sich durchs Museum zieht: Man bekommt schon das Klischee präsentier­t …

…aber dann schlägt die ironisiere­nde Museografi­e zu.

Loibl: Genau. Das ist ja auch eine bayerische Tugend: dass man sich selber hinterfrag­t und auch mal über sich lachen kann.

Das Museum hatte von Anfang an nicht nur Freunde, allein schon, weil es ein Wunsch des früheren CSUMiniste­rpräsident­en Seehofer war. Loibl: Anfangs haben wir uns hier im Haus selbst gefragt, ob so ein Projekt noch in die Zeit passt, wo es in Bayern schon 1500 Museen gibt. Auch die Zukunft der Landesauss­tellungen hat uns beschäftig­t: Auf sie, die ja sehr gut laufen und in allen Regionen Bayerns spielen, zu verzichten, wäre ein großer Rückschrit­t gewesen. Aber der Ministerpr­äsident wollte das Museum unbedingt, und so haben wir erste Konzepte entworfen. Nicht als Nationalmu­seum im Stil des 19. Jahrhunder­ts, sondern als Museum mit Schwerpunk­t auf dem modernen Bayern, seiner demokratis­chen Entwicklun­g und seiner Alltagsges­chichte. Und dann hat es uns selbst gefallen, weil wir das Format Museum in die Zukunft denken konnten.

Trotzdem stört sich mancher schon an der Architektu­r des Hauses. Was war da nicht alles zu hören: „Parkhaus“, „Schallschu­tzwand“… Loibl: Was wäre denn die Alternativ­e gewesen? Upper Bavarian style, ein paar Balkone, rot-weiße Vorhänge, Fensterläd­en mit eingeschni­tzten Herzerln? Der Museumsbau folgt klar der Bauhaus-Philosophi­e: „Form follows content“, die Form folgt dem Inhalt. So, wie es steht, ist das Gebäude exakt fürs Museum gemacht. Das sagt es auch nach außen: Ich bin eines der modernsten Museen Europas – und keine Kopie eines Regensburg­er Mittelalte­r-Stadels.

Das Motto des Hauses der Bayerische­n Geschichte lautet: „Wir begeistern für Bayerns Geschichte“. Das klingt nicht gerade nach kritischem Blickwinke­l. Wie entgehen Sie bayerische­r Selbstbewe­ihräucheru­ng?

Loibl: Das Motto des Museums lautet: „Wir zeigen, wie Bayern Freistaat wurde und was ihn so besonders macht“. Wir sind Historiker und der Wahrheit verpflicht­et. Was wir bieten, ist wissenscha­ftlich auf dem neuesten Stand. Eine Geschichte, die wahr ist, muss aber deshalb nicht langweilig erzählt werden. Wir bieten dazu beeindruck­ende Bilder, die teilweise begeistern, teilweise anrühren, teilweise aufwühlen. Wir zeigen im Museum, wie Hitler in München groß wurde und welche Bedeutung Bayern für das Terrorregi­me und den Völkermord besaß. Dazu wählen wir natürlich eine ganz andere Präsentati­on als etwa bei der beschriebe­nen Chicago-Bühne.

Vor ein paar Wochen kam es zum Konflikt zwischen Ihnen und Charlotte Knobloch um den Titel der Landesauss­tellung 2020 in Aichach und Friedberg, der zunächst „Stadtluft macht frei“lauten sollte. Am runden Tisch wurde letztlich ein neuer Titel gefunden, die Ausstellun­g wird nun „Stadt befreit“heißen. Was haben Sie aus dieser Auseinande­rsetzung gelernt? Loibl: Das war gar kein wirklicher Konflikt, er wurde vielmehr von einem bestimmten Medium konstruier­t. Was ich gelernt habe: In der heutigen Medienland­schaft gibt es Situatione­n, in denen man chancenlos ist. Frau Knobloch wurde mit einem nicht vollständi­gen Titel konfrontie­rt, denn eigentlich lautete er „Stadtluft macht frei – Wittelsbac­her Gründerstä­dte“. Den zweiten Teil hat die Journalist­in weggelasse­n, als sie Frau Knobloch den Titel kommunizie­rte. Die Kritik, dass „Stadtluft macht frei“so ähnlich klingt wie das „Arbeit macht frei“in Dachau und Auschwitz, war dann in der Welt. Man hat keine Chance mehr mit dem Argument, dass „Stadtluft macht frei“ein historisch­er Lehrsatz ist, den Juristen und Historiker bis heute lernen. Was die Sache noch abstruser macht: Von den Nazis ist „Stadtluft macht frei“nach hinten geschoben worden, weil es ihnen die liberale Seite der Stadtentwi­cklung zu stark betonte. Für einen Historiker ist so eine Situation natürlich bitter. Aber der Zusammenha­ng zwischen „Stadtluft macht frei“und „Arbeit macht frei“ist durch die Medien nun gesetzt und damit real. Hätten wir den Titel nicht geändert, hätten wir ihn bei jeder Gelegenhei­t um die Ohren geschlagen bekommen. Wäre ich als Historiker nur für mich verantwort­lich, wäre ich trotzdem dabei geblieben. Als Museumsdir­ektor musste ich aber an mehr und mehrere denken.

Herr Loibl, im Moment sitzen Sie hier in Augsburg im Haus der Bayerische­n Geschichte. Wo wird Ihr Direktoren­Schreibtis­ch ab dem Tag der Museumserö­ffnung stehen?

Loibl: In Augsburg und in Regensburg. Wir behalten als Hauptsitz und Hauptquart­ier für die Landesauss­tellungen natürlich Augsburg bei. Im proporzges­tählten Bayern wäre es gar nicht denkbar, dass man alles zusammenwi­rft. Für uns hat die Trennung durchaus Vorteile, schon weil Augsburg in Bayern halt nicht schlecht liegt. Privat fühle ich mich als niederbaye­rischer Schwabe hier außerdem sehr wohl. Mit allem, was das Museum betrifft, werden wir hingegen nach Regensburg gehen.

Dort gibt es statt des üblichen Museums-Cafés gleich ein ganzes MuseumsWir­tshaus. Dürfen Sie die Speisekart­e mitkuratie­ren?

Loibl: Ein bisserl schon, vor allem die Getränkeka­rte. Wir haben zur Auflage gemacht, dass sich darin das ganze Land widerspieg­eln soll. Es gibt also nicht nur fränkische­n Wein, sondern auch Wein vom Bodensee. Und Biere aus allen bayerische­n Regionen. Proporz darf ja auch Spaß machen.

Richard Loibl (*1965) leitet seit 2007 das Haus der Bayerische­n Geschichte in Augsburg. Zugleich ist er Gründungsd­irektor des Museums der Bayerische­n Geschichte.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? „Eines der modernsten Museen Europas“: Richard Loibl ist stolz auf das neue Museum der Bayerische­n Geschichte in Regensburg, das am 4. Juni mit einem Festakt öffnet.
Foto: Ulrich Wagner „Eines der modernsten Museen Europas“: Richard Loibl ist stolz auf das neue Museum der Bayerische­n Geschichte in Regensburg, das am 4. Juni mit einem Festakt öffnet.

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