Vorschulkinder blockieren die Kitas
Bildung Seit diesem Jahr können Eltern allein entscheiden, ob sie ihren Nachwuchs in die Schule schicken oder nicht. Fast die Hälfte der Kinder bleibt ein Jahr länger im Kindergarten. Hunderte stehen ohnehin schon auf den Wartelisten
Augsburg In Dillingen bauen sie jetzt einen neuen Kindergarten. Modulbauweise, anders ist es nicht zu schaffen in der kurzen Zeit. Bis zum Herbst soll alles fertig sein. Denn im September kommt der Ansturm der verhinderten ABC-Schützen.
Bei der Einschulung ist in diesem Jahr nämlich alles ein bisschen anders als bisher: Kindergartenkinder, die zwischen Juli und September sechs Jahre alt werden, müssen noch nicht in die Schule, wenn sie und ihre Eltern das nicht möchten. Zum ersten Mal überhaupt können in Bayern Mütter und Väter allein entscheiden, ob ihr Kind Mathe und Deutsch in der Grundschule lernen oder lieber im Kindergarten noch ein Jahr spielen soll. Bisher mussten sie umständlich einen Antrag stellen, jetzt braucht es dafür keine Begründung mehr. 44 Prozent der Eltern verschieben deshalb die Einschulung. Für ganz Bayern heißt das: Von insgesamt 32 216 betroffenen Kindern werden 14171 nicht eingeschult.
Das Problem: Niemand hat diese Kinder kommen sehen. Viele Bürgermeister kritisieren, dass die Regelung mit dem neuen Elternwillen viel zu überhastet kam. Erst Ende Januar hatte Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) die Neuerung angekündigt. Zu einer Zeit, in der viele Kommunen ihre Planungen für das neue Schul- und Kindergartenjahr längst abgeschlossen hatten. Die Folge: Eltern, die verzweifelt bei einer Kita nach der anderen klopfen und befürchten, dass ihr Kind am Ende trotzdem keinen Platz bekommt. In München hört man von Wartelisten, auf denen selbst bei kleinen Kindergärten 200 Namen stehen.
Im Landkreis Aichach-Friedberg geht genau die Hälfte der spätgeborenen Kinder ab Herbst nicht zur Schule – einer der höchsten Werte in Schwaben. Es braucht 174 zusätzliche Kita-Plätze. Heuer sei es „besonders schwierig, alle Kinder unterzubringen“, heißt es aus der Presseabteilung des Landkreises. In einigen Kommunen sind die Engpässe noch nicht behoben.
In der Stadt Dillingen verschieben fast 70 Prozent der Eltern die Einschulung – so viele wie in kaum einer anderen Stadt im Freistaat. Die absolute Zahl ist gar nicht so groß: Von 39 betroffenen Kindern bleiben 27 länger im Kindergarten. Doch weil immer mehr Eltern mit jüngeren Kindern eine Betreuung wünschen, seit April der Freistaat Eltern jeden Monat 100 Euro Zuschuss für einen Kindergartenplatz gewährt und noch dazu wieder mehr Kinder geboren werden, geht es eben nur mit einem neuen Kindergarten. CSU-Oberbürgermeister Frank Kunz freut das Interesse einerseits: „Das spricht für die Atnoch traktivität unseres Angebots und die Familienfreundlichkeit“, sagte er unserer Redaktion. Gleichzeitig ärgert er sich darüber, dass die „große Politik“den Elternwillen „ohne jede Vorwarnung“eingeführt hat. Er ist heilfroh, dass auch die nötigen Erzieherinnen für den neuen Kindergarten schon gefunden sind – keine Selbstverständlichkeit in Zeiten des Fachkräftemangels.
Aus dem bayerischen Sozialministerium heißt es, „konkrete Problemfälle“seien aus dem Kommunen bisher nicht gemeldet worden. Franz Kunz wundert das nicht. „Jammern und Schimpfen bringt uns nicht weiter.“Er sieht jeden Tag, wie in den Kommunen stattdessen „die Ärmel hochgekrempelt“werden, um die zusätzlichen Plätze bis zum Herbst zu schaffen.
Der Sprecher von Familienministerin Kerstin Schreyer (CSU) erklärt: „Wir arbeiten mit dem Kultusministerium zusammen, um die Auswirkungen des Einschulungskorridors auf den Kita-Bereich so gering wie möglich zu halten.“Das Schulministerium will den Gemeinden ab dem nächsten Jahr mehr Planungszeit geben: Eltern müssen sich
In Dillingen verschieben 70 Prozent die Einschulung
Experte: Schule ist viel flexibler geworden
künftig schon Anfang April entscheiden, ob sie ihr Kind in die Schule schicken oder nicht. Bisher war der Stichtag Anfang Mai.
Wilhelm Martin, Leiter des Schulamts in der Rekord-Stadt Dillingen, hätte da noch einen anderen Vorschlag: Die Eltern sollten darüber nachdenken, ob ihr Nachwuchs das zusätzliche Kindergartenjahr wirklich braucht. Lehrer hätten mit allen Eltern Beratungsgespräche zu diesem Thema geführt. „Unser Eindruck war aber, dass viele schon mit dem festen Entschluss gekommen sind, ihr Kind nicht einschulen zu lassen.“Dabei ist der Unterricht Martin zufolge ganz anders, als ihn die Mütter und Väter selbst von früher kennen. Schule bedeute heute nicht mehr, „dass die Kinder im Gleichschritt durch das Schuljahr marschieren“. Der Lehrplan für die ersten beiden Grundschuljahre sei sehr flexibel. „Die Lehrer unterrichten heute viel individueller, nehmen Rücksicht auf das einzelne Kind und seine Lerngeschwindigkeit. Da könnten die Eltern schon ein bisschen mehr Vertrauen in unsere Lehrkräfte haben.“