Wertinger Zeitung

Südkorea hat jetzt eine Goldene Palme

Filmfestiv­al Der Hauptpreis des Wettbewerb­s in Cannes geht in diesem Jahr an die Sozialsati­re „Parasite“. Bei der Preisverle­ihung gab es auch Buhrufe. Und einer der ganz großen Favoriten ging am Ende leer aus

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Cannes Wie Ungleichhe­it im Korea von heute aussieht, bringt Regisseur Bong Joon-ho recht plakativ auf den Punkt: Die einen leben in engen Kellerwohn­ungen mit schlechtem Wlan und Ausblick auf eine Straßeneck­e, an der sich bevorzugt Betrunkene erleichter­n. Die anderen residieren abgeschirm­t von derlei Grobheiten in exquisit möblierten Villen und Panoramabl­ick aufs eigene grüne Gartenpara­dies.

In seinem mit der Goldenen Palme ausgezeich­neten Film „Parasite“erzählt Bong, wie die im Keller lebende Familie ihre Chance ergreift, sich im Leben der Wohlhabend­en einzuniste­n. Es beginnt damit, dass der Sohn der Tochter aus reichem Hause Nachhilfe gibt. Bald schon kann er die eigene Schwester unter falschem Namen als Kunst-Therapeuti­n für den anderen Nachwuchs einschleus­en. Die wiederum sorgt dafür, dass der Chauffeur durch den Vater ersetzt wird, der seinerseit­s eine Intrige einfädelt, um die Haushälter­in durch die Mutter abzulösen. Als dann endlich die vormals Arbeitslos­en vor dem Panoramafe­nster sitzen – ihre Arbeitgebe­r sind auf Campingurl­aub –, und darüber streiten, ob Geld einen zum netten Menschen macht, beginnen die Dinge aus dem Ruder zu laufen.

Was „Parasite“aus dem diesjährig­en Wettbewerb­sprogramm herausrage­n ließ, ist die gelungene Mischung aus Unterhalts­amkeit und Tiefgang. Bong Joon-hos Sozialsati­re schreitet im flotten Tempo einer Screwball-Komödie voran, entblößt dabei aber reale gesellscha­ftliche Missstände. Mit Filmen wie „The Hostel“, „Snowpierce­r“, „Okja“

Bong sich bereits als kommerziel­l erfolgreic­her Regisseur einen Namen gemacht. Die Goldene Palme verleiht ihm nun verdienter­maßen Autoren-Würde. Publikum und Kritik in Cannes waren sich im Jubel über seinen Sieg so einig wie lange nicht mehr – Jury-Präsident Alejandro Iñárritu betonte die einstimmig getroffene Entscheidu­ng.

Zuvor hatte es bei der Preisverle­ihung einige Buhs gegeben. Sie waren nicht gegen bestimmte Preisträge­r gerichtet, sondern drückten Enttäuschu­ng aus. Unter anderem darüber, dass die Jury einmal mehr die Chance verpasst hat, einer Frau die Goldene Palme zu geben. Um endlich Jane Campion vom Status der einzigen weiblichen Gewinnerin einer Goldenen Palme (1993) zu befreien, hatte sich in diesem Jahr nämlich nach Meinung vieler eine Idealkandi­datin gefunden: Céline Sciammas „Portrait d’une jeune fille en feu“. Der Film ist eine meisterhaf­t inszeniert­e Reflexion über weiblichen Blick und weibliche Identität im Gewand eines Histohat rienfilms um eine Malerin des 18. Jahrhunder­ts und ihr Modell. Der Film war mit Begeisteru­ng aufgenomme­n worden. Dass die Französin Sciamma nun mit dem Preis für das beste Drehbuch vorliebneh­men musste, kam fast einer kleinen Demütigung gleich.

Die nicht wirklich dadurch ausgeglich­en wurde, dass es mit insgesamt drei Auszeichnu­ngen für „Frauenfilm­e“in diesem Jahr einen kleinen Preisregen für die stets in der Unzahl sich befindende­n Regisseuri­nnen gab. Immerhin ging der Grand Prix, die Silbermeda­ille des Festivals, an das Regiedebüt der Französin Mati Diop, die als erste Frau mit afrikanisc­hen Wurzeln im Wettbewerb Geschichte schrieb. Ihr Film „Atlantique­s“ist eine mutige Mischung aus Horror, Poesie und Frauenfilm mit einer Prise Flüchtling­sdrama. Und auch Jessica Hausners eher enttäusche­nder Sci-FiThriller über eine glücklich machende Pflanze, „Little Joe“, wurde durch die Ehrung für Hauptdarst­ellerin Emily Beecham aufgewerte­t.

Alles andere als eine Enttäuschu­ng stellte dagegen der Preis für den besten Darsteller dar, der an Antonio Banderas und seinen Auftritt in Pedro Almodóvars „Leid und Herrlichke­it“ging. Banderas verkörpert darin einen alternden Regisseur und somit das Alter Ego seines Entdeckers und langjährig­en Freundes. Der spanische Kultregiss­eur Almodóvar hatte selbst als Favorit für die Goldene Palme gegolten, die seine erste gewesen wäre. Dabei demonstrie­rte die Jury mit der Vergabe des Regiepreis­es an das Brüder-RegieDuo Jean-Pierre und Luc Dardenne durchaus ein Herz für Altmeister.

Leer ging – für einige völlig überrasche­nd – Quentin Tarantinos „Once Upon a Time in Hollywood“aus. Der Film, auf den alle gewartet hatten und dessen Premiere das Festival an der Cote d’Azur für zwei Tage in eine Art Ausnahmezu­stand versetzt hatte, war zwar sehr gut aufgenomme­n worden, verpuffte aber mit seinem nostalgisc­hen Überhang in einem Festival, das sich als Ganzes oft allzu „retro“gibt.

Barbara Schweizerh­of, epd

 ?? Foto: Alberto Pizzoli, afp ?? Erstmals geht der Hauptpreis des Filmfests in Cannes nach Südkorea. Regisseur Bong Joon-ho holte die Goldene Palme für seinen Film „Parasite“.
Foto: Alberto Pizzoli, afp Erstmals geht der Hauptpreis des Filmfests in Cannes nach Südkorea. Regisseur Bong Joon-ho holte die Goldene Palme für seinen Film „Parasite“.

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