Wenn das Glück zur Hölle wird
Premiere Am Staatstheater Augsburg gibt es einen neuen „Don Pasquale“mit einem vortrefflichen Sänger-Ensemble. In einer Inszenierung, die zeigt, dass wir dem Geschäft mit Verheißungen nicht blindlings vertrauen sollten
Augsburg Gleich am Anfang die vielleicht schönste Szene. Noch während das Publikum die Plätze einnimmt im Martinipark, hat sich ein Mann auf die offene Bühne gesetzt und scheint unter seinem Käppi und der viel zu engen Wollweste überm ausgeprägten Embonpoint vor sich hinzudösen. Krachend setzt die Ouvertüre ein, und mit Vehemenz reißt es den Herrn aus seinem Dämmer hoch – ein wunderbares Bild für den realen Albtraum, der ihm nun blüht und aus dem er erst zwei Stunden später wieder herausfinden wird; und zudem ein starkes szenisches Konzentrat für eines der hinreißendsten Stücke der komödiantischen Opernliteratur.
Denn in Gaetano Donizettis „Don Pasquale“– natürlich fuhr da kein anderer als die Titelfigur höchstselbst erschrocken empor – geht es ebenso turbulent und illusionszerstäubend zur Sache. Da meint ein betuchter und mit den Jahren schon etwas schrullig gewordener Junggeselle, sich noch eine junge Frau angeln zu müssen, ausgerechnet die, in die sein junger Neffe sich verguckt hat. Und tatsächlich wird die mittels eines Komplotts nun erst mal Frau des angegrauten Hagestolzes, doch nur um ihm vom ersten Tag an die Ehehölle heiß zu machen, sodass der arme Frischvermählte froh ist, sie am Ende samt Mitgift bei seinem Neffen wieder loszuwerden …
Jede „Pasquale“-Inszenierung tut gut daran, ohne allzu lastenden Überbau auf das temporeiche Geschehen zu vertrauen, und diese Klugheit besitzt auch Corinna von Rad bei ihrer Neuinszenierung für das Staatstheater Augsburg. Behutsam hebt sie die Handlung ins Heute, lässt in einem schlichten Halbrund spielen (Bühne: Ralf Käselau), in dem ein paar wohlgesetzte Akzente – vorneweg ein riesiger Bild– deutlich machen, worum es hier geht: Um eine heikle Sphäre, in der die kommerzialisierte Lebensglücksuche mit ihren Partnervermittlungsagenturen, Mann-suchtFrau-Shows und Optimiere-dichselbst-Sprüchen ebenso Züge von Hysterie wie von Lächerlichkeit trägt – und am Ende nur Enttäuschung bringt.
Dass diesem hamsterhaften Gestrampel bei aller Komik eine gewisse Tragik innewohnt, ein Seelenabgrund, der ja das Kennzeichen jeder wahren Komödie ist, das zu zeigen gelingt der Inszenierung vortrefflich im ersten Akt. Im weiteren Verlauf vertraut die Regie dann zunehmend der bloßen Außenwirkung, sei es durch die Betonung des Klamauks, sei es durch visuelles Gebausche – Norina, das Mädchen, das Pasquale eine herbe Lehre erteilt, erscheint in einem regelrechten Berg aus zuckerwattigem Tüll und am Ende scheint die Szene sich vor lauter Flitter in ein Varieté verirrt zu haben (Kostüme: Sabine Blickenstorfer). Ein Händchen aber hat die Regisseurin für so manch hintergründigen Witz im Detail, ob es sich nun um das Hündchen handelt, das der düpierte und letztlich doch bedauernswert einsame Pasquale beim Finale wieder an seine Brust drückt, oder um die Lonesome-Rider-Fantaschirm sie, in der sich Neffe Ernesto, nachdem er von der Verbindung zwischen Onkel und Norina erfahren hat, sich via Video als traurig dahinziehender Cowboy zu Pferde sieht.
Eine Oper wie diese zündet jedoch nur, wenn sie auf ein mit allen Bühnenwassern gewaschenes Darstellerensemble setzen kann. Zuvorderst gilt das für die Titelfigur, und da hat das Staatstheater mit der Einladung von Stefan Sevenich einen ausgezeichneten Griff getan. Nicht nur, weil der ein Erzkomödiant ist, der auch noch wunderbar tänzeln kann wie Balu der Bär, nicht nur, weil er den Pasquale als gemischten, als zwar trotteligen, irgendwie aber auch anrührenden Charakter vorstellt; sondern nicht zuletzt, weil der Bassbariton Sevenich sich mühelos aufs Hochtempo-Parlando versteht, ohne das jeder Pasquale-Interpret von vornherein auf verlorenem Posten steht. Wobei, rein sängerisch noch ein wenig vorbei an ihm zieht Jihyun Cecilia Lee als Norina: mit hoch beweglichem, bemerkenswert homogen geführtem Sopran, dazu lustvoll mit vokalen Mitteln die ganze Liste von Weiblichkeitsklischees referierend – von treuherzig über kokett bis gnadenlos biestig. Auf gleicher Höhe mit diesem „Paar“auch die weiteren Sänger. Emanuele D’Aguanno besitzt die dem enttäuschten Ernesto so gut zu Gesicht stehende Tenor-Träne und bewegt sich dazu auch ganz mühelos in der Höhe. Florian Götz schließlich legt für seinen Malatesta die ganze Abgefeimtheit eines Intrigen-Spindoktors in seine Stimme, und auch er kann es im Plapperton nur so dahinschnurren lassen, trefflich vorgeführt im Probeduett mit Norina am Ende des ersten Akts.
Domonkos Héja lässt die Philharmoniker zumeist trocken-spritzig artikulieren, wodurch sich Donizettis Musik immer wieder wie von selbst mit rhythmischer Spannkraft auflädt. Gleichwohl setzt Héja die Partitur nicht unter Dauerstrom, sondern gibt den Streichern immer wieder auch Gelegenheit, sich luftig-melancholisch auszusingen. Auch orchestral also diese treffliche Donizetti-Atmosphäre aus Heiterkeit und Wolken am Himmel.
Und weil einem Kammerspiel wie diesem die beschränkten Dimensionen des Martiniparks eher zum Vorals zum Nachteil gereichen, wird Augsburgs neuer „Don Pasquale“gewiss sein Publikum finden, wie schon der enthusiastische Beifall am Ende des Premierenabends verriet. ⓘ
Termine 2., 6., 12., und 16. Juni. Wiederaufnahme ab Oktober.