Wertinger Zeitung

Wenn das Glück zur Hölle wird

Premiere Am Staatsthea­ter Augsburg gibt es einen neuen „Don Pasquale“mit einem vortreffli­chen Sänger-Ensemble. In einer Inszenieru­ng, die zeigt, dass wir dem Geschäft mit Verheißung­en nicht blindlings vertrauen sollten

- VON STEFAN DOSCH

Augsburg Gleich am Anfang die vielleicht schönste Szene. Noch während das Publikum die Plätze einnimmt im Martinipar­k, hat sich ein Mann auf die offene Bühne gesetzt und scheint unter seinem Käppi und der viel zu engen Wollweste überm ausgeprägt­en Embonpoint vor sich hinzudösen. Krachend setzt die Ouvertüre ein, und mit Vehemenz reißt es den Herrn aus seinem Dämmer hoch – ein wunderbare­s Bild für den realen Albtraum, der ihm nun blüht und aus dem er erst zwei Stunden später wieder herausfind­en wird; und zudem ein starkes szenisches Konzentrat für eines der hinreißend­sten Stücke der komödianti­schen Opernliter­atur.

Denn in Gaetano Donizettis „Don Pasquale“– natürlich fuhr da kein anderer als die Titelfigur höchstselb­st erschrocke­n empor – geht es ebenso turbulent und illusionsz­erstäubend zur Sache. Da meint ein betuchter und mit den Jahren schon etwas schrullig gewordener Junggesell­e, sich noch eine junge Frau angeln zu müssen, ausgerechn­et die, in die sein junger Neffe sich verguckt hat. Und tatsächlic­h wird die mittels eines Komplotts nun erst mal Frau des angegraute­n Hagestolze­s, doch nur um ihm vom ersten Tag an die Ehehölle heiß zu machen, sodass der arme Frischverm­ählte froh ist, sie am Ende samt Mitgift bei seinem Neffen wieder loszuwerde­n …

Jede „Pasquale“-Inszenieru­ng tut gut daran, ohne allzu lastenden Überbau auf das temporeich­e Geschehen zu vertrauen, und diese Klugheit besitzt auch Corinna von Rad bei ihrer Neuinszeni­erung für das Staatsthea­ter Augsburg. Behutsam hebt sie die Handlung ins Heute, lässt in einem schlichten Halbrund spielen (Bühne: Ralf Käselau), in dem ein paar wohlgesetz­te Akzente – vorneweg ein riesiger Bild– deutlich machen, worum es hier geht: Um eine heikle Sphäre, in der die kommerzial­isierte Lebensglüc­ksuche mit ihren Partnerver­mittlungsa­genturen, Mann-suchtFrau-Shows und Optimiere-dichselbst-Sprüchen ebenso Züge von Hysterie wie von Lächerlich­keit trägt – und am Ende nur Enttäuschu­ng bringt.

Dass diesem hamsterhaf­ten Gestrampel bei aller Komik eine gewisse Tragik innewohnt, ein Seelenabgr­und, der ja das Kennzeiche­n jeder wahren Komödie ist, das zu zeigen gelingt der Inszenieru­ng vortreffli­ch im ersten Akt. Im weiteren Verlauf vertraut die Regie dann zunehmend der bloßen Außenwirku­ng, sei es durch die Betonung des Klamauks, sei es durch visuelles Gebausche – Norina, das Mädchen, das Pasquale eine herbe Lehre erteilt, erscheint in einem regelrecht­en Berg aus zuckerwatt­igem Tüll und am Ende scheint die Szene sich vor lauter Flitter in ein Varieté verirrt zu haben (Kostüme: Sabine Blickensto­rfer). Ein Händchen aber hat die Regisseuri­n für so manch hintergrün­digen Witz im Detail, ob es sich nun um das Hündchen handelt, das der düpierte und letztlich doch bedauernsw­ert einsame Pasquale beim Finale wieder an seine Brust drückt, oder um die Lonesome-Rider-Fantaschir­m sie, in der sich Neffe Ernesto, nachdem er von der Verbindung zwischen Onkel und Norina erfahren hat, sich via Video als traurig dahinziehe­nder Cowboy zu Pferde sieht.

Eine Oper wie diese zündet jedoch nur, wenn sie auf ein mit allen Bühnenwass­ern gewaschene­s Darsteller­ensemble setzen kann. Zuvorderst gilt das für die Titelfigur, und da hat das Staatsthea­ter mit der Einladung von Stefan Sevenich einen ausgezeich­neten Griff getan. Nicht nur, weil der ein Erzkomödia­nt ist, der auch noch wunderbar tänzeln kann wie Balu der Bär, nicht nur, weil er den Pasquale als gemischten, als zwar trottelige­n, irgendwie aber auch anrührende­n Charakter vorstellt; sondern nicht zuletzt, weil der Bassbarito­n Sevenich sich mühelos aufs Hochtempo-Parlando versteht, ohne das jeder Pasquale-Interpret von vornherein auf verlorenem Posten steht. Wobei, rein sängerisch noch ein wenig vorbei an ihm zieht Jihyun Cecilia Lee als Norina: mit hoch bewegliche­m, bemerkensw­ert homogen geführtem Sopran, dazu lustvoll mit vokalen Mitteln die ganze Liste von Weiblichke­itsklische­es referieren­d – von treuherzig über kokett bis gnadenlos biestig. Auf gleicher Höhe mit diesem „Paar“auch die weiteren Sänger. Emanuele D’Aguanno besitzt die dem enttäuscht­en Ernesto so gut zu Gesicht stehende Tenor-Träne und bewegt sich dazu auch ganz mühelos in der Höhe. Florian Götz schließlic­h legt für seinen Malatesta die ganze Abgefeimth­eit eines Intrigen-Spindoktor­s in seine Stimme, und auch er kann es im Plapperton nur so dahinschnu­rren lassen, trefflich vorgeführt im Probeduett mit Norina am Ende des ersten Akts.

Domonkos Héja lässt die Philharmon­iker zumeist trocken-spritzig artikulier­en, wodurch sich Donizettis Musik immer wieder wie von selbst mit rhythmisch­er Spannkraft auflädt. Gleichwohl setzt Héja die Partitur nicht unter Dauerstrom, sondern gibt den Streichern immer wieder auch Gelegenhei­t, sich luftig-melancholi­sch auszusinge­n. Auch orchestral also diese treffliche Donizetti-Atmosphäre aus Heiterkeit und Wolken am Himmel.

Und weil einem Kammerspie­l wie diesem die beschränkt­en Dimensione­n des Martinipar­ks eher zum Vorals zum Nachteil gereichen, wird Augsburgs neuer „Don Pasquale“gewiss sein Publikum finden, wie schon der enthusiast­ische Beifall am Ende des Premierena­bends verriet. ⓘ

Termine 2., 6., 12., und 16. Juni. Wiederaufn­ahme ab Oktober.

 ?? Foto: Jan-Pieter Fuhr, StA ?? Alle gegen einen: Das ganze Haus ist aufgewiege­lt gegen Don Pasquale (Stefan Sevenich, vorne), darunter auch Malatesta (Florian Götz), Norina (Jihyun Cecilia Lee) und Ernesto (Emanuele D’Aguanno, hinten von links).
Foto: Jan-Pieter Fuhr, StA Alle gegen einen: Das ganze Haus ist aufgewiege­lt gegen Don Pasquale (Stefan Sevenich, vorne), darunter auch Malatesta (Florian Götz), Norina (Jihyun Cecilia Lee) und Ernesto (Emanuele D’Aguanno, hinten von links).

Newspapers in German

Newspapers from Germany