Strategien gegen die Schaufensterkrankheit
Arteriosklerose Schmerzen in den Beinen zwingen Betroffene zu immer kürzeren Gehstrecken. Wie die hohe Zahl von bis zu 40 000 Amputationen pro Jahr reduziert werden könnte
Es hat nichts mit übertriebenem Shopping zu tun, wenn von der Schaufensterkrankheit die Rede ist. Die Betroffenen können nur kurze Strecken ohne Schmerzen in den Beinen gehen und müssen immer wieder stehen bleiben, bis der Schmerz abgeklungen ist. Deshalb tun sie so, als würden sie sich für die Auslagen im Schaufenster interessieren. Die Erkrankung beginnt mit Kribbeln und einem Taubheits- und Kältegefühl im Bein. Manchmal fallen auch die Haare auf der Vorderseite des Schienbeins aus. Dann stellen sich bei Belastung, also beim Gehen, Schmerzen in der Waden- oder Oberschenkelmuskulatur ein. Die Strecken, die man ohne Beschwerden zurücklegen kann, werden immer kürzer. Schließlich treten die Schmerzen auch in Ruhe auf, besonders wenn das betroffene Bein hochgelegt wird.
Die Ursachen für diese Beschwerden liegen in einer mangelnden Durchblutung des Beins. Seltener können auch die Arme betroffen sein. Die Mediziner sprechen von einer peripheren arteriellen Ver- schlusskrankheit, der PAVK. Ihre Häufigkeit nimmt mit dem Alter zu. In 95 Prozent der Fälle ist eine Arteriosklerose, eine Engstelle in einer Arterie, der Auslöser. Im Gegensatz zu Venenerkrankungen, die ebenfalls häufig die Beine betreffen, handelt es sich hier um eine Erkrankung der Arterien, die frisches Blut vom Herzen bis in die Zehen oder Fingerspitzen transportieren. Bei den Beinen werden der Wadenmuskel oder die Oberschenkelmuskulatur und andere Gewebe nicht mehr ausreichend mit sauerstoffreichem Blut und Nährstoffen versorgt. Wenn die Muskeln in Aktion sind, treten deshalb nach einer gewissen Zeit die Schmerzen auf. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung werden die schmerzfreien Gehstrecken immer kürzer. In einem weiteren Stadium können am unteren Bein oder am Fuß hartnäckige Wunden und Geschwüre auftreten, die aufgrund der mangelnden Durchblutung nur sehr schlecht oder überhaupt nicht mehr abheilen. Stirbt das unterversorgte Gewebe ab oder kommt es zu einer sich ausbreitenden Entzündung der Wunde, bleibt häufig nur noch eine Amputation übrig.
Da die anfänglichen Beschwerden für den Laien schlecht einzuordnen sind, vergeht oft viel Zeit, bis die Krankheit diagnostiziert wird. „Bei vielen Patienten dauert es Monate und Jahre, bis sie einen Gefäßmediziner sehen“, sagt Sigrid Nikol, Chefärztin der Abteilung für Klinische und Interventionelle Angiologie der Asklepios Klinik St. Georg in Hamburg. „Die Aufmerksamkeit der Hausärzte muss besser werden und das Screening in den Händen von Hausärzten sollte finanziell abgedeckt werden“, fordert sie.
Die Diagnose einer PAVK geht rasch: Der Arzt tastet den Puls in der Leiste sowie am Fuß und misst den Blutdruck der Knöchel- und Zehenarterien. Wenn der Puls am Fuß schwach oder gar nicht mehr zu spüren ist und wenn der Blutdruck gering ist, sind die Beschwerden auf eine PAVK zurückzuführen. Im Ultraschall lassen sich anschließend die Beinarterien überprüfen, ob und wo genau eine Engstelle im Gefäß den Blutfluss behindert.
Wird eine PAVK diagnostiziert, ist dies auch immer ein Hinweis auf eventuell vorliegende weitere Gefäßeinengungen, die an anderen Stellen auftreten können: So besteht zum Beispiel die Gefahr eines Herzinfarktes aufgrund von Arteriosklerose in den Herzkranzgefäßen. Genauso kann ein Schlaganfall ausgelöst werden, wenn die Gefäße, die das Gehirn mit Sauerstoff versorgen, nicht mehr durchgängig sind.
Grundübel ist die Arteriosklerose, also die Ablagerung von Fetten und anderen Stoffen innerhalb der Gefäßwände. Dadurch wird im Laufe der Jahre der Durchmesser der Arterie immer mehr eingeschränkt – bis schließlich kein Blut mehr hindurchfließt, das Gefäß ist verstopft. Das Ausmaß einer Arteriosklerose hängt auch von Lebensstilfaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck und Übergewicht sowie Vorerkrankungen wie Diabetes ab. Obwohl Herzinfarkt, Schlaganfall und PAVK auf ein und dieselbe Erkrankung zurückzuführen sind, finden Herzinfarkt und Schlaganfall als Folge einer Arteriosklerose bei Ärzten und Patienten große Beachtung, während die Bedeutung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit diesbezüglich unterschätzt wird. „Viele Betroffene mit PAVK sind schlechter versorgt – auch im Hinblick auf Medikamente – als Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung“, kritisiert die Gefäßmedizinerin Nikol die Situation.
In den Anfangsphasen der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit kann neben anderen Maßnahmen ein strukturiertes Gehtraining hilfreich sein, bei dem die Patienten beispielsweise in einer Gefäßsportgruppe mindestens dreimal pro Woche trainieren. Dadurch besteht die Möglichkeit, dass sich um die verengte oder blockierte Arterie neue Gefäße, sogenannte Kollaterale, bilden. Über diese Umleitungen kann dann die Versorgung des Beins stattfinden.
Doch das funktioniert nicht immer, wie Sigrid Nikol erklärt: „Es kommt darauf an, wo die Engstelle ist: Die Kollateralen werden im Oberschenkel besser gebildet als in der Leiste oder in der Wade. Auf jeden Fall dauert es Wochen und Monate.“Wenn die Durchblutungsstörung schon weiter fortgeschritten ist und die schmerzfreie Gehstrecke immer kürzer wird, dann empfiehlt es sich, mithilfe eines Kathetereingriffs den normalen Blutfluss wieder herzustellen.
Dabei wird ein kleiner Schlauch durch das Blutgefäß bis zur Engstelle vorgeschoben und die Arterie mit Hilfe eines Ballons aufgedehnt und eventuell mit einem Stent offen gehalten. Anschließend kann das Blut wieder ungehindert fließen und Bein, Fuß und Zehen mit Sauerstoff und allem Notwendigen versorgen. Hartnäckige Wunden sind nun von den Zellen des Immunsystems wieder erreichbar, sodass sie langsam heilen können. In vielen Fällen kann auf diese Weise eine Amputation abgewendet werden. Die große Zahl der jährlich rund 35000 bis 40000 Amputationen könnte reduziert werden, wenn die Gefäße frühzeitig untersucht und wieder durchgängig gemacht würden, so Nikol: „Oft wird ohne eine vorherige Gefäßdiagnostik amputiert. Das dürfte bei uns eigentlich gar nicht mehr vorkommen. Einer Vielzahl der Patienten mit offenen Wunden kann durch eine Rekanalisation geholfen werden.“
Wenn durch einen Kathetereingriff das Blut wieder ungehindert in den Beinen fließt, dann werden auch die Schaufenster weniger interessant. Die Betroffenen können wieder schmerzfrei gehen, bleiben deshalb mehr in Bewegung und tun so ganz allgemein etwas Gutes für ihr Herz.
Ziel muss es sein, den normalen Blutfluss wieder herzustellen