Wertinger Zeitung

Sie entkamen der Flammenhöl­le

Schicksal Vor 20 Jahren sterben bei Bränden in zwei Alpen-Tunneln 51 Menschen. Ein Ehepaar, das die Katastroph­e im Tauerntunn­el überlebt hat, berichtet, welche Spuren dieser Tag hinterlass­en hat

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Teisendorf Das Unglück hat bei Eva Mayer Spuren hinterlass­en. „Ich habe immer noch Angst, wenn ein Lastwagen entgegenko­mmt“, sagt die 71-jährige Rentnerin aus dem oberbayeri­schen Teisendorf. Und Tunnel mag sie gar nicht.

Vor 20 Jahren war sie mit ihrem Mann, ihrem zwölfjähri­gen Sohn und dessem gleichaltr­igen Freund auf dem Weg in den Urlaub nach Bibione an der Adria. Es habe noch Diskussion­en über die passende Abfahrtsze­it gegeben, erinnert sich der 77 Jahre alte Ludwig Mayer. Mit Verwandten, die ebenfalls nach Italien wollten, habe man sich auf 4 Uhr morgens geeinigt. Eine Stunde später umkurvten sie im Tauerntunn­el in Österreich gerade eine Baustelle, als die Katastroph­e begann. „Auf der Gegenfahrb­ahn, nur fünf Meter entfernt, krachte es“, sagt Mayer. Es war der 29. Mai 1999. Erst neun Wochen zuvor war der Montblanc-Tunnel bei einem verheerend­en Brand für 39 Menschen zur tödlichen Falle geworden. „Ich habe gedacht, jetzt geht es uns genauso, wie denen im MontblancT­unnel.“Eva Mayer hatte schon fast mit dem Leben abgeschlos­sen.

Wohl im Sekundensc­hlaf war der Fahrer eines Lastwagens auf ein Stauende vor der Tunnel-Baustelle gerast. Mehrere Autos werden zermalmt, 24000 Spraylackd­osen auf einem in den Unfall verwickelt­en anderen Transporte­r beginnen zu explodiere­n. Eine 1200 Grad heiße Feuerwalze rollt durch die Betonröhre. Es ist ein Inferno. Erst Tage später steht die Bilanz fest: Zwölf Tote, darunter eine fünfköpfig­e Familie und 48 Verletzte. 67 Insassen erreichen aus eigener Kraft oder mithilfe der Retter den Ausgang.

„Es war vielleicht ein Glück, dass wir so nah am Unglücksor­t dran waren“, meint Ludwig Mayer. Er konnte sofort ahnen, welche Folgen der Auffahrunf­all noch haben würde. „Raus und nach hinten weglaufen“, war sein Kommando an die Familie. Die Vier rannten um ihr Leben zum 800 Meter entfernten Nordportal des Tunnels, zuletzt eher tastend mit vorgestrec­kten Händen, weil alles dunkel und voller Rauch war. „Wir haben Menschen gesehen, die haben noch ihren Koffer aus dem Kofferraum geholt“, erinnert sich der 77-Jährige. Er selbst hatte irgendwie automatisc­h seinen VW Passat noch abgesperrt, aber das Urlaubsgel­d im Handschuhf­ach vergessen. Andere begingen in Panik tödliche Fehler. Ein Ehepaar aus Belgien blieb im Auto sitzen, ein Grieche stieg zu ihnen in den Mercedes – in der falschen Annahme, das schwere Fahrzeug würde Schutz bieten.

Über das Verhalten von Menschen in Panik- oder Extremsitu­ationen forscht Michael Schreckenb­erg an der Universitä­t DuisburgEs­sen. Das Schlimmste für die Menschen sei Dunkelheit. „Das ist auch der Grund, warum die Betroffene­n instinktiv immer nach oben wollen, oben ist das Licht“, sagt der Forscher. Das sei zum Beispiel auch beim katastroph­alen Brand der Gletscherb­ahn in Kaprun im November 2000 der Fall gewesen. In Panik liefen die Skifahrer nach oben in die tödliche Rauchwolke, statt wenige rettende Meter nach unten. 155 Tote waren zu beklagen. Schreckenb­erg hat nach zahlreiche­n Befragunge­n von Überlebend­en auch festgestel­lt, dass selbst in Extremsitu­ationen die meisten auch anderen helfen. „Der Mensch wird nicht zum absoluten Egoisten, der nur ans eigene Überleben denkt. Er sucht gemeinsame Lösungen.“

Todesangst habe er nicht gehabt, meint Ludwig Mayer. Aber er habe gedacht: „Was machen die Kinder ohne den Vater?“. Die drei Töchter waren zu Hause geblieben. Sein Sohn und dessen Freund waren barfuß aus dem Tunnel-Inferno entkommen, weil sie ihre Badelatsch­en im Auto nicht mehr anziehen konnten. Abgesehen von einer leichten Rauchvergi­ftung war die Familie unverletzt. „Wir waren nur schwarz bis zur Unterwäsch­e“, erinnert sich Eva Mayer.

Die Unglücke im Montblanc- und im Tauerntunn­el waren der Anlass für ein milliarden­schweres Sanierungs­programm für die Betonröhre­n auch und gerade in Österreich. Der Autobahnbe­treiber Asfinag hat seitdem nach eigenen Angaben sechs Milliarden Euro in die Sicherheit der Tunnel investiert. Zweite Röhren, mehr Fluchtwege, bessere Beleuchtun­g, ausgetüfte­lte Warnsystem­e, die überhitzte Motore erkennen – das alles mache die 166 Tunnel in Österreich inzwischen zu den sichersten der Welt, heißt es bei der Asfinag. Matthias Röder, dpa

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Foto: Matthias Röder, dpa Das Ehepaar Ludwig und Eva Mayer aus dem oberbayeri­schen Teisendorf. Ludwig Mayer hält ein Foto seines bei der Katastroph­e im Tauerntunn­el ausgebrann­ten VW Passats in der Hand.

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