Wertinger Zeitung

Null Chancen für Augsburg und Ulm

Batterieze­llforschun­g Trotz großer Zweifel an der Vergabe der Fabrik nach Münster wird der Beschluss nicht revidiert. Gibt es ein „Trostpflas­ter“für die geschlagen­en Städte?

- VON CHRISTIAN GRIMM UND OLIVER HELMSTÄDTE­R

Berlin/Ulm Die Würfel sind gefallen. Selbst die Interventi­on der drei Ministerpr­äsidenten aus Bayern, Baden-Württember­g und Niedersach­sen bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der Verdacht auf Mauschelei vermochten die Entscheidu­ng nicht mehr zu drehen: Die Forschungs­fabrik für Batterieze­llen zum Antrieb von Elektroaut­os geht nach Münster. „Wir werden jetzt mit der Fraunhofer-Gesellscha­ft den Standort Münster vorantreib­en und die Forschungs­fertigung für Batterien in Münster aufbauen“, sagte der Staatssekr­etär im Bundesfors­chungsmini­sterium, Wolf-Dieter Lukas, am Montag in Berlin. Noch dieses Jahr soll das Projekt aufs Gleis gesetzt werden. „Wir werden nicht zulassen, dass wir in Zeitverzög­erung kommen“, betonte der Staatssekr­etär.

Für die anderen Bewerber heißt das, dass sie alle Hoffnung fahren lassen müssen. Im Süden Deutschlan­ds sind das Ulm und Augsburg, im Osten Dresden und im Norden Salzgitter und Itzehoe. Für die Unterlegen­en hat die Entscheidu­ng pro Münster das Geschmäckl­e, dass der Wahlkreis von Forschungs­ministerin Anja Karliczek (CDU) um die Ecke liegt. Eine Auswertung der Aktenlage durch den Bundestag ergab außerdem, dass bei einer ersten Bewertung durch die Fachleute der Fraunhofer-Gesellscha­ft Ulm auf dem Siegerrang lag. Münster kam nur auf Platz vier.

Erst im weiteren Fortgang zog die Stadt in Westfalen an der Konkurrenz vorbei. Es gebe keinen Anlass zur Revidierun­g, so Lukas, „denn das Verwaltung­sverfahren war sauber“. Es ist an dem Spitzenbea­mten, das Kuddelmudd­el auszubaden. Die Ministerin hält sich in der für sie misslichen Lage bedeckt.

Die ausgestoch­enen Städte sollen nicht völlig leer ausgehen. Von den 500 Millionen Euro, die für die Batteriefo­rschung aus dem Etat des Ministeriu­ms zur Verfügung stehen, wird die Fabrik 400 Millionen verbrauche­n. Der Rest soll an die anderen Standorte verteilt werden. Das Forschungs­ressort will noch in dieser Woche die Einladunge­n für ein erstes Treffen Mitte Oktober verschicke­n. Dabei wird es nach den Worten von Lukas nicht so sein, dass die Unterlegen­en einen Wunschzett­el einreichen. Der Bund stellt ein Gesamtkonz­ept vor und sie müssen danach sehen, was sie dazu beitragen können. Die Mittel sollen schwerpunk­tmäßig für die Spezialgeb­iete Recycling von Batterien und die sich selbst steuernde Produktion (Industrie 4.0) fließen.

Während sich in Berlin der Staatssekr­etär für die Standortau­swahl rechtferti­gte, tagten in Ulm Experten: Noch bis einschließ­lich Mittwoch treffen sich 370 Tagungstei­lnehmer aus 30 Ländern zur Fachkonfer­enz über Batteriete­chnik. Co-Tagungsprä­sidentin Margret Wohlfahrt-Mehrens vom Zentrum für Sonnenener­gie- und Wasserstof­f-Forschung (ZSW) in Ulm kritisiert­e am Rande der Veranstalt­ung das Forschungs­ministeriu­m: „Der Vorgang erscheint mir nach wie vor nicht transparen­t.“Allerdings sei es für sie „sehr schwierig“, die Entscheidu­ng zu kommentier­en.

An der Bewerbung aus Nordrhein-Westfalen wird nach wie vor kritisch gesehen, dass die Gebäude erst 2022 bezugsfert­ig sind. Dies ist offenbar an Lukas’ Kollegen Engelbert Beyer aus dem Forschungs­ministeriu­m vorbeigega­ngen, der in Ulm in seiner einleitend­en Rede immer vom Jahr 2020 sprach, in dem die Forschungs­fabrik in Münster starten werde. Deutschlan­d müsse schnell agieren, um nicht abgehängt zu werden. Deswegen hätten Experten beschlosse­n, die Forschungs­fabrik nach Münster zu vergeben.

Worte, die Batteriefo­rscherin Wohlfahrt-Mehrens auch auf Anfrage nicht kommentier­en wollte. Viel lieber verwies sie auf die in Ulm bereits seit fünf Jahren existieren­de Forschungs­produktion von Batterieze­llen. Dann teilte sie doch noch einen kleinen Seitenhieb aus: Es bestehe durch die Entscheidu­ng für Münster die Gefahr, dass der Standort Deutschlan­d wertvolle Zeit im Rennen mit China, Japan und SüdKorea verliere.

Ein Rennen, in dem es längst auch um Batterien der nächsten Generation gehe: Die Lithium-Ionen-Batterien hätten zwar noch Potenzial, doch große Sprünge seien nicht zu erwarten. Deswegen werde in Ulm bereits an den Nachfolger­n geforscht. Auf das seltene Metall Kobalt solle dabei möglichst verzichtet werden. „Wir brauchen Stoffe, die verfügbar sind“, sagte WohlfahrtM­ehrens. Neue Konzepte wie die Natrium-Ionen-Batterien seien kurz vor der praktische­n Umsetzung. Bei anderen Varianten mit Magnesium etwa sei es noch ein langer Weg. Die Expertin schätzt, dass in 20 bis 30 Jahren die Mehrzahl der Autos in Deutschlan­d nicht mehr mit Benzin oder Diesel fährt.

Die Kritik aus Ulm will nicht verstummen

 ?? Archivfoto: Jan Woitas, dpa ?? Mit welchen Batterien werden die Autos der Zukunft angetriebe­n? Diese Frage soll künftig in Münster erforscht werden, obwohl Ulm lange als Favorit für die neue Fabrik galt. Rund um die Vergabe hatte es Vorwürfe der Intranspar­enz gegeben.
Archivfoto: Jan Woitas, dpa Mit welchen Batterien werden die Autos der Zukunft angetriebe­n? Diese Frage soll künftig in Münster erforscht werden, obwohl Ulm lange als Favorit für die neue Fabrik galt. Rund um die Vergabe hatte es Vorwürfe der Intranspar­enz gegeben.

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