„So was hatte ich noch nie in den Händen“
Interview Nicht nur bei den Filmfestspielen von Venedig wurde Joaquin Phoenix für seine Rolle des „Joker“groß gefeiert. Hier berichtet er, wie er und Regisseur Todd Phillips sich dem Charakter der Figur annäherten
Mr. Phoenix, mit Kommerzkino und Superhelden haben Sie gemeinhin so gar nichts zu tun. Waren Sie erstaunt, als ein Drehbuch mit dem Titel „Joker“auf Ihrem Tisch landete? Joaquin Phoenix: Nicht, nachdem ich einen Blick hineingeworfen hatte. Diese Geschichte war anders als alles, was je in das Superhelden-Genre fiel. Aber auch anders als alles, was ich je in Sachen Drama gelesen hatte. Überhaupt hatte ich so etwas noch nie in den Händen gehalten. Ich fand das ganze Ding unglaublich mutig.
Was genau ist denn mutig an diesem Film?
Phoenix: Mich hat das beeindruckt, dass diese Figur nicht nur für mich als Schauspieler eine Herausforderung darstellte, sondern auch für das Publikum eine ist. Denn alle Meinungen zu Joker und alle Bilder von Joker, die jemand womöglich im Kopf hat, müssen hier über Bord geworfen werden. Für einen Film dieser Größenordnung fand ich das ein recht komplexes Unterfangen.
Als Figur passt der Joker jedenfalls ganz gut in die Reihe von gequälten Seelen, die Sie im Laufe Ihrer Karriere schon verkörpert haben… Phoenix: Ach, gequält. Das ist ein Wort, das ich immer nur von Journalisten höre. Ich selbst habe noch keine meiner Figuren aus dieser Perspektive betrachtet. Im Gegenteil ging es mir zum Beispiel bei Arthur jetzt in „Joker“vor allem um seine helle Seite, sein Licht, um es mal so auszudrücken. Oder zumindest sein Streben nach Glück. Der Wunsch, sich zugehörig zu fühlen, Wärme und Liebe zu finden. Aber dass er dabei scheitert, ist der springende Punkt dieser Figur. Und da tun sich schon psychologische Abgründe auf. Können Sie ein wenig beschreiben, wie Sie sich diesem Mann angenähert haben?
Phoenix: Das war kein Kinderspiel, so viel ist klar. Arthurs Persönlichkeit hat unglaublich viele Facetten und eben auch Abgründe, dass ich sie gar nicht so ohne Weiteres definieren könnte. Der körperliche Aspekt der Rolle war der erste Schritt: Ich habe in sehr kurzer Zeit sehr viel Gewicht verloren – und dabei allein entsteht schon mal ein Gefühl des Verstandverlierens. Ich habe auch viel über politische Attentäter und so etwas gelesen. Wobei ich vermeiden wollte, mich auf eine genaue Definition seines Zustandes und seiner Persönlichkeit festzulegen. Ich wollte die Freiheit haben, ihn so zum Leben zu erwecken, wie es mir in den Sinn kommt. Dass sich ein Psychologe das ansieht und identifizieren kann, welche Diagnose auf Arthur passt, wäre das Letzte gewesen, worauf ich es angelegt hätte.
Warum ist es Ihnen eigentlich so wichtig, dass Arthur so ausgemergelt und dürr ist?
Phoenix: Die Idee dazu kam mir, als ich mich mit der Wirkung von Psychopharmaka und anderen Medikamenten auseinandersetzte, die jemand wie er sicherlich nehmen würde. Wer so etwas schluckt, nimmt in der Regel sehr schnell zu oder sehr viel ab. Ich schlug Ersteres vor – ganz eigennützig natürlich. Das wäre für mich einfacher gewesen: Ich hätte nur wochenlang jede Menge Kuchen gefuttert. Aber der Regisseur Todd Phillips fand das Ausgemergelte für den Film die bessere Lösung.
Nicht ganz so leicht zu machen wie das Zunehmen …
Phoenix: Wem sagen Sie das. Und vor allem hat es ja auch Auswirkungen auf die Psyche, wenn man so lange zu wenig isst. Ich war wirklich über Monate ein fürchterlich schlecht gelaunter Mensch, der nicht sehr nett zu seinem Umfeld war. Natürlich wusste ich, worauf ich mich einlasse, denn ich hatte so etwas Ähnliches schon mal gemacht. Außerdem hatte ich ärztliche Betreuung. Aber ein Salat und ein Apfel pro Tag haben mich vor allem am Anfang wirklich unausstehlich werden lassen.
Wann wussten Sie: Jetzt habe ich ihn, jetzt weiß ich wirklich, wer diese Figur ist?
Phoenix: Diesen Moment gab es gar nicht. Es gab zwar den Moment, an dem ich merkte, dass ich den Schlüssel zu Arthur gefunden hatte und auf dem richtigen Weg war. Das war, als Todd mir Kladden in die Hand drückte und mich darauf brachte, in Arthurs Figur Tagebuch zu schreiben. Doch das bedeutete nicht, dass ich dadurch sofort die Figur als Ganzes verstanden hatte. Im Gegenteil hatte ich das Gefühl, selbst noch am letzten Drehtag neue Seiten an diesem Mann entdeckt zu haben, die mir bis dahin nicht vertraut waren.
Phillips hat Ihre Zusammenarbeit als Partnerschaft beschrieben, die weit über das sonst Übliche hinausgeht. Würden Sie das unterschreiben? Phoenix: Absolut, schon weil unsere gemeinsame Arbeit nie abends nach Drehschluss aufhörte. Wir schrieben uns auch nachts und am Wochenende Nachrichten und telefonierten, weil wir noch neue Ideen hatten oder uns die bevorstehenden Szenen beschäftigten und die zurückliegenden nicht losließen. Irgendwann waren wir zu einer derart symbiotischen Einheit geworden, dass wir uns quasi darauf verlassen konnten, dass der eine die Gedanken des anderen aufnehmen und weiterführen würde, wenn man selbst mal einen Aussetzer hätte. Es war fast schon ein wenig beängstigend, wie häufig es vorkam, dass wir das Gleiche dachten und die gleichen Einfälle hatten.
Sie klingen begeistert. Sind Sie allgemein glücklicher in Ihrer Schauspieler-Arbeit als früher? Dafür würde auch sprechen, dass „Joker“Ihr vierter Film in 18 Monaten ist – während Sie sich früher oft über Jahre rar machten …
Phoenix: Eigentlich habe ich den Spaß an der Schauspielerei nie verloren. Der Rhythmus war in den letzten Jahren nur ungeplanterweise ein bisschen anders als sonst. Zwei Jahre habe ich gar nicht gearbeitet – und dann landeten vier Projekte, die ich einfach nicht ablehnen konnte, direkt nacheinander auf meinem Tisch. Hätte ich die Kontrolle über solche Abläufe, würde ich einen Film pro Jahr drehen und dazwischen immer ausreichend Pause haben. Aber so läuft das in diesem Job nicht.
Warum wäre ein Film im Jahr die ideale Situation?
Phoenix: Zum einen habe ich nicht wirklich Bock darauf, meine Nase ständig auf der Leinwand zu sehen, und da bin ich ja sicher nicht der Einzige. Aber zum anderen ist es mir auch einfach wichtig, genug Zeit für ein normales Leben zu haben. Wenn man sich ständig von einem Film in den nächsten stürzt, kann das ganz schön ungesund sein. Habe ich oft genug bei Kollegen beobachtet.