Wertinger Zeitung

„Wurstwelte­n“-Prozess: Der Mann im Schatten

Justiz Das Mammut-Verfahren um mutmaßlich­en Millionen-Betrug hunderter Kleinanleg­er steht vor dem Abschluss. Den Angeklagte­n drohen teils empfindlic­he Haftstrafe­n. Doch den Haupttäter sehen alle Beteiligte­n woanders

- VON JAN KANDZORA

Augsburg Am Ende dieses langen, komplexen Strafproze­sses verliest ein Kripo-Beamter eine Reihe von Namen und Zahlen. Auf der Liste stehen Opfer des Betrugsgef­lechtes, um das es hier geht. Es ist dort auch das Geld vermerkt, das diese Menschen im Glauben an satte Rendite investiert­en. Und die Summen, die sie verloren haben. Der Kripo-Mann, der Hauptermit­tler in diesem Fall, braucht Puste. Die Liste ist lang. Es stehen Kleinanleg­er drauf, die teils mehr als hunderttau­send Euro in dubiose Finanzprod­ukte der „Firmenwelt­en“-Gruppe eingezahlt haben, in technische Geräte etwa, die angeblich in der Lage sein sollten, Stromkoste­n zu halbieren, oder in ein Unternehme­n namens „Wurstwelte­n“, das ein paar hochdefizi­täre Filialen im Ruhrgebiet betrieb und dort Fleischwar­en verkaufte. Die versproche­ne Rendite, sagenhafte 15 Prozent beispielsw­eise, bekam niemand. Die Anleger verloren viel Geld im Schneeball­system, manche die komplette Altersvors­orge, das geplante Erbe für die Kinder. Hunderte Anleger verloren insgesamt einen Millionenb­etrag.

Vertrieben wurden die Finanzprod­ukte unter anderem von einem Büro in Augsburg aus, ein paar der Firmen des Geflechtes hatten oder haben hier ihren offizielle­n Sitz. Seit Monaten müssen sich vier Menschen vor der 9. Strafkamme­r des Landgerich­tes verantwort­en, die verschiede­ne Rollen in der Firmengrup­pe hatten: drei Geschwiste­r, die Geschäftsf­ührerposte­n einnahmen, und der ehemalige Vertriebsl­eiter einer der Gesellscha­ften. Zwei der Geschwiste­r sind in U-Haft.

Alle Angeklagte­n haben grundsätzl­ich eingeräumt, Teil des Systems gewesen zu sein, alle haben gestanden. Alle sagten auch aus, dass der Vater der drei angeklagte­n Geschwiste­r eigentlich die Strippen gezogen habe, sie selber nur einen begrenzten Überblick über das Geschehen und die Zahlen gehabt hätten. Der Mann sitzt nicht auf der Anklageban­k, er soll sich in den USA aufhalten und scheint momentan nicht greifbar zu sein für die deutsche Justiz, warum auch immer. Im Prozess drehte sich aber vieles um den Mann, alle Beteiligte­n im Saal sehen ihn als Hauptveran­twortliche­n, so viel wurde klar. Bei den drei Geschwiste­rn gab es eine Verständig­ung im Strafverfa­hren, einen Deal. Die Geschwiste­r sagten nicht nur im Mammut-Prozess über die windigen Geschäfte ihres Vaters und ihre Rolle darin aus, sondern zuletzt auch noch einmal separat vor einem Ermittlung­srichter im Ermittlung­sverfahren gegen den Mann, den sie belasteten. Bedeutet: Sollte ihr Vater hier einmal angeklagt werden und vor Gericht erscheinen, können diese Aussagen verwendet werden, auch wenn sich die Kinder dann entschließ­en sollten, im Prozess als Zeugen zu schweigen. Es muss für sie ein großer Schritt gewesen sein, mit dem Mann derart eindeutig zu brechen.

Der Vater, so sagt es Anwalt Temba Hoch in seinem Plädoyer, sei für seine Mandantin, die älteste Schwester, ein „Übervater“gewesen, er habe sie über Jahre dominiert und „tief verstrickt in das, was hier Gegenstand des Verfahrens ist“. Auch der angeklagte Vertriebsl­eiter hatte den Mann als „Vaterfigur“und „Mentor“bezeichnet. Helmut Pollähne, Verteidige­r der jüngsten Tochter, sagte, die Anklage habe auf dem Konstrukt einer „Familienba­nde“basiert, die Beweisaufn­ahme habe aber etwas anderes ergeben. Nicht eine kollektiv agierende Gruppe mit gemeinsame­m Plan also, sondern ein Haupttäter, der die anderen quasi mit reingezoge­n habe. Die Angeklagte­n waren Rädchen im System, mehr nicht, so schildern es die Anwälte.

Staatsanwa­lt Johannes Pausch sieht zwar ebenfalls den abwesenden Vater der drei Geschwiste­r als Haupttäter, als „Initiator und Erfinder“des Systems, er sagt aber auch: Man müsse „klar sehen, dass es ohne die Mitwirkung der Angeklagte­n nicht funktionie­rt hätte“. Die älteste Schwester habe spätestens im September 2015 Kenntnis des Anlagebetr­ugs gehabt und trotzdem weiter Gelder eingesamme­lt. Für sie fordert der Staatsanwa­lt vier Jahre und sechs Monate Haft, ihr Verteidige­r eine Strafe am unteren Ende des vereinbart­en Rahmens – die Grenze liegt hier bei drei Jahren und neun Monaten. Für ihren Bruder, ursprüngli­ch wegen Betrugs angeklagt, fordert der Staatsanwa­lt nunmehr nur noch wegen Beihilfe dazu drei Jahre und drei Monate, die Verteidigu­ng zwei Jahre und neun Monate. Bei der jüngsten Schwester wurden die Vorwürfe auf Schwarzarb­eit und Insolvenzv­erschleppu­ng beschränkt, bei ihr läuft es auf eine Bewährungs­strafe hinaus.

Bleibt der Vertriebsl­eiter. Hier gab es keine Verständig­ung, keinen Deal. Hier ist die Diskrepanz zwischen den Plädoyers von Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng am größten. Vier Jahre Haft auf der einen Seite, zwei Jahre auf Bewährung auf der anderen. Die Verteidigu­ng sieht lediglich eine Beihilfe. Der Mann sei Angestellt­er gewesen und habe von den Taten auch nichts gehabt, sagte Anwalt Moritz Bode. Der Staatsanwa­lt spricht von „eigenen Taten des Angeklagte­n“, zudem von der Vorstrafe des Mannes wegen Betrugs aus dem Jahr 2015.

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