„Wurstwelten“-Prozess: Der Mann im Schatten
Justiz Das Mammut-Verfahren um mutmaßlichen Millionen-Betrug hunderter Kleinanleger steht vor dem Abschluss. Den Angeklagten drohen teils empfindliche Haftstrafen. Doch den Haupttäter sehen alle Beteiligten woanders
Augsburg Am Ende dieses langen, komplexen Strafprozesses verliest ein Kripo-Beamter eine Reihe von Namen und Zahlen. Auf der Liste stehen Opfer des Betrugsgeflechtes, um das es hier geht. Es ist dort auch das Geld vermerkt, das diese Menschen im Glauben an satte Rendite investierten. Und die Summen, die sie verloren haben. Der Kripo-Mann, der Hauptermittler in diesem Fall, braucht Puste. Die Liste ist lang. Es stehen Kleinanleger drauf, die teils mehr als hunderttausend Euro in dubiose Finanzprodukte der „Firmenwelten“-Gruppe eingezahlt haben, in technische Geräte etwa, die angeblich in der Lage sein sollten, Stromkosten zu halbieren, oder in ein Unternehmen namens „Wurstwelten“, das ein paar hochdefizitäre Filialen im Ruhrgebiet betrieb und dort Fleischwaren verkaufte. Die versprochene Rendite, sagenhafte 15 Prozent beispielsweise, bekam niemand. Die Anleger verloren viel Geld im Schneeballsystem, manche die komplette Altersvorsorge, das geplante Erbe für die Kinder. Hunderte Anleger verloren insgesamt einen Millionenbetrag.
Vertrieben wurden die Finanzprodukte unter anderem von einem Büro in Augsburg aus, ein paar der Firmen des Geflechtes hatten oder haben hier ihren offiziellen Sitz. Seit Monaten müssen sich vier Menschen vor der 9. Strafkammer des Landgerichtes verantworten, die verschiedene Rollen in der Firmengruppe hatten: drei Geschwister, die Geschäftsführerposten einnahmen, und der ehemalige Vertriebsleiter einer der Gesellschaften. Zwei der Geschwister sind in U-Haft.
Alle Angeklagten haben grundsätzlich eingeräumt, Teil des Systems gewesen zu sein, alle haben gestanden. Alle sagten auch aus, dass der Vater der drei angeklagten Geschwister eigentlich die Strippen gezogen habe, sie selber nur einen begrenzten Überblick über das Geschehen und die Zahlen gehabt hätten. Der Mann sitzt nicht auf der Anklagebank, er soll sich in den USA aufhalten und scheint momentan nicht greifbar zu sein für die deutsche Justiz, warum auch immer. Im Prozess drehte sich aber vieles um den Mann, alle Beteiligten im Saal sehen ihn als Hauptverantwortlichen, so viel wurde klar. Bei den drei Geschwistern gab es eine Verständigung im Strafverfahren, einen Deal. Die Geschwister sagten nicht nur im Mammut-Prozess über die windigen Geschäfte ihres Vaters und ihre Rolle darin aus, sondern zuletzt auch noch einmal separat vor einem Ermittlungsrichter im Ermittlungsverfahren gegen den Mann, den sie belasteten. Bedeutet: Sollte ihr Vater hier einmal angeklagt werden und vor Gericht erscheinen, können diese Aussagen verwendet werden, auch wenn sich die Kinder dann entschließen sollten, im Prozess als Zeugen zu schweigen. Es muss für sie ein großer Schritt gewesen sein, mit dem Mann derart eindeutig zu brechen.
Der Vater, so sagt es Anwalt Temba Hoch in seinem Plädoyer, sei für seine Mandantin, die älteste Schwester, ein „Übervater“gewesen, er habe sie über Jahre dominiert und „tief verstrickt in das, was hier Gegenstand des Verfahrens ist“. Auch der angeklagte Vertriebsleiter hatte den Mann als „Vaterfigur“und „Mentor“bezeichnet. Helmut Pollähne, Verteidiger der jüngsten Tochter, sagte, die Anklage habe auf dem Konstrukt einer „Familienbande“basiert, die Beweisaufnahme habe aber etwas anderes ergeben. Nicht eine kollektiv agierende Gruppe mit gemeinsamem Plan also, sondern ein Haupttäter, der die anderen quasi mit reingezogen habe. Die Angeklagten waren Rädchen im System, mehr nicht, so schildern es die Anwälte.
Staatsanwalt Johannes Pausch sieht zwar ebenfalls den abwesenden Vater der drei Geschwister als Haupttäter, als „Initiator und Erfinder“des Systems, er sagt aber auch: Man müsse „klar sehen, dass es ohne die Mitwirkung der Angeklagten nicht funktioniert hätte“. Die älteste Schwester habe spätestens im September 2015 Kenntnis des Anlagebetrugs gehabt und trotzdem weiter Gelder eingesammelt. Für sie fordert der Staatsanwalt vier Jahre und sechs Monate Haft, ihr Verteidiger eine Strafe am unteren Ende des vereinbarten Rahmens – die Grenze liegt hier bei drei Jahren und neun Monaten. Für ihren Bruder, ursprünglich wegen Betrugs angeklagt, fordert der Staatsanwalt nunmehr nur noch wegen Beihilfe dazu drei Jahre und drei Monate, die Verteidigung zwei Jahre und neun Monate. Bei der jüngsten Schwester wurden die Vorwürfe auf Schwarzarbeit und Insolvenzverschleppung beschränkt, bei ihr läuft es auf eine Bewährungsstrafe hinaus.
Bleibt der Vertriebsleiter. Hier gab es keine Verständigung, keinen Deal. Hier ist die Diskrepanz zwischen den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung am größten. Vier Jahre Haft auf der einen Seite, zwei Jahre auf Bewährung auf der anderen. Die Verteidigung sieht lediglich eine Beihilfe. Der Mann sei Angestellter gewesen und habe von den Taten auch nichts gehabt, sagte Anwalt Moritz Bode. Der Staatsanwalt spricht von „eigenen Taten des Angeklagten“, zudem von der Vorstrafe des Mannes wegen Betrugs aus dem Jahr 2015.