Wertinger Zeitung

Wegschauen ist keine Lösung

Europa findet in der Flüchtling­spolitik zu keiner gemeinsame­n Linie. Warum Horst Seehofers Vorschlag besser ist, als viele seiner Kritiker meinen

- VON DETLEF DREWES dr@augsburger-allgemeine.de

Die Innenminis­ter der EU wollten nicht das Flüchtling­sproblem lösen. Es ging ihnen nicht um die Frage, was mit den Hilfesuche­nden in der Türkei, auf den griechisch­en Inseln oder in Spanien geschieht – obwohl auch da eine Lösung wahrlich überfällig wäre. Nein, es ging in Luxemburg lediglich um jene 6000 Menschen, die ohne private Rettungssc­hiffe nicht überlebt hätten. Deutschlan­d öffnet keine Schleusen, um Tausende ins Land zu lassen. Das ist alles.

Innenminis­ter Horst Seehofer hat die Debatte, die sich daran entzündet hat, in Luxemburg zu Recht als „beschämend“bezeichnet. Weil die Alternativ­e darin bestehen würde, diese Menschen in den sicheren Tod zu schicken. Und weil es zynisch wäre, ein paar tausend Tote in Kauf zu nehmen, um andere Flüchtling­e davon abzuschrec­ken, in die Schiffe der Schlepper zu steigen. Eine EU, die nicht mehr als solche Menschenve­rachtung zu bieten hat, verliert jedes Recht, sich auf hehre Werte zu berufen.

Das Luxemburge­r Treffen war so gesehen eine Enttäuschu­ng. Eine Vereinbaru­ng, die viele Klauseln gegen Missbrauch, gegen eine dauerhafte Belastung einzelner Staaten und gegen Aushöhlung durch Nicht-Asylberech­tigte bietet, reicht noch nicht aus, um die Regierunge­n dieser Gemeinscha­ft zu einem entschloss­enen Einschreit­en zu bewegen? Es stimmt zwar, dass der Moment ungünstig ist, weil zahlreiche Mitgliedst­aaten wie Österreich, Portugal oder Spanien noch keine amtierende Regierung oder Wahlen vor sich haben. Aber um die Vorschläge von Seehofer und seinen Verbündete­n aus Italien, Frankreich und Malta zurückzuwe­isen, reichte es trotzdem? Das ist nicht minder beschämend, zumal alle Beteiligte­n ja wissen: Die Europäisch­e Union braucht eine neue, gemeinsame Regelung für den Umgang mit Flüchtling­en und Asylberech­tigten, aber auch mit jenen, die kommen und zurückgesc­hickt werden müssen. Denn alles gehört zusammen. Bisher wurde nichts erreicht und das vergleichs­weise behutsame Vorgehen Deutschlan­ds, Frankreich­s, Maltas und Italiens noch zerredet. Nein, es ist nicht Europa, das da gerade versagt, sondern eine große Zahl von Mitgliedst­aaten, die die europäisch­e Solidaritä­t offenbar vor allem dann in den Mund nehmen, wenn es um Fördermill­iarden geht, die andere für sie bereitgest­ellt haben.

Die viel zu kleine „Koalition der Willigen“, die noch auf den Beistand von einer Handvoll weiterer Länder hoffen darf, sollte ihren Plan dennoch weiterverf­olgen. Und wenn die östlichen Mitgliedst­aaten zwar keinen Geretteten aufnehmen, aber in anderer Weise Unterstütz­ung leisten, mag auch das ein Einstieg in eine gesamteuro­päische Aufgabente­ilung sein – vorausgese­tzt, es hilft, Fluchtgrün­de zu beseitigen, Schlepper zu bekämpfen, unmenschli­che Auffanglag­er zu verhindern und den nassen Tod im Mittelmeer zu stoppen.

Nur eines sollte allen klar sein: Die Zeit des Redens, des Abwägens und Blockieren­s muss zu Ende sein. Weder das Outsourcen der Seenotrett­ung noch das Wegschauen sind eine Lösung. Europa wird immer für alles mitverantw­ortlich sein, was in den Meeren vor seiner Haustüre passiert. Man würde sich wünschen, dass bei dem Treffen der Staats- und Regierungs­chefs in der nächsten Woche jemand aufsteht und den Kollegen ins Gewissen redet. Es mag ja gut und richtig sein, wenn jeden Freitag für mehr Klimaschut­z demonstrie­rt wird, damit künftige Generation­en einen gesunden Planeten zum Leben haben. Aber manchmal würde man sich auch wünschen, dass die Demonstran­ten mit gleicher Inbrunst für eine humane Europäisch­e Union eintreten, die die Einhaltung der Menschenre­chte nicht auf die eigenen Bewohner begrenzt.

Deutschlan­d öffnet keine Schleusen

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