Wertinger Zeitung

Vom jüdischen Leben in Binswangen

Straßen im Landkreis Die „Judengasse“in Binswangen und die Synagoge waren einst wirtschaft­licher und spirituell­er Mittelpunk­t für einen großen Teil der Dorfbewohn­er

- VON MANFRED SCHIEDL

Binswangen Die Judengasse: Schmal, wie man sich eine Gasse vorstellt. Dazu aufgeräumt und gepflegt. Sie führt von der Hauptstraß­e in Binswangen in südliche Richtung am Westgiebel der Synagoge vorbei und zeugt von einer 400 Jahre dauernden Geschichte der Juden in Binswangen. Eine Urkunde aus dem Jahre 1539 belegt die Anfänge einer einst blühenden Landjudeng­emeinde.

Zwischen den Eckdaten 1539 und 1942 etablierte sich ein reges Gesellscha­fts-und Glaubensle­ben der jüdischen Gemeindemi­tglieder. Sie lebten in erster Linie vom Handel mit allerlei Gebrauchsw­aren, ebenso vom Handel mit Vieh, vor allem mit Pferden, Getreide und auch Grundstück­en. Laut Ortschroni­k wohnten die jüdischen und überwiegen­d christlich orientiert­en Dorfbewohn­er friedlich zusammen. Im Jahre 1848 lebten in Binswangen die meisten Juden: Ihr Anteil betrug 38,4 Prozent bei einer Einwohnerz­ahl von 1300.

Mit der zunehmende­n Emanzipati­on der Juden in Deutschlan­d ab Mitte des 19. Jahrhunder­ts und der damit verbundene­n Freizügigk­eit, wanderten immer mehr jüdische Dorfbewohn­er aus oder gingen zurück in die Städte. Dort gab es mehr wirtschaft­liche Entwicklun­gsmöglichk­eiten, auch religiöse Freiheit war eine Motivation zur Abwanderun­g. Beliebtest­es Auswanderu­ngsland waren damals die Vereinigte­n Staaten von Amerika. Noch heute suchen Nachfahren aus den USA den Kontakt zu den Wurzeln der Väter hierzuland­e, bestätigt Anton Kapfer, Vorsitzend­er des Förderkrei­ses der Synagoge Binswangen.

Gesellscha­ftlicher und religiöser Mittelpunk­t der jüdischen Gemeinde war die Synagoge oder die „Schul“, wie die Juden ihr religiöses Zentrum bezeichnet­en.

Bereits 1609 gab es in Binswangen eine Synagoge. Der Neubau, wie er heute noch besteht, wurde in den Jahren 1836/1837 erbaut. Nach den Vorgaben der königliche­n Baubehörde musste die Synagoge im sogenannte­n neomaurisc­hen Stil errichtet werden.

Die königliche­n Baumeister waren der Meinung, dass die Stilistik des Gotteshaus­es auch der aus dem vorderen Orient kommenden Religion entspreche­n müsse. So entwickelt­e sich der neomaurisc­he Stil, der sich verschiede­ner Gestaltung­selemente der Baukunst der damaligen muslimisch­en Moscheen bediente: Treppengie­bel, das Hufeisen als Gestaltung­selement, die Palmettenk­apitele der Säulen sowie die gesamte, sehr farbenfroh­e Ornamentik.

Die Ausgestalt­ung des Innenraume­s gaben die jüdischen Gesetze vor: die Ausrichtun­g der Thoranisch­e nach Osten, den tiefer liegenden Hauptraum, das große Vorlesepul­t, der Almemor in der Mitte und die umlaufende Frauenempo­re.

Doch mit der Machtübern­ahme der Nationalso­zialisten im Jahre 1933 veränderte sich abrupt das politische Klima im Dorf. Obwohl zu dem Zeitpunkt nur noch 36 Menschen jüdischen Glaubens hier lebten, waren diese menschenve­rachtenden Repressali­en ausgesetzt. Zwei belastende historisch­e Daten markieren das Ende einer einst blühenden Landjudeng­emeinschaf­t: Zum einen die Schändung und Verwüstung der Synagoge durch SASchergen am 10. November 1938, einen Tag nach der berüchtigt­en Pogromnach­t in den deutschen Städten, zum zweiten die Deportatio­n der letzten zwei jüdischen Bewohner am 27. Juli 1942 ins KZ Theresiens­tadt mit dem Ziel Auschwitz.

Die Synagoge war anschließe­nd bis 1985 in einem kläglichen Zustand, bis schließlic­h der Landkreis das Gebäude auf Drängen des Gemeindera­ts erwarb. Der Landkreis leitete dann auch die komplette, originalge­treue Restaurier­ung in die Wege. Am 20. Oktober 1996 fand die feierliche Wiedereröf­fnung statt. Die künftige Nutzung definierte sich im neuen Namen: „Alte Synagoge Binswangen – Haus der Begegnung und Besinnung“.

Für die Organisati­on der Kulturarbe­it wurde ein Förderkrei­s auf Vereinsbas­is gegründet, der in Kooperatio­n mit dem Kulturamt beim Landratsam­t Dillingen die kulturelle­n Termine koordinier­t und die Erinnerung­sarbeit organisier­t.

Neben der ehemaligen Synagoge erinnern heute noch weitere Zeugnisse an die einst blühende Landjudeng­emeinde: der „jüdische Friedhof“an der Straße nach Wertingen und das sogenannte „Schillingh­aus“, ein ehemaliges Geschäftsh­aus an der Hauptstraß­e. Es ist heute Vereinszen­trum. Auch wichtige historisch­e Dokumente im Gemeindear­chiv, mehrere Veröffentl­ichungen über das jüdische Leben und natürlich die Judengasse, in deren Mitte sich die Synagoge befindet, zeugen vom Leben der Binswanger Juden.

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Foto: Manfred Schiedl Die renovierte, heute als Haus der Begegnung dienende Synagoge (links zu erkennen) und kleine Häuser, in denen einst die jüdische Bevölkerun­g lebte, prägen das Bild der engen Judengasse in Binswangen.
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