Das aktuelle Thema Soll die Meisterpflicht wieder für alle Handwerksberufe gelten?
Die Rückkehr zur Meisterpflicht für zwölf Berufe ist ein Fortschritt. Zunächst einmal für die Verbraucher. Der Meistertitel hat in Deutschland einen guten Ruf – ähnlich, wie früher der Ingenieur. Er steht für eine hohe Qualität der erbrachten Leistung. Seit der Abschaffung der Meisterpflicht für über 50 Berufe im Zuge der Agenda-2010-Reformen bedurfte es in vielen Bereichen keines Meisters mehr, um ein Gewerbe anzumelden. Die Folge: Die Zahl der Solo-Selbstständigen stieg sprunghaft an, bei den Fliesenlegern zum Beispiel der Deutschen Handwerkszeitung zufolge von rund 1000 im Jahr 1995 auf rund 28700 im Jahr 2015. Die neuen Anbieter lieferten Dienstleistungen billiger, es häuften sich aber auch Berichte über Qualitätsprobleme. Wer weiß, was bei dem Verlegen von Fliesen alles schiefgehen kann, ahnt, worum es geht.
Dazu kommt ein anderer, wichtiger Punkt: Die Meisterpflicht sichert die Fachkräfte für morgen. Der Meistertitel ermöglicht es in Deutschland, Lehrlinge ausbilden zu können. Die duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule gilt international als Erfolgsmodell. Warum sollte man es ohne Not untergraben? Mit dem Wegfall der Meisterpflicht für zwölf Berufe sanken aber die Ausbildungszahlen. Zurück zum Beispiel des Fliesenlegers: Im Jahr 2002 machten nach Angaben des Fachverbands Fliesen und Natursteine deutschlandweit noch knapp 4500 junge Leute eine Lehre zum Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, 2016 waren es nur noch etwas mehr als 2200 – also weniger als die Hälfte.
Für zwölf Berufe will die Regierung jetzt zur Meisterpflicht zurückkehren: Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, Betonsteinhersteller, Estrichleger, Behälter- und Apparatebauer, Parkettleger, Rollladenund Sonnenschutztechniker, Drechsler, Böttcher, Raumausstatter, Glasveredler, Orgel- und Harmoniumbauer sowie Schilder- und Lichtreklamehersteller.
Es ist Zeit, auch Berufe wie Fotografen, Brauer oder Schuhmacher stärker zu schützen. Wer hat am Ende schon gerne unscharfe Hochzeitsfotos? E inen Handwerker zu bekommen, kann sich derzeit als schwierig gestalten. Der Bauboom sorgt auch im Handwerk für volle Auftragsbücher. Was dann passiert, erklärt sich aus der Theorie der freien Märkte: Ist das Angebot knapp, steigen die Preise. So lange, bis sich genügend neue Anbieter finden und sich ein neues Gleichgewicht einstellt. Was aber, wenn kaum neue Anbieter auf den Markt kommen, weil die alteingesessenen ihr Revier erfolgreich abschirmen?
Ein klassischer Fall für die Ordnungspolitik, sollte man meinen. Für einen Staat, der es als seine Aufgabe sieht, nicht einzelne Branchen zu protegieren, sondern das Funktionieren des Marktes zu garantieren – zum Segen für alle Verbraucher. Die Rolle rückwärts mit der Aufhebung der Meisterpflicht beweist leider das Gegenteil. Die rot-grüne Bundesregierung hat im Zuge ihrer Arbeitsmarktreformen 2004 die Zahl der meisterpflichtigen Handwerksberufe von 94 auf 41 reduziert. Unterm Strich änderte sich für die Großzahl der Betriebe aber wenig, da die Reform die zahlenmäßig größten Gruppen kaum erfasste. Ohnehin garantiert der Meisterzwang lediglich, dass der Inhaber eines Betriebs eine höhere Qualifikation hat. Aber den Großteil der Arbeit auf der Baustelle erledigen in der Regel nicht der Betriebsinhaber, sondern Gesellen und Lehrlinge. Und wie jede erworbene Qualifikation und Fertigkeit verliert leider auch der Meistertitel über die Zeit an Wert. Viel wichtiger als ein Meistertitel ist die regelmäßige Weiterqualifizierung der Beschäftigten.
Wer tatsächlich glaubt, Meisterbetriebe würden keinen Murks abliefern, muss sich nur einmal mit einem Bauherren seiner Wahl unterhalten. Schwarze Schafe gibt es überall, sie auszusondern gelingt dem Markt besser als der Handwerksordnung. Nichts spricht dagegen, den Meistertitel als freiwillige Zusatzqualifikation aufrechtzuerhalten. Ein besonderes Qualifikationsniveau rechtfertigt auch höhere Preise. Aber jeder Verbraucher sollte die Chance haben, Leistung und Preis so zu wählen, wie es ihm ausreichend und angemessen erscheint. Oder überhaupt einen Handwerker zu bekommen.