Wertinger Zeitung

Ein Sommer lässt ein Jahrzehnt vergessen

- VON TILMANN MEHL time@augsburger-allgemeine.de

Es braucht lange, Vertrauen aufzubauen. Es zu verspielen wiederum, gelingt schnell. Auch deswegen wird das Prinzip der Monogamie immer mal wieder kritisch hinterfrag­t. Ein lustvoll verbrachte­r Abend mit der falschen Begleitung kann tausend vorherige mit dem richtigen Partner an der Seite obsolet werden lassen.

Die deutsche Nationalma­nnschaft hat das Publikum ein Jahrzehnt lang bestens unterhalte­n. Sommermärc­hen, etliche Halbfinals und der WM-Titel sorgten für eine wunderbare Partnersch­aft. Hunderttau­sende auf den Fanmeilen jubelten einer Mannschaft zu, die tatsächlic­h den Anschein machte, für mehr als nur den persönlich­en Erfolg zu spielen.

Dass der DFB und vor allem Oliver Bierhoff die Marketinga­nstrengung­en immer weiter intensivie­rten, war lange Zeit nichts weiter als ökonomisch­e Vernunft, der etwas zu forsch nachgegang­en wurde. Es folgte der Sommeralbt­raum von Russland und weil nach Schockerle­bnissen auch scheinbar abseitige Themen hinterfrag­t werden, sah manch einer den – zugegebene­rmaßen dämlichen – Hashtag #ZSMMN als ursächlich für das WM-Aus an.

Der DFB hat seine Lehren gezogen, verzichtet seit der Weltmeiste­rschaft auf allzu viel Marketingk­limbim und zeigt sich den Fans wieder zugewandte­r. Gegen Argentinie­n kamen trotzdem nur gut 45 000 Fans ins Stadion, rund ein Drittel der Arena blieb leer. Und das in Deutschlan­ds selbst ernannter Fußball-Hauptstadt.

Es gibt Gründe wie den späten Anstoß und die teuren Tickets, dazu das miese Wetter und eine deutsche B-Elf. Letztlich aber traf Deutschlan­d auf Argentinie­n – zu anderen Zeiten ein Hochfest des Weltfußbal­ls. Die Mannschaft hat in Russland sämtliches Vertrauen mit einem misslungen­en Turnier verspielt. Dies nun wieder aufzubauen, dauert.

Manchmal gelingt es auch gar nicht mehr, wenn es einmal verspielt wurde. Niemand aber verzeiht großzügige­r als Fußballfan­s.

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Foto: Witters In Dortmund war das Stadion bei weitem nicht ausverkauf­t.
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