Opa wird’s schon richten
Familie Am Sonntag gibt es erstmals in Bayern einen Tag für Großeltern – um ganz offiziell ihre Bedeutung zu würdigen. Warum für Laura Opa der Beste ist und ein Comedy-Autor niemals einen Witz über die alten Herren machen würde
Buxheim Laura klopft an Opas Bauch. Weil der gerade, zwischen Wohnzimmer und Flur stehend, mit Oma spricht. „Opa“, ruft Laura, und patscht mit der flachen Hand auf den Opa-Bauch. „Ooopi!“Franz Waibel bückt sich zu ihr herunter und lächelt sie an. „Ja?“„Magst du mit zum Spielplatz, Opi?“„Na klar.“
Und schon sind Laura, 5, und Opa, 72, unterwegs. Oma Rita muss natürlich auch mit. Und Puppe Paul, eingemummelt in Kuscheldecken. Ausgerechnet jetzt hat es angefangen zu regnen. Blöder noch: Kaum drei Meter von der Haustür entfernt fällt ein Rad vom Puppenwagen. „Opa, Unfall!“, sagt Laura. Kein Problem für Opa.
Weiter geht’s, in Richtung Spielplatz neben der Kartause Buxheim bei Memmingen und dann erst mal ins frühere Kloster hinein. Der Regen. Laura war schon oft hier, wenn sie ihre Großeltern besuchte. Wie an diesem Tag, an dem der Kindergarten geschlossen hat und ihre Eltern arbeiten müssen. Im Kreuzgang singt sie gerne, weil sie das Echo mag. Und das geschnitzte Chorgestühl aus dem 17. Jahrhundert. Puppe Paul ist zum ersten Mal da – und schläft, als Franz Waibel seiner Enkelin den hölzernen Erzengel Michael und den biblischen König David mit seiner Harfe zeigt. Laura schaut die Figuren an, mit großen Augen und ganz still. Puppe Paul soll ja nicht aufwachen.
Ein typischer Oma-Opa-Tag bei den Waibels. Auch ihnen zu Ehren gibt es in Bayern fortan einen „Großelterntag“. Oder, wie es in der Pressemitteilung der Bayerischen Staatskanzlei vom 10. September unter Punkt drei von fünf fast, aber nur fast ein wenig staatstragend heißt: Der Einsatz der Großeltern „für die Familie kann nicht hoch genug geschätzt werden. Sie leisten auch vor dem Hintergrund des demografischen und gesellschaftlichen Wandels einen unverzichtbaren Beitrag für den Zusammenhalt der Gesellschaft“. Die Bayerische Staatsregierung führe deshalb als erstes Bundesland einen eigenen Tag zu Ehren der Großeltern, den sogenannten Großelterntag, in Bayern ein. Premiere ist eben an diesem Sonntag.
Paulus Vennebusch findet das großartig. Ohne Witz. Das „ohne Witz“muss man bei ihm erwähnen, weil er einer der erfolgreichsten Comedyautoren des Landes ist. Er schreibt Gags und Moderationen für „Verstehen Sie Spass?“oder „Dittsche“. Für den „Verstehen Sie Spass?“-Film, der kürzlich mit Entertainer Thomas Gottschalk als Versteckte-Kamera-Opfer in Bad Wörishofen gedreht wurde, wird er die Texte liefern. Die Sendung läuft am 21. Dezember.
Vor etwas mehr als zwei Jahren hat Vennebusch das Büchlein „Opa für Einsteiger“geschrieben. Ein liebenswürdiges Sammelsurium aus Zitaten und Ratschlägen für frischgebackene Opas – nicht zuletzt eine Hommage an seinen Vater, den Großvater seiner vier Kinder: 15, 13, 4, 2 Jahre alt. Der hat, wie Vennebusch, eine Wohnung in Köln und dort einen Schrank samt Kuriositätenkabinett. Eine Spielkarte aus dem 17. Jahrhundert, ein römisches Öl-Lämpchen ...
Vennebusch senior ist 85 und ein Geschichtenerzähler, weniger ein Baumkletterer oder Schnitzmeister. Sagt Paulus Vennebusch. Seine Kinder lieben die Geschichten ihres Opas, nicht nur die zu Spielkarte und Öllampe. Vennebusch junior beobachtet mit Rührung und Stolz, wie sehr sein Vater in die Welt der Enkelkinder hineintaucht. Sich von den älteren zeigen lässt, wie ein Smartphone funktioniert, und mit den jüngeren „Feuerwehrmann Sam“auf dem Fußboden spielt.
„Ich habe das Gefühl, dass er mit seinen Enkelkindern nachholt, was er bei seinen eigenen Kindern versäumt hat“, sagt Paulus Vennebusch. Inklusive Wickeln. Denn gewickelt oder gefüttert habe sein Vater die eigenen Kinder nie. Damals in den 70ern seien die Rollen eben verteilt gewesen: Vater in der Arbeit, Mutter zu Hause.
Franz Waibel aus Buxheim kennt das. Sein Vater war Allgemeinarzt, um 6 Uhr in die Praxis und erst um 22 Uhr wieder nach Hause gekommen. Sei nachts zu Notfällen oder Hausgeburten gerufen worden. „Ich habe ihn teils wochenweise nicht gesehen“, erzählt er. Ihm und seinen Geschwistern habe das weh getan. „Ich wollte das anders machen.“Bei seinen Kindern und seinem Enkelkind. Mit 60 ging der Elektroingenieur in Altersteilzeit, vor fünf Jahren wurde Laura geboren. Franz Waibel kümmerte sich bereits um sie, da war sie ein halbes Jahr alt. Dienstags war Opa-Tag, und er wickelte sie, gab ihr das Fläschchen, passte auf, als sie schlief. Lauras Mutter wird später sagen: „Bei Laura geht nichts ohne den Opa.“
An diesem Tag in Buxheim geht nichts ohne Opas Heißklebepistole, mit der er und Laura KastanienKürbis-Monster basteln. Mit Glitzer versteht sich. Mit Tannenzapfen-Schwänzen, Stöckchen-Bart, Moos-Haaren. Und ein Einhorn mit Muschel-Hut. „Verrückt, verrückt, verrückt“, sagt Laura; sagt: „Opa, du hast Glitzer am Finger.“Wenn die beiden basteln, scheinen sie völlig in ihrer Opa-Laura-Welt zu verschwinden.
Man kann sich sehr lange mit Erhard Chvojka über Omas und Opas und deren Welten unterhalten. Der 54-jährige Wiener Historiker erforschte als einer der ersten Wissenschaftler im deutschsprachigen Raum die „Geschichte der Großelternrollen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert“. Das ist auch der Titel seines knapp 400-seitigen Buches, in dem er mit mancher Klischeevorstellung aufräumt. Über die Großmutter, vor allem aber über den Großvater. Eine Rolle, die sich in den vergangenen 250 Jahren stetig gewandelt habe.
Also: Hier eine kleine Reise durch die Jahrhunderte. Doch zunächst die Frage an den Forscher: War der Opa einst nicht ein strenger Mann im Ohrensessel, der sich nicht sonderlich für seine Enkel interessierte?
Erhard Chvojka lacht in seinen Telefonhörer. Nein, nein, der Opa sei Mitte des 18. Jahrhunderts eine Art erweiterter Vater gewesen, ein Lehrmeister und Zeitzeuge. Einer, der von früheren Ereignissen berichten konnte. Einer, der offenbar sehr liebevoll im Umgang mit den Enkelkindern war. Und dies sei Norm und Realität gewesen – zu eisei ner Zeit, als die Großmutter-Rolle noch gar nicht definiert gewesen sei. „Im 19. Jahrhundert wird der Opa im Vergleich zum Familienvater schließlich immer weicher“, erklärt Chvojka. Der Vater erscheine als eine tendenziell autoritäre und strenge Figur, bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein; der Großvater dagegen sei „der liebe, alte Mann“. Gemälde zeigten Großväter, wie sie Säuglinge in der Wiege schaukeln, wie sie Kleinkinder auf dem Schoss haben, wie sie sie im Haus betreuen, während die Eltern arbeiten. „Der Opa war im 19. Jahrhundert ein sehr moderner Mann“, sagt Chvojka. Überhaupt: Das 19. Jahrhundert sei ein „Opa-Jahrhundert“gewesen.
Er ergänzt: Damals wurde der Oma nicht so viel zugetraut, sie galt schnell als überfordert. Besonders spannend findet Chvojka, dass sich der Opa gleichermaßen seinen männlichen wie weiblichen Enkeln zuwendete. Während die Oma eher auf die Betreuung der Mädchen festgelegt worden sei. Willkommen in der Welt der Geschlechter-Stereotype! Die geprägt wurden durch Gemälde, Schulbücher, Erziehungsratgeber.
Und weiter geht die Zeitreise mit Erhard Chvojka. Ab dem 20. Jahrhundert bekomme der Opa ein Image-Problem, „die Oma übernimmt“. Davon habe sich der Opa nicht erholt. Am Anfang des 21. Jahrhunderts sei es nach wie vor die Oma, der selbstverständlich die Betreuung
„Opa, du hast Glitzer am Finger“, sagt Laura
Das 19. Jahrhundert war ein „Opa-Jahrhundert“
der Enkel zukomme. Chvojka redet über Rollenbilder, gesellschaftliche Zuschreibungen und deren Wandel. Über das Große und Ganze, das ständige Hin und Her. „Wir haben jetzt eine Generation von Großvätern, die in einer sehr traditionellen, patriarchalischen Nachkriegsgesellschaft ihre Rolle als Vater erlebt und eingeübt haben“, sagt er. „Sie tun sich mitunter schwer damit, der liebe und weiche Opa zu sein.“In 20, 30 Jahren werde das wieder anders sein. Moderne Väter würden dann zu modernen Großvätern.
Eine Rolle, auf die sich Comedyund Opa-Buch-Autor Paulus Vennebusch freut. Wobei: Seine 15-jährige Tochter könne sich ruhig Zeit lassen ... „Großeltern haben alle Vorteile, die Nachteile überlassen sie den Eltern – das ist eine sehr komfortable Situation“, findet er. Bei der Recherche für sein Buch überraschte ihn, dass der Einstieg ins Großeltern-Dasein früher stattfinde als er gedacht habe. Im Durchschnitt sei knapp die Hälfte der deutschen Großeltern beim ersten Enkelkind zwischen 50 und 60 Jahre alt. Wo er Opas doch mit sandfarbenen Strickjacken verband und er ja nun wirklich kein SandfarbeneStrickjacken-Träger sei. Aber bitte: Lustigmachen über „diese netten Menschen“will sich der 51-Jährige nicht. „Man müsste den Opa erfinden, wenn’s ihn nicht gäbe.“Sagt Vennebusch und hat einen Einfall: eine „Großeltern-Danke-Show“. Könnte man dem Bayerischen Fernsehen vorschlagen. Ohne Witz.