Die andere Kino-Angst
Kürzlich hatten wir’s hier von der Gratwanderung des Horrors. Wenn mal wieder ein Streifen als Kunstwerk nicht nur für GenreFans gepriesen wird (von „Get out“bis „Midsommar“) – wann soll man sich als mit dem Leinwandschrecken Fremdelnder dafür dann dem Risiko aussetzen, Sachen zu sehen, die man gar nicht sehen will? Aber genau die gleiche Erscheinung gibt es ja auch auf einem viel breiteren Feld.
Da war ja kürzlich „Der Distelfink“. Großartiger Roman! Aber soll man riskieren, in den Film zu gehen und sich rückwirkend das Buch durch plakative Bilder und die Geschichte durch einen verkürzten Plot beschmutzen lassen? Ist ja schon oft genug passiert so was. Trifft ja längst nicht jeder den Kern wie David Finchers den Chuck Palahniuks mit „Fight Club“. Wie viele Versuche von Tolstois „Anna Karenina“sind bei noch so prominenter Besetzung schon schief gegangen? Aber wie gut ist schon so einiges von Jane Austen ins Bild gesetzt worden! „Stolz und Vorurteil“etwa. Zwischen der Vernichtung von Legenden und ihrer glorreichen Auferstehung ist alles möglich. Da kann beim Gang ins Kino schon Angst hochkommen.
Zumal die Filmwelt längst ja auch ihren eigenen Legenden das Gleiche antut. Die ganzen Neu-Verfilmungen, klar. Aber auch: Warum versucht die „Terminator“-Reihe demnächst ein ganz neues Andocken an Teil zwei? Weil alles danach selbstzerstörerischer Mist war! Warum musste Stallone die ursprünglich starken Milieu-Figuren Rocky und Rambo retten? Weil er sie selbst verramscht hatte – und es inzwischen schon wieder tut. Und wann hätte man besten aufgehört, „Star Wars“zu schauen, bevor sich der Mythos selbst verzehrt hat? Aber dann hätte man womöglich das starke Spin-off „Rogue One“verpasst! Wenn man’s nur mit dem nötigen Ernst nimmt, ist wirklich jeder Kino-Gang ein Abenteuer.