Der Arzt kommt nach sieben Stunden
Gesundheit Einem Mann aus dem Oberallgäu geht es schlecht. Er ruft die Nummer 116 117 an und wartet auf einen Mediziner – den halben Tag lang. Was die Kassenärztliche Vereinigung dazu sagt
Oy-Mittelberg Das Netz notärztlicher Versorgung in Bayern weist immer wieder Löcher auf. Der Fall aus der Stadt Aichach, wo jüngst im Zeitraum von neun Tagen immer wieder kein Notarzt zur Verfügung stand (wir berichteten), ist wohl nur ein Einzelfall. An diesem Mittwoch will das Bayerische Rote Kreuz (BRK) konkrete Zahlen über den Notarztmangel für ganz Bayern vorstellen. Während man in schweren Fällen mit der Nummer 112 einen Notarzt rufen kann, bietet die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) unter der Nummer 116117 für medizinisch leichtere Fälle einen Service, bei dem – wenn es geboten ist – ein Arzt auch Hausbesuche macht. Doch auch bei diesem Angebot gibt es offenbar manchmal Lücken – wie ein aktueller Fall aus OyMittelberg im Oberallgäu belegt.
Am Samstag, 14. Dezember, hatte ein heftiger Brechdurchfall Kurt Bruckner schwer erwischt. Der 72-Jährige hatte sich offenbar bei seiner Frau angesteckt, die schon zwei Tage zuvor mit diesen Symptomen flachgelegen war. „Als es meiner Frau so schlecht ging, riefen wir unsere Hausärztin an. Und die kam, es war ja unter der Woche, und legte eine Infusion“, erzählt er unserer Redaktion.
Während es der Ehefrau dann besser ging, war zwei Tage später – nunmehr Samstag – Kurt Bruckner an der Reihe. „Ich war von dem Brechdurchfall sehr schwach, hatte Schüttelfrost“, erinnert er sich. Doch am Samstag kann man natürlich nicht den Hausarzt anrufen, die Praxis ist ja geschlossen. „Darum habe ich die Telefonnummer 116117 gewählt“– die bundesweit gültige Rufnummer für den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst. „Das war gegen zehn Uhr morgens. Dort sagte man mir, dass bald jemand kommt. Wir warteten Stunde um Stunde, aber niemand kam.“Ein zweites Mal, sagt er, habe er nicht angerufen, er wollte keine großen Umstände machen, das sei nicht seine Art.
Gegen 17.30 Uhr – also mehr als sieben Stunden später – kam dann endlich der Arzt, der nach eigenen Angaben aus München stammte. Darum habe es länger gedauert. Der Mediziner habe lediglich den Bauch abgehört. „Er sagte: Darin rumpelt es. Bis Montag sind Sie aber wieder gesund.“Sonst habe der Arzt nichts gemacht. Auch kein Medikament dagelassen, nur ein Rezept für ein Mittel, das die Bruckners selbst in einer Apotheke einlösen mussten. Kurt Bruckner war dann am Sonntag tatsächlich wieder auf dem Weg der Besserung. „Was ich aber nicht verstehe: Früher gab es doch eine viel bessere Versorgung. Wieso geht das jetzt nicht mehr?“, fragt Kurt Bruckner. In Oy gebe es ja auch heute noch drei Arztpraxen.
Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern wollte gegenüber unserer Redaktion den Fall aus Oy – unter Verweis auf den Datenschutz – nicht kommentieren. Wo der Arzt seinen Wohn- oder Praxissitz habe, sei nicht von Belang. Der Mediziner habe sich aber am Tag des Dienstes natürlich in der Versorgungsregion aufzuhalten. Davon sei auch in dem beschriebenen Fall auszugehen. Wenn sich Patienten mit Problemen melden, würden diese nach Priorität versorgt, erläutert Pressesprecher Axel Heise. Das Festlegen der Behandlungsreihenfolge obliege dann stets dem diensthabenden Arzt.
Ist womöglich der verstärkte Einsatz von Notfallsanitätern ein Ausweg aus dem Thema Notärztemangel? Fakt ist: Der Gesetzgeber hat die Ausbildungsvorschriften für das Berufsbild des früheren Rettungsassistenten erheblich verändert. Die Ausbildung zum nunmehr sogenannten Notfallsanitäter dauert drei statt bisher zwei Jahre. Frühere Rettungsassistenten müssen sich je nach Berufserfahrung entsprechend nachqualifizieren.
Und seit dem 1. Dezember 2019 dürfen sie sogar „kleinere ärztliche Maßnahmen an Patienten vornehmen“, wie das bayerische Innenministerium mitteilt. Selbst wenn kein Notarzt vor Ort ist. Zu diesen Maßnahmen gehören etwa das Verabreichen von bestimmten Schmerzmitteln, das Legen von intravenösen Zugängen, die Gabe von Elektrolytlösungen zur Kreislaufstabilisierung oder von Glucose bei Unterzucker. Alles aber nach einem bestimmten vorgegebenen Schema.
Doch beim BRK, bei dem viele Notfallsanitäter beschäftigt sind, würde man sich für diese Berufsgruppe noch mehr wünschen, so
BRK-Pressesprecher Sohrab Taheri-Sohi. „Notfallsanitäter sind für viel mehr ausgebildet, dürfen es aber nicht anwenden.“Stattdessen befinden sie sich in einer rechtlichen Grauzone. Sogenannte heilkundliche Tätigkeiten sind laut Gesetz eigentlich definitiv Ärzten und Heilpraktikern vorbehalten. Im Notfall und ohne Arzt in der Nähe müssen sie aber dennoch alles tun, was in ihrer Macht steht, sonst liegt schnell unterlassene Hilfeleistung vor. „Es muss endlich Rechtssicherheit geschaffen werden“, sagt Taheri-Sohi.
Der bayerische Ärztetag sprach sich im Oktober 2019 gegen einen solchen Vorstoß aus. Jodok Müller, Sprecher der bayerischen Landesärztekammer, teilt unserer Redaktion mit: „Das Thema wird innerhalb der Ärzteschaft weiter diskutiert und die Meinungen, welche Kompetenzen Notfallsanitäter bei der Versorgung von Patienten haben dürfen, gehen auseinander. Dabei wird insbesondere auf die Qualität in der Patientenversorgung und auf ungeklärte haftungsrechtliche Fragen verwiesen.“