Erneuerbar, seit hundert Jahren
Klimaschutz Die Wasserkraftwerke unserer Region liefern noch immer Strom für rund 320 000 Haushalte. Mit den Anlagen begann die Elektrifizierung Schwabens. Welches Potenzial die Wasserkraft für die Zukunft hat
Gersthofen Das Wasserkraftwerk in Gersthofen erinnert von außen an ein Schloss. Innen findet der Besucher aber keine Teppiche, keinen Stuck, keine Kristalllüster. Stattdessen schlagen ihn riesige Turbinen und Generatoren in den Bann. Ein Dröhnen erfüllt den Raum, der Boden unter den Füßen vibriert. Zehn Meter stürzt hier das Wasser des Lechs durch Röhren auf die Schaufeln von fünf Turbinen, Generatoren verwandeln die Energie in Elektrizität. Seit 1901 ist das Kraftwerk in Betrieb und liefert Strom. Robuste Technik aus Stahl, greifbar, solide. Im Normalfall laufen die Turbinen, ohne dass ein Mensch dabei ist. Erst im Nachbargebäude trifft man wieder Beschäftigte. Die wenigen Schritte dorthin bedeuten auch einen Zeitsprung um mehr als 100 Jahre, hinein in das digitale Zeitalter.
Von der Warte in Gersthofen beobachten und steuern gerade Günther Wiedemann, 46, und John Hensley, 45, das Kraftwerk – zusammen mit den anderen der insgesamt 36 Wasserkraftwerke, welche die LEW Wasserkraft GmbH in unserer Region betreibt. Kameras übertragen Bilder der Anlagen live auf Bildschirme, auf Computermonitoren sind die aktuelle Leistung, Wasserstand, Störungen und andere Daten abzulesen. Hier, von Gersthofen aus, können die Mitarbeiter die Anlagen an Lech, Iller, Günz, Donau und Wertach steuern. Turbinen lassen sich an- und herabfahren, Wehranlagen schließen. Auch der erzeugte Strom wird vermarktet. Mit der Diskussion um den Klimaschutz wird die alte Energieform Wasserkraft plötzlich wieder wichtiger.
Die bayerischen Wasserkraftverbände begrüßten am Donnerstag zwar Bayerns Bemühungen um den Klimaschutz und den Entwurf des bayerischen Klimaschutzgesetzes. Sie forderten aber auch ein „wohlwollendes und zielgerichtetes Handeln der Verwaltung“für die klimaneutrale Stromerzeugung aus Wasserkraft. Nötig seien weniger Bürokratie und eine „Erleichterung von Genehmigungsverfahren“.
Wasserkraft gilt als die älteste erneuerbare Form der Stromerzeugung. „Über hundert Jahre wird die Wasserkraft zur Stromerzeugung genutzt“, sagt Norbert Schürmann, Vorstand der Lechwerke. „Erst in den letzten zwanzig Jahren sind Biogas, Windkraft und Photovoltaik immer wichtiger geworden.“Rund 14,5 Prozent der Stromerzeugung in Bayern stammt heute aus Wasserkraftwerken, berichtet der Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW).
Das Kraftwerk in Gersthofen gilt dabei als das erste große Wasserkraftwerk Bayerns. Von hier aus wurde das Stromnetz in Schwaben ausgebaut, berichten die LEWFachleute. Der Hauptzweck des Kraftwerks war seinerzeit, die in Gersthofen entstehende Chemie-Industrie mit Strom zu versorgen. Ab den 70er-Jahren kam dann in Bayern der Atomkraft eine zentrale Rolle in der Energiegewinnung zu.
Vor allem durch die Energiewende nimmt die Bedeutung der Wasserkraft aber plötzlich wieder zu, meint Frank Pöhler, Geschäftsführer der LEW Wasserkraft GmbH. Denn während Elektrizität aus Wind und Sonne extrem schwankt, liefern die Wasserkraftwerke konstant Energie. „Strom aus Wasserkraft ist sehr planbar“, sagt Pöhler. Selbst im Sommer – bei Niedrigwasser – stünden rund 50 Prozent der möglichen Leistung sicher zur Verfügung.
Dazu kommen Vorteile für den Klimaschutz, berichtet LEW-Vorstand Schürmann. „Strom aus Wasserkraft ist CO2-frei und umweltverträglich“, sagt er. Rechnerisch sind die Lechwerke in der Lage, mit ihren Wasserkraftwerken Strom für 320000 Haushalte zu erzeugen. Rund 750 000 Tonnen des Klimagases CO2 werden eingespart, müsste dieser Strom aus Kohle gewonnen werden. „Viele unserer Kunden legen Wert darauf, Ökostrom zu beziehen“, meint der LEW-Vorstand. Daneben versorgt das Unternehmen seine rund 300 Ladepunkte für E-Autos mit Strom aus Wasserkraft. Wäre es da nicht sinnvoll, die Wasserkraft auszubauen?
Hier wird es komplizierter. Denn in den Flüssen lassen sich nicht beliebig viele neue Kraftwerke bauen. „Das Potenzial der Wasserkraft ist weitgehend ausgereizt“, meint LEW-Wasserkraft-Geschäftsführer Pöhler. Nach Verbandsangaben erzeugen Bayerns Wasserkraftwerke derzeit 12,5 Terawattstunden Energie im Jahr. Das bayerische Wirtschaftsministerium geht aber davon aus, dass es zumindest noch ein Potenzial für eine weitere Terawattstunde gibt. Der Branchenverband VBEW ist aber skeptisch, ob dies realisiert werden kann. „Zunehmende Anforderungen wie beispielsweise an die Höhe von Mindestwasserabgaben und Dotationsmengen von Fischaufstiegsanlagen gefährden massiv die Ziele der Bayerischen Staatsregierung“, kritisiert Geschäftsführer Detlef Fischer. Auch er fordert bessere Rahmenbedingungen für den Ausbau der Wasserkraft.
Kritisch ist dagegen der Bund Naturschutz, kurz BUND. Die Wasserkraftnutzung sei eine der wesentlichen Ursachen, weshalb die Arten- und Lebensraumvielfalt in Gewässern und der angrenzenden Aue stark zurückgegangen sei, sagt Christine Margraf. „Intakte Flussauen gehören zu den artenreichsten Ökosystemen in ganz Mitteleuropa.“Die Vielfalt sei nur zu erhalten, wenn Flüsse frei fließen und ihr Bett permanent umgestalten können. Wo möglich, sollten daher Verbauungen beseitigt oder wenigstens umgebaut werden, meint sie. Die Turbinen würden zudem Fische schädigen. Neue Kraftwerke wie sie an der Iller zwischen Memmingen und Neu-Ulm oder an der Ostrach in den Allgäuer Alpen diskutiert werden oder wurden, lehnt der BUND ab.
Bei den Lechwerken geht man davon aus, dass vor allem bestehende Anlagen modernisiert werden. Ein Beispiel: Das Wasserkraftwerk am Lechkanal in Meitingen habe neue Turbinenlaufräder bekommen. „Damit konnten wir den Wirkungsgrad um 14,8 Prozent steigern, das ist außergewöhnlich“, berichtet Pöhler. Doch Wasserkraftwerke dienen für ihn nicht nur der Stromerzeugung: „In vergangenen Jahrzehnten sollten die Querbauwerke auch verhindern, dass sich die eingedeichten Flüsse immer tiefer in das Flussbett eingraben“, erklärt er. Der Nachteil: „Die Querbauwerke behindern die Wanderung der Fische.“Durch Investitionen vor allem in Fischtreppen versucht man, das Problem zu lösen.
Die Wasserrahmenrichtlinie der EU schreibt vor, die Flüsse bis 2027 für Fische durchgängig zu machen, berichtet Pöhler. Was ist der Stand der Dinge? „Nach Investitionen in Fischtreppen sind Iller, Wertach und Günz inzwischen komplett durchgängig – und das großteils mit naturnahen Fischwanderhilfen, die gleichzeitig wertvolle Lebensräume darstellen“, berichtet er. „Die Donau und der untere Lech fehlen uns aber noch“, sagt er. Bis 2027 wollen die Lechwerke das Ziel erreichen. Daneben rückt der Naturschutz ins Zentrum der Arbeit der LEW Wasserkraft GmbH. In einem Pilotprojekt brachten die Lechwerke zum Beispiel nahe Legau und Altusried im Allgäu gezielt Kies in die Iller ein, um den Lebensraum für Fische attraktiver zu machen. Jetzt sollen Handlungsempfehlungen für andere Flussabschnitte in Europa entwickelt werden.
Denn von einem ist man bei den Lechwerken überzeugt: Dass die Wasserkraft Zukunft hat. In den nächsten Jahren sind auch Investitionen am Wasserkraftwerk in Gersthofen vorgesehen, um die Anlage zukunftssicher zu machen, die seit 2019 zum Unesco-Weltkulturerbe zählt. „Dann läuft das Kraftwerk für die nächsten 50 bis 60 Jahre“, sagt Pöhler.
LEW-Vorstand Norbert Schürmann sieht es so: „Die Wasserkraft zur Stromerzeugung gibt es mehr als 100 Jahre, es wird sie noch über 100 Jahre geben.“