„Erst muss das Angebot passen, dann der Preis“
Interview Verkehrsexperte Carsten Sommer erklärt, wie der Umstieg auf Bahn und Bus funktionieren kann
Herr Sommer, je weiter man aufs Land kommt, desto klarer wird: Das Auto ist immer noch alternativlos. Woran liegt das?
Carsten Sommer: Es stimmt schon, in den letzten 30 Jahren hat sich das Angebot im öffentlichen Nahverkehr in vielen ländlichen Räumen verschlechtert. Und wenn fünf Mal am Tag ein Bus oder gar nur der Schulbus fährt, dann entsteht der Eindruck, dass es keine Alternative zum Auto gibt. Dazu kommt eine Zentralisierung wichtiger Einrichtungen: Es gibt nicht mehr überall eine Post, einen Supermarkt, eine Grundschule, einen Arzt. Also müssen Menschen auf dem Land längere Wege zurücklegen, die häufig motorisierte Verkehrsmittel erfordern.
Dass auf dem Land keine Busse oder Züge fahren, liegt also daran, dass immer zuerst an das Auto gedacht wurde? Sommer: Ja, auch. Über Jahrzehnte gab es eine falsche Verkehrspolitik. Der öffentliche Nahverkehr wurde vielfach lediglich als Subventionsempfänger gesehen, der möglichst sein Defizit reduzieren sollte.
Was müsste passieren, damit auch der ländliche Raum gute Nahverkehrsverbindungen bekommt?
Sommer: Es gibt schon positive Signale: Die Bahn zum Beispiel hat gesagt, dass sie stillgelegte Strecken reaktivieren will. Jahrelang hatte sie eine andere Strategie. Es ging darum, das Unternehmen fit für die Börse zu machen, da lohnten sich nicht alle Strecken. Die wurden dann stillgelegt. Wenn die Bahn diese jetzt wieder ans Netz nimmt, können zusätzliche Räume erschlossen und neue Kunden gewonnen werden.
Wie sieht es denn mit den Ticketpreisen aus? Da heißt es ja immer: Damit der Nahverkehr attraktiv wird, müssten die erst mal sinken.
Sommer: Fahrpreise haben durchaus eine Wirkung. Aber: Damit der öffentliche Nahverkehr attraktiver wird, muss zuerst das Angebot stimmen. Man hat ja nichts davon, wenn man zwar günstiger mit dem Bus fahren könnte, aber es fahren keine Busse. Es gibt auch Versuche, die zeigen: Ein verbessertes Angebot hat eine viel stärkere Auswirkung darauf, wie viele Menschen den Nahverkehr nutzen als sinkende Preise.
Immer mal wieder wird über ein 365-Euro-Ticket diskutiert. Die Idee stammt aus Wien. Dort können sich Bürger für einen Euro am Tag eine Jahreskarte kaufen. Was halten Sie davon, dieses Modell auf alle Städte in Deutschland zu übertragen? Sommer: Nur weil das Modell in
Wien funktioniert, heißt das nicht automatisch, dass es in Deutschland auch so wäre.
Warum?
Sommer: Das hat viele Gründe. Zum einen fördert die Wiener Verkehrspolitik seit Jahren stark nachhaltige Verkehrsmittel und schränkt die Pkw-Nutzung ein. Dort gibt es zum Beispiel eine starke Regulierung von Parkplätzen. Dazu muss man wissen: Wenn Parkgebühren in Räumen großer Nachfrage wie zum Beispiel Geschäftsstraßen eingeführt werden, dann schafft man eigentlich mehr Parkkapazitäten.
Wie das denn?
Sommer: Wenn ein Auto zuvor umsonst neun Stunden auf einem Parkplatz stand, dann war der den ganzen Tag belegt. Wenn es aber dann plötzlich etwas kostet, das Auto abzustellen, dann stehen auf demselben Stellplatz nicht mehr ein, sondern zwei oder drei Autos. Also können auf dem gleichen Platz viel mehr Autos parken. Wenn also das Parken teurer wird, um zu erreichen, dass weniger Autos in die Städte fahren, müssen gleichzeitig auch die Parkplätze knapper werden. Das wird meistens vergessen. In Wien nicht. Dort gibt es nicht nur relativ wenige Parkplätze, sondern die Nutzung kostet auch Geld.
Zusammengefasst kann man auch sagen: Alle Methoden, die in Deutschland gerade diskutiert werden: Sinkende Ticketpreise oder das 365-EuroTicket, helfen eigentlich gar nicht, um den Nahverkehr besser zu machen. Sommer: Sinkende Preise können ja sogar kontraproduktiv sein, zumindest wenn das Angebot nicht ausgebaut wird. Wenn die Busse und Bahnen dann völlig überfüllt sind, oder nur ganz selten fahren, führt das doch nur zu Frust. Aber: Die Preise zu senken, ist eben etwas, das gerade sehr leicht und ohne viel Aufwand realisiert werden kann.
Wenn das Angebot ausgebaut werden muss, die Verkehrsbetriebe aber die Preise senken: Wie wollen sie den Ausbau bezahlen? Das Geld fehlt ja. Sommer: Ja, das Geld muss irgendwo herkommen. In Deutschland kostet der öffentliche Nahverkehr im Jahr etwa 25 Milliarden Euro. Im Schnitt werden 50 Prozent dieser Kosten über den Fahrpreis finanziert und der Rest sind Steuergelder. Vor 20 bis 30 Jahren war das Verhältnis ein ganz anderes. Damals hat der Staat einen höheren Anteil finanziert, der Nutzer einen geringeren. Aber dann galt es als unpopulär, den Nahverkehr zu unterstützen. Der staatliche Anteil sank, die Fahrpreise stiegen.
Und woher könnte das Geld kommen?
Sommer: In Wien zum Beispiel gibt es eine Dienstgeberabgabe. Arbeitgeber bezahlen zwei Euro pro Arbeitnehmer und Woche für den Bau der U-Bahn. Denn auch sie profitieren von einem guten Angebot. Sie müssen weniger Stellplätze bereithalten, die Angestellten kommen ausgeruhter am Arbeitsplatz an. In Frankreich existiert ebenfalls schon lange eine Abgabe der Arbeitgeber, die zweckgebunden für die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs eingesetzt wird. Momentan wird viel über die Straßenausbaubeiträge und die Erschließungskosten debattiert. Eigentlich sollte man diese Beiträge für die Infrastrukturfinanzierung beibehalten und auf die ÖPNV-Infrastruktur ausdehnen. Ein Grundstück, in dessen Nähe eine Tramhaltestelle liegt, hat zum Beispiel einen höheren Wert als ein vergleichbares Grundstück ohne Tramanschluss. Warum soll diese Wertsteigerung alleine beim Eigentümer bleiben, warum soll er davon nicht einen Teil zugunsten des Nahverkehrs abgeben?