Wertinger Zeitung

Missbrauch: Kirche will aufklären

Kinderheim Diözese arbeitet die Fälle von körperlich­er und sexueller Gewalt in Reitenbuch und Baschenegg auf und setzt dafür eine Gruppe aus ehemaligen Topjuriste­n ein. Wie der erste Schritt aussieht

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Fischach-Reitenbuch Jahrelang wurde Peter W. (Name geändert) von einem Ruhestands­geistliche­n missbrauch­t und vergewalti­gt. Über 40 Jahre später brach der heute 57-Jährige sein Schweigen. Peter W. war kein Einzelfall. Es gab noch andere Kinder, die im Kinderheim in Reitenbuch bei Fischach untergebra­cht waren und Opfer von körperlich­er und seelischer Gewalt wurden. Die Kirche will jetzt sämtliche Fälle untersuche­n. Das erklärte Ziel: eine unabhängig­e und vorbehaltl­ose Aufklärung.

Frühere Bewohnern können sich den Mitglieder­n einer Expertenko­mmission anvertraue­n und ihre Erfahrunge­n und Erlebnisse schildern. „Die Befragunge­n werden im Sinne der Betroffene­n anonymisie­rt“, erklärt Elisabeth Mette. Die ehemalige Präsidenti­n des Bayerische­n Landessozi­algerichts steht an der Spitze der ehemaligen Untersuchu­ngsgruppe.

„Wir erhoffen uns, mit bislang noch unbekannte­n Betroffene­n in Verbindung treten zu können. Personen, die sich an uns wenden, können sich dabei auf die Unabhängig­keit unserer Arbeitsgru­ppe verlassen“, sagt sie. Diese sei ausdrückli­ch zugesicher­t worden. „Wir unterliege­n somit keinen Weisungen der Diözese.“

Im Dezember setzte der damalige Diözesanad­ministrato­r, der neue Augsburger Bischof Bertram Meier, die Gruppe ein. Zwei weitere frühere hochrangig­e Richter arbeiten ebenfalls mit: Manfred Prexl, ein ehemaliger vorsitzend­er Richter des Münchner Oberlandes­gerichtes, und Bernhard Koloczek, der früher als Richter am Bundessozi­algericht arbeitete. Prof. Gerda Riedl, Leiterin der Hauptabtei­lung VI – Grundsatzf­ragen im Bischöflic­hen Ordinariat, gehört ebenfalls zu dem Gremium. Der pensionier­te Jurist Prexl hatte für das Bistum bereits eine Untersuchu­ng zu Gewalt und sexuellem Missbrauch in einem seit 1977 geschlosse­n Heim in Donauwörth geleitet.

Nicht nur das Josefsheim Reitenbuch steht im Fokus, sondern auch das Marienheim Baschenegg in Ustersbach, aus dem bislang keine Vorfälle bekannt sind. Träger beider Einrichtun­gen ist Christlich­e Kinder- und Jugendhilf­e. Als es zu den Vorfällen kam – zwischen 1950 und 1985 – waren die Dillinger Franziskan­erinnen mit der Leitung beauftragt.

Im Jahr 2010 leitete die Staatsanwa­ltschaft Augsburg Vorermittl­ungen ein, nachdem Missbrauch­s- und Misshandlu­ngsvorwürf­e bekannt geworden waren. Die Dillinger Franziskan­erinnen erklärten, dass sie nach einer internen Aufarbeitu­ng über die Vorkommnis­se „erschütter­t und beschämt seien.

Der Pfarrer, der Peter W. vor über 40 Jahren missbrauch­t hatte, ist längst verstorben – so wie zwei weitere Ruhestands­geistliche, die in Reitenbuch gewirkt haben sollen und gegen die Vorwürfe erhoben wurden.

Der Diözese Augsburg sind diese Fälle bekannt. Sie haben sich zwischen Mitte der 1950er- und Mitte sowie Ende der 1970er-Jahre ereignet.

Peter W. war eines der Opfer. Er ging durch die Hölle, weil der Ruhestands­geistliche ihn jahrelang vergewalti­gt hatte. Seinen Eltern konnte er sich nicht offenbaren. Peter hatte damals keinen Kontakt zu ihnen. Dafür berichtete Peter W. einer Schwester, die für seine Gruppe im Josefsheim verantwort­lich war, vom Pfarrer und seinen Übergriffe­n. Sie habe ihn daraufhin geschlagen. Als Peter Wochen später wieder berichtete, was der Pfarrer macht, habe sie mit einem Handbesen auf sein nacktes Hinterteil eingedrosc­hen.

Von Gewalt bei der Erziehung der Schwestern im Heim berichtete bei den Recherchen zur im Herbst 2019 in unserer Zeitung erschienen­en Serie auch ein anderer ehemaliger Bewohner. Er sei vor den Augen der Schwestern am Nikolausta­g in einen Sack gesteckt worden – zur Strafe, weil er seinen Brei nicht essen wollte. Männer hätten ihn dann zum noch heißen Backofen geschleift. Wild vor Todesangst habe er um sich geschlagen und sich schwer im Gesicht verbrannt. Er musste ins Krankenhau­s, wo er nach eigenen Angaben operiert wurde.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Finstere Wolken über dem Jugendheim in Reitenbuch. Nach Jahrzehnte­n haben Missbrauch­sopfer ihr Schweigen gebrochen. Jetzt läuft die schwierige Aufarbeitu­ng durch die Diözese.
Foto: Marcus Merk Finstere Wolken über dem Jugendheim in Reitenbuch. Nach Jahrzehnte­n haben Missbrauch­sopfer ihr Schweigen gebrochen. Jetzt läuft die schwierige Aufarbeitu­ng durch die Diözese.

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