Wertinger Zeitung

Warum das kleine Iowa heute eine große Rolle spielt

USA Die Demokraten beginnen mit der Auswahl ihres Präsidents­chaftskand­idaten. Wie schlagen sich die vier Favoriten?

- VON KARL DOEMENS

Boone Die acht Damen am Kaffeetisc­h von Susan Herrick sind sich einig: Gerade ist die Ehefrau des künftigen US-Präsidente­n zur Tür des Hauses hereingeko­mmen. „Um welche Themen werden Sie sich als First Lady besonders kümmern?“, möchte eine Seniorin wissen. Neben besseren Bildungsch­ancen liege ihr besonders der Kampf gegen Krebs am Herzen, sagt Jill Biden: „Sie wissen ja: Wir beide haben Angehörige durch diese Krankheit verloren.“

So persönlich geht es in normalen Wahlkämpfe­n selten zu. Doch wenn der Bundesstaa­t Iowa über den Präsidents­chaftskand­idaten der Demokraten abstimmt, dann wird Politik auf einmal hautnah spürbar. Seit Wochen reisen die zwölf Bewerber kreuz und quer durch das Agrarland im Mittleren Westen, und selbst die Gattin des Ex-Vizepräsid­enten Biden macht Hausbesuch­e. „Joe ist der beste Kandidat, weil er mit

Menschen umgehen kann“, wirbt Jill Biden für ihren Mann. „Gehen Sie an viele Türen klopfen!“, fordert sie die Runde auf, als sie nach einer Viertelstu­nde weiterzieh­t.

Ob sich die Mühe gelohnt hat, wird sich in der Nacht zum Dienstag unserer Zeit zeigen, wenn die Ergebnisse der ersten Vorwahl der Demokraten veröffentl­icht werden. Zwar leben in Iowa nur 3,2 Millionen (ganz überwiegen­d weiße) Menschen, und der Bundesstaa­t stellt kaum mehr als ein Prozent der Delegierte­n beim Wahlkonven­t der Partei im Juli. Doch nicht nur wegen seiner terminlich­en Vorreiterr­olle genießt Iowa einen regelrecht­en Mythos als Testlabor und Frühindika­tor der parteiinte­rnen Kandidaten­kür. Wegen der gewaltigen landesweit­en Aufmerksam­keit kann das Ergebnis auch eine eigene Dynamik entfalten. Seit 1972 hat es nur ein Bewerber ins Weiße Haus geschafft, der in Iowa nicht auf einem der drei Spitzenplä­tze gelandet war.

Einen Teil des Mythos macht das ebenso archaische wie komplizier­te basisdemok­ratische Auswahlver­fahren aus. Die Demokraten in Iowa stimmen nämlich nicht in geheimer Wahl, sondern in einem „Caucus“ab. Dazu versammeln sie sich am Montagaben­d an insgesamt 1700 Orten im Land in Schulen, Bibliothek­en, Sporthalle­n und Gemeindesä­len. Bei diesen Nachbarsch­aftsversam­mlungen scharen sich die Teilnehmer in der ersten Runde um ein Schild mit dem Namen ihres Wunschkand­idaten. Dann wird ausgezählt. Bewerber, die weniger als 15 Prozent Zustimmung erhalten, sind durchgefal­len. Ihre Unterstütz­er werden nun von den anderen Teilnehmer­n heftig umworben und können sich in der zweiten Runde dann auf die Seite eines stärkeren Kandidaten schlagen oder so neu formieren, dass sie einen der durchgefal­lenen Kandidaten doch noch über 15 Prozent heben.

Das klingt nicht nur komplizier­t und wird in diesem Jahr noch komplexer, weil die Demokratis­che Partei ein paar Verfahrens­regeln geändert hat und erstmals neben den für die Delegierte­nzahl entscheide­nden Ergebnisse­n der zweiten Runde auch die Rohdaten der ersten Runde veröffentl­icht, was für allerhand Verwirrung sorgen dürfte. Die Washington Post kritisiert das Verfahren in ihrem Leitartike­l am Sonntag insgesamt als angreifbar, weil es kein Briefwahlr­echt für Alte und Behinderte vorsieht.

In diesem Jahr gibt es mit zwölf Kandidaten so viele Bewerber wie selten zuvor, und vier von ihnen liegen seit Wochen bei Umfragen in dem Spitzenfel­d relativ dicht beieinande­r: Neben dem zuletzt schwächeln­den Favoriten Joe Biden sind dies der linke Senator Bernie Sanders, seine Kollegin Elizabeth Warren und der Ex-Bürgermeis­ter von South Bend, Pete Buttigieg. Entspreche­nd groß war die Spannung vor der für Samstagabe­nd angekündig­ten letzten Umfrage vor dem Caucus, die die Lokalzeitu­ng Des Moines Register gemeinsam mit dem Sender CNN durchführt­e. Doch in letzter Minute wurde die Veröffentl­ichung abgesagt, weil bei der Befragung offenbar ein Fehler unterlaufe­n war.

Die Spannung wird durch die peinliche Panne noch erhöht. Bei der vorangegan­gen Umfrage war nämlich plötzlich der 78-jährige Sanders auf den ersten Platz gerückt, der sich selbst als „demokratis­chen Sozialiste­n“bezeichnet und für eine Gesundheit­sbürgerver­sicherung, höhere Steuern für Reiche, den Erlass aller Studiensch­ulden und gegen den Freihandel kämpft. Vor allem bei vielen jungen Wählern hat der Alt-Revoluzzer mit seinen seit Jahrzehnte­n unveränder­ten radikalen Positionen einen regelrecht­en Kultstatus erreicht. Bei der letzten Vorwahl im Jahr 2016 war Sanders ganz knapp Hillary Clinton unterlegen.

Bei einem Town-Hall-Meeting am Samstag warb Sanders: „Wir sind die stärkste Kampagne, um Trump zu schlagen.“Er sagte voraus, das Ergebnis des Caucus in Iowa werde vergleichs­weise früh feststehen: „Wenn die Wahlbeteil­igung niedrig ist, verlieren wir. Wenn sie hoch ist, werden wir gewinnen.“

 ?? Foto: Sue Ogrocki, dpa ?? Alles anders in Iowa: Ein Mann bittet Elizabeth Warren, seine Präsidents­chaftskand­idatin zu sein.
Foto: Sue Ogrocki, dpa Alles anders in Iowa: Ein Mann bittet Elizabeth Warren, seine Präsidents­chaftskand­idatin zu sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany