Wahlsieger ohne Mehrheit
Kann Netanjahu jetzt eine Regierung bilden?
Tel Aviv Als Regierungschef Benjamin Netanjahu in der Wahlnacht mit Ehefrau Sara strahlend vor seine Anhänger tritt, bricht begeisterter Jubel aus. Überraschend hat der 70-Jährige seinem Likud das bisher beste Wahlergebnis beschert, seit er an der Spitze der rechtskonservativen Partei steht. Und dies, obwohl schon in zwei Wochen ein Korruptionsprozess gegen ihn beginnen soll. Die Anklage in drei Fällen hat den Machtpolitiker bei Israels drittem Urnengang binnen eines Jahres nicht beschädigt – ganz im Gegenteil, er wirkt stärker denn je.
Das Mitte-Bündnis Blau-Weiß des Ex-Militärchefs Benny Gantz, bis vor kurzem noch ein großer Hoffnungsträger, kommt nur auf Platz zwei nach Netanjahus Likud. Netanjahus Anhänger feiern Israels am längsten amtierenden Ministerpräsidenten bei der Siegesfeier euphorisch. Viele schwenken Nationalflaggen. Seine Frau Sara formt mit ihren Fingern ein Herz. Für viele mag der Personenkult um Netanjahu befremdlich wirken. Was ist das Geheimnis seines Erfolgs?
Der britisch-israelische Journalist Anshel Pfeffer, der eine Biografie Netanjahus geschrieben hat, sagt: „Es ist Netanjahu über Jahre immer wieder gelungen, die Wut großer Teile der israelischen Bevölkerung auf die ,alten Eliten‘ für seine eigenen politischen Ziele zu nutzen.“Das Justizsystem werde von Netanjahus Anhängern als Teil der Elite europäischstämmiger Juden angesehen, so Pfeffer. Daher schenkten sie auch Netanjahus Darstellung Glauben, er werde vom Gerichtssystem aus politischen Gründen verfolgt. Sie seien überzeugt, die Elite wolle „den Willen des Volkes mit juristischen Mitteln beugen“. Es gebe aber auch Likud-Anhänger, die Netanjahu „einfach als talentierteren und besseren Anführer als Gantz ansehen, deshalb sind sie bereit, für ihn zu stimmen, obwohl sie der Anklageschrift glauben“.
Gleichzeitig ist aber ungewiss, ob Netanjahu sich mit seinem Block rechter und religiöser Parteien eine Mehrheit von mindestens 61 der 120 Sitze im Parlament sichern kann – dazu fehlen ihm wohl zwei Stimmen. Der israelische Politikwissenschaftler Maoz Rosenthal sieht als eine Möglichkeit, Abtrünnige aus dem Gantz-Lager könnten bald auf Netanjahus Seite überlaufen. Auch eine große Koalition mit Gantz ist denkbar, obwohl der dies bislang wegen der Korruptionsanklage gegen Netanjahu abgelehnt hatte.
Netanjahus ultrarechter Rivale Avigdor Lieberman machte noch in der Wahlnacht deutlich, er werde sich keiner Regierung unter Führung Netanjahus mit den strengreligiösen Parteien anschließen. Seine Partei Unser Haus Israel ist erneut Zünglein an der Waage. Eine Minderheitsregierung Liebermans mit dem Gantz-Lager, die von den arabischen Parteien geduldet wird, gilt als möglich, aber unwahrscheinlich. Der Prozess gegen Netanjahu, der am 17. März beginnen soll, dürfte alle Koalitionsverhandlungen erschweren. Sara Lemel, dpa