Sie sah nur den Tod als Ausweg
Prozess Eine psychisch kranke Mutter tötet ihr Kind und wird freigesprochen. Doch der Bundesgerichtshof hebt dieses Urteil auf. Ist die Frau doch schuldfähig?
Kempten Ihr Freund hat sich das Leben genommen. Deswegen weiß die Frau nicht, wie es weitergehen soll. Sie sieht keine Zukunft für sich und ihre Tochter. Nur noch einen Ausweg weiß sie: Sie will sich umbringen und ihr neunjähriges Kind mit in den Tod nehmen. Im September 2016 erstickt die depressive Frau in Lindau am Bodensee ihre Tochter nachts mit einem Kissen. Danach nimmt sie selbst eine Überdosis Tabletten – und überlebt. Ist die Angeklagte schuldunfähig oder nicht? Um diese Frage geht es in dem Prozess, der am Dienstag vor dem Kemptener Landgericht fortgesetzt wurde.
Die 50-jährige Frau auf der Anklagebank hat alles gestanden. Sie muss sich nach wie vor wegen Totschlags vor Gericht verantworten. Wie die Strafkammer betonte, sei auch eine Verurteilung wegen Mordes denkbar. In erster Instanz wurde die Mutter von der ersten Strafkammer des Landgerichts freigesprochen. Gegen dieses Urteil hatte die Staatsanwaltschaft Revison eingelegt und der Bundesgerichtshof (BGH) hatte das Urteil kassiert.
Ganz leise und kaum vernehmbar erzählt die Mutter von zwei weiteren, inzwischen erwachsenen Kindern, von ihrer persönlichen Situation und von der Tat. Nach zwei in die Brüche gegangenen Beziehungen war sie seit 2005 mit einem Mann aus Nigeria liiert, der von ihrer Familie aber abgelehnt worden sei. 2007 kam die gemeinsame Tochter zur Welt. Die Partnerschaft der beiden war wohl nicht unproblematisch.
Am 13. Juli 2016 nahm sich der Mann durch eine Überdosis Schlaftabletten das Leben. Sie habe sich total alleine gelassen gefühlt, sagt die Angeklagte unter Tränen. Schließlich habe sie sich zu dem Suizid entschlossen, ihre Tochter aber nicht alleine lassen wollen. In der Nacht zum 13. September eskalierte die Situation.
Der Tod der Neunjährigen wurde erst am Morgen entdeckt, weil ihr Platz in der Schule leer blieb und auch die Mutter nicht an ihrem Arbeitsplatz erschien. Die Polizei fand das tote Kind und die Mutter, die sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befand. Sie hatte 70 Tabletten genommen, nachdem sie ihre Tochter getötet hatte.
Kann die depressive Frau für ihre Tat verantwortlich gemacht werden? Entscheidend wird es auf die beiden Gutachter ankommen, die auch im Gerichtssaal sitzen. In erster Distanz war ein Experte zu dem Schluss gekommen, dass die „Steuerungsfähigkeit“der Frau wegen des psychischen Ausnahmezustands möglicherweise aufgehoben war. Ein anderer Psychiater aber vertrat die Ansicht: „Die Depression hatte nicht die Qualität einer Psychose.“Damals war das Landgericht dem ersten Gutachten gefolgt – nach Ansicht des BGH aber mit unzureichender Begründung.
Ein neues Urteil wird am 11. März erwartet.