Macht Minimalismus glücklich?
Stil Die Konzentration auf das Wesentliche ist mehr als ein Design- oder Einrichtungstrend. Die Idee wird zur Lebensphilosophie bei dem Thema Wohnen und Besitz. Auch die Möbelhersteller setzen auf das Motto „Weniger ist mehr“
Weiße Wände, helle Möbel und akzentuiert eingesetzte Accessoires: Wer im Internet Fotos zum Thema Minimalismus sucht, findet vor allem Bilder von karg eingerichteten Räumen. „Weniger ist mehr“lautet das Motto des Einrichtungstrends. Stefanie Adam will Minimalismus aber nicht darauf beschränken. „Minimalismus ist ein Lebensstil, eine Haltung“, sagt die ehemalige Interieur-Stylistin, die inzwischen das Prinzip für ihre Arbeit als Lebenscoach nutzt. „Minimalismus ist die Reduktion auf das Wesentliche – im Kopf und im Umfeld“, erklärt Adam. „Das schafft Klarheit und öffnet den Raum für die Dinge, die wirklich wichtig sind: Familie, Partnerschaft und Freunde. Stille, Achtsamkeit, Demut und Dankbarkeit. Zeit für sich und inneres Wachstum.“
Eine Idee, die auch Buchautorin Anne Weiss für sich entdeckt hat. Sie begann ihren Lebensstil zu hinterfragen, nachdem sie einen Job verloren hatte. „Schon länger hatte ich das Gefühl, dass was mit meinem eigenen Konsum nicht stimmt. Für den Stress in meinem Job entschädigte ich mich durch Geschenke an mich selbst“, erzählt sie. „Shopping war wie eine Ersatzdroge fürs echte Leben.“Glücklich machten sie ihre Einkäufe nicht. „All das brauchte ich nicht – und zu allem Überfluss waren die Sachen oft unter fragwürdigen Bedingungen hergestellt worden und hatten durch ihre Produktion die Umwelt geschädigt“, erläutert Weiss. „Mir wurde auf einmal klar, dass der Kaufrausch weder für mich noch für andere Menschen gut ist.“Mit der Rückbesinnung auf das Wesentliche geht in der Regel auch eine Reduktion an Dingen einher. Sprich: Aussortieren und Entrümpeln.
„Außen und innen bedingen sich“, sagt Expertin Adam. Sie empfiehlt dabei, systematisch Raum für Raum vorzugehen und sich dort jeweils im Uhrzeigersinn vorzuarbeiten. Ihr Tipp: Jedes Möbelstück einzeln vornehmen, Schublade für Schublade sortieren. Und sich bei jedem Gegenstand fragen: Berührt er mein Herz? Benutze ich ihn mindestens einmal im Monat? Habe ich schon einen ähnlichen Gegenstand?
Autorin Weiss hat verschiedene Konzepte ausprobiert. Ansätze, wie beispielsweise mit einer bestimmten Anzahl an Kleidungsstücken einen Monat lang auskommen zu müssen, nur eine vorgegebene Menge an Gegenständen besitzen zu dürfen, waren ihr aber zu schematisch. „Mir war wichtig, meinen eigenen Weg zu finden – womit fühle ich mich wohl, was tut mir gut?“
Persönlich kommt die Buchautorin gut mit der Methode des Rückwärts-Shoppings zurecht. Die Idee: „Mit einem Korb durch meine Wohnung laufen, als wäre sie ein Kaufhaus – und das einpacken und anschließend verkaufen, verschenken, spenden, entsorgen, was auf den ersten Blick entbehrlich erscheint“, erklärt Autorin Weiss.
Aber egal, auf welche Weise man ausmistet und Freiraum schafft: Eine komplett leer gefegte Wohnung ist aus Sicht von Expertin Adam nicht erstrebenswert. Im Gegenteil – so einem Wohnraum würde es an Persönlichkeit fehlen. Die Lebensberaterin versteht das Zuhause als einen persönlichen Kraftort, um Energie aufzutanken. Um sich wohlzufühlen, braucht es ihrer Ansicht nach unbedingt persönliche Dinge wie Fotos und emotionale Erinnerungsstücke.
Sie können jedoch bewusst ausgewählt sein und einen besonderen Platz im Raum bekommen. „Gerade auf Sideboards oder Fensterbänken tragen diese Eyecatcher für die Seele so zu einem Wohlfühlgefühl bei“, findet Expertin Adam. Für einen insgesamt ruhigen, minimalistioder schen Gesamteindruck sorgen reduziert eingesetzte Farben. Maximal zwei bis drei Akzentfarben empfiehlt Adam, um Unruhe in den Räumen zu vermeiden.
Für Ordnung und Struktur sorgen einheitliche Materialien und Gebrauchsgegenstände, zum Beispiel ein Set an identischen Gläsern. Fragen an sich selbst wie: „Wie möchte ich mich fühlen, wenn ich den Raum betrete? Was braucht es, um mich genau so fühlen zu können?“, können bei der Einrichtung helfen, sagt Expertin Adam. Grundsätzlich aber gilt aus ihrer Sicht: „Es gibt keine Regeln beim Minimalismus, denn jeder Mensch ist unterschiedlich und hat unterschiedliche
Bedürfnisse.“Immer mehr Kollektionen der Möbelhersteller orientieren sich an der Minimalismus-Philosophie: Viele Möbel haben aktuell ein reduziertes, geradliniges Design. Sie setzen sich etwa aus geometrischen Formen wie Kreisen, Rechtecken und Quadraten zusammen. Sie sind dabei schnörkellos, ohne Chichi. Die Stühle zum Beispiel sind schlicht, Stauraum- und Büromöbel tragen glatte und grifflose Fronten. Ein Regal setzt sich aus einem Brett mit zwei filigranen Halterungen zusammen und viele Garderoben bestehen sogar nur aus einem viereckigen Rahmen. Die Einrichtung kann gut auf das Wesentliche reduziert werden – was ihre Funktion herausstellt. Das hat Vorteile: Das geradlinige Design eignet sich dafür, Dinge in Szene zu setzen und damit klar einen individuellen Stil zur Geltung kommen zu lassen.
Die minimalistische Reduzierung auf das Wesentliche deckt sich nicht nur mit dem Megatrend Nachhaltigkeit, sondern auch mit der Lebensrealität vieler Menschen, gerade die der Generation der aktuell 20- bis 40-Jährigen, wie der Trendanalyst
Praktischer Lebensstil der modernen Generation
Frank A. Reinhardt erklärt. Diese Generation sei mobiler und flexibler, habe teils im Ausland studiert, ist in jungen Jahren schon weit gereist und zieht beruflich bedingt oft um. Sie definiert das Wort Zuhause somit anders: Es gebe keinen Ankerpunkt mehr, an den man öfters zurückkehrt. „Sondern man ist zu Hause, wo man gerade lebt“, erklärt Reinhardt. Wer so häufig umzieht, versucht, nur wenig mitzunehmen und seinen Besitz auf ausgewählte Stücke zu reduzieren. „Die Lieblingsstücke, WLAN und iPad bilden den Wohnbesitz“, sagt Reinhardt. Sie werden auch in möblierte Wohnungen mitgenommen, deren Anteil seiner Meinung nach noch weiter wachsen wird. Für die Lieblingsstücke bietet sich reduziertes Design geradezu an. Es ist zeitlos und die Möbel finden in quasi jedem Einrichtungsstil ein Plätzchen.
Aber auch für weniger mobile Menschen gilt: Lieblingsstücke rücken mehr in den Fokus, während alles andere von Zeit zu Zeit ersetzt oder sogar komplett aussortiert werden kann. Das Bedürfnis nach Aufgeräumtheit ist als Trend aus Asien längst auch in Europa angekommen.