Sind bis zu 50000 Euro gerecht?
Kirche Die deutschen Bischöfe einigen sich auf neue Grundsätze für „materielle Leistungen“an Missbrauchsopfer. Diese reagieren wütend. Sie hatten deutlich mehr erwartet
Mainz Würden die Bischöfe tatsächlich jenes Signal der Versöhnung mit Missbrauchsopfern setzen, das sie angekündigt hatten? Das war die große Frage vor der Abschlusspressekonferenz ihrer diesjährigen Frühjahrs-Vollversammlung am Donnerstag in Mainz. Was die katholischen Oberhirten zum viel diskutierten Thema „Opferentschädigung“beschlossen haben und welche Reaktionen es darauf gab – Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was genau haben die Bischöfe beschlossen?
Sie haben neun „Grundsätze“beschlossen, „hinter die wir nicht zurückgehen“, wie es der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, formulierte. Das „Verfahren zur Anerkennung des Leids“gilt demnach für zum Tatzeitpunkt minderjährige Betroffene sowie „erwachsene Schutzbefohlene“. Neu ist: Die Festlegung der Anerkennungszahlungen erfolgt künftig durch ein zentrales und unabhängiges Gremium auf der Grundlage einer einfachen Plausibilitätsprüfung. Und: Die materiellen Leistungen seien individuell festgelegte Einmalzahlungen, „die sich in der Höhe an Schmerzensgelder der staatlichen Gerichte in vergleichbaren Fällen anlehnen“.
Mit wie viel Geld können Missbrauchsopfer rechnen?
Hier richten sich die Bischöfe nach sogenannten Schmerzensgeldtabellen. Die halten für „mehrfachen sexuellen Missbrauch mit Geschlechtsverkehr“zum Beispiel 15000 bis 30000 Euro als Rahmen fest. Ackermann betonte, „in der Regel“handele es sich um Beträge zwischen 5000 und 50 000 Euro, und dass man sich „am oberen Bereich der zuerkannten Summen“orientiere. Es könnten auch mehr als 50 000 Euro sein: „Wir geben keinen Wert an als Deckelung.“
Warum sprechen die Bischöfe von „Anerkennungs-Leistungen“– und nicht von „Entschädigungen“?
Mit Entschädigung ist die Kompensation für einen konkret entstandenen materiellen Schaden gemeint. Genau das wollen die Bischöfe nicht. Ihre Argumentation: In einem solchen Fall müssten sie Betroffene in die Situation bringen, dies detailliert nachzuweisen. Ackermann nannte als Beispiel den Nachweis, dass ein Opfer keine Ausbildung infolge des Missbrauchs absolvieren konnte. Den Bischöfen gehe es vielmehr um die „Linderung immateriellen
unabhängig von Rechtsansprüchen und Verjährungsfristen.
Wofür hatten sich Missbrauchsopfer eingesetzt?
Eine unabhängige Arbeitsgruppe, zu der mit Matthias Katsch auch ein Missbrauchsopfer gehörte, hatte zwei Modelle vorgeschlagen: Eine Pauschalzahlung über 300000 Euro für jedes Opfer. Oder Beträge zwischen 40000 und 400000 Euro – je nach Ausmaß des erlittenen Unrechts. Dafür sollte die Kirche einen Entschädigungsfonds einrichten.
Woher kommt nun das Geld?
Aus dem von der jeweiligen Tat betroffenen und damit zuständigen der 27 deutschen Bistümer, deren Gremien über die Mittelherkunft entscheiden sollen. Es kann also sein, dass „ärmere Bistümer“, deren Einnahmen sich weit überwiegend aus der Kirchensteuer speisen, diese für Zahlungen an Opfer verwenden. Ein Fondsmodell wie vorgeschlagen ist damit vom Tisch – allerdings soll es
„eine solidarische Komponente“geben, damit auch ärmere Bistümer Zahlungen leisten können.
Aus welchen Mitteln will das Bistum Augsburg Geld zahlen?
Darauf antwortete ein Bistumssprecher am Donnerstagnachmittag auf Anfrage: Er bitte um Verständnis, „dass wir heute zum weiteren Prozedere in Sachen Opferentschädigung im Bistum Augsburg keine abschließende Antwort geben können“. Der ernannte Bischof Bertram Meier wolle damit zunächst verschiedene diözesane Gremien befassen. Im Interview mit unserer Redaktion hatte Meier, der in Mainz zum Mitglied der Ökumenekommission und der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz wurde, die Verwendung von Kirchensteuermitteln bereits ausgeschlossen. Zahlungen sollten zum Beispiel aus dem Vermögen des bischöflichen Stuhls erfolgen – einer kirchlichen Stiftung des öffentlichen Rechts, die unter anderem die GeLeids“, währleistung der Pensionsverpflichtungen für Priester zur Aufgabe hat.
Von wie vielen Missbrauchsopfern geht die Kirche aus?
In der „MHG-Studie“aus dem Herbst 2018 wird die Gesamtzahl von – mindestens – 3677 Kindern und Jugendlichen genannt, die zwischen 1946 und 2014 missbraucht worden seien. Laut Bischof Ackermann haben bisher 2200 Betroffene Anträge auf Anerkennungs-Leistungen gestellt. Auch sie hätten Zugang zum neuen Verfahren. Die Diözese Augsburg brachte seit 2010 für 91 Betroffene knapp 670000 Euro auf (Stichtag: 31. Dezember 2019). Davon seien rund 72000 Euro auf Therapiekosten entfallen. Die Restsumme seien „Leistungen in Anerkennung des erlittenen Leids“.
Werden auch die Ordensgemeinschaften zur Kasse gebeten?
Es ist völlig unklar, inwiefern sich Ordensgemeinschaften am System der Bischofskonferenz beteiligen – denn diese könne das den Orden „nicht verordnen“, wie der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, erklärte. Ordensgemeinschaften – in deren Internaten oder Heimen zahlreiche Kinder missbraucht wurden – argumentieren, dass hohe Zahlungen sie in den Ruin treiben würden. Noch dazu, wo es ein regelrechtes Ordenssterben gebe.
Was ist gut am Beschluss?
Die Bischöfe schaffen mit ihm endlich die Grundlage für ein einheitliches System. „Die von Diözese zu Diözese variierenden Auszahlungssummen führen zur Schlussfolgerung, dass die Fälle mit unterschiedlichen Kriterien bewertet wurden“, hatte die MHG-Studie festgestellt.
Welche Reaktionen gab es von Opfern und engagierten Katholiken?
Christian Weisner von der Reformgruppe „Wir sind Kirche“kritisierte im Gespräch mit unserer Redaktion, dass sich die Bischöfe großzügig darstellten, es aber nicht seien. Zudem vertagten sich die Bischöfe immer wieder, die Unzufriedenheit der Betroffenen sei mehr als berechtigt. Matthias Katsch von der Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“teilte mit: „Die Kirche in Deutschland ist nicht bereit, für ihre Verbrechen die Verantwortung zu übernehmen und ihren Opfern eine Entschädigung anzubieten … Was für ein Versagen!“Er warf den Bischöfen vor, „hartherzig am Gelde“zu kleben.
Wie geht es weiter?
Bis Herbst 2020 sollen offene Verfahrensfragen geklärt werden.