Wertinger Zeitung

„Unserer Demokratie droht Gefahr“

Interview SPD-Justizmini­sterin Christine Lambrecht will stärker gegen Hass im Internet vorgehen und verteidigt ihr neues Gesetz gegen Kritik. Hart bleibt sie auch im Streit um mehr Kinderrech­te

- Interview: Stefan Lange und Christian Grimm

Frau Ministerin, um die Verankerun­g der Kinderrech­te im Grundgeset­z gibt es Streit in der Koalition. Eigentlich sollten die Parteivors­itzenden bei ihrem Treffen am vergangene­n Wochenende die offenen Fragen klären. Dazu kam es nicht. Wie geht es jetzt weiter? Christine Lambrecht: Angesichts der aktuellen Entwicklun­gen gab es eine große Fülle anderer Themen im Koalitions­ausschuss. Dafür habe ich natürlich Verständni­s. Ich werde das Thema Kinderrech­te aber immer wieder auf die Tagesordnu­ng bringen, denn wir haben hierzu eine klare Vereinbaru­ng im Koalitions­vertrag. Diese Vereinbaru­ng setze ich mit meinem Gesetzentw­urf um. Ich weiß, dass mein Kollege Horst Seehofer Bedenken angemeldet hat. Gerade darum wäre es gut, wenn wir jetzt ins parlamenta­rische Verfahren kämen. Wir benötigen für die Grundgeset­zänderung eine breite Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Deshalb ist dort der richtige Ort, um die offenen Fragen zu diskutiere­n.

CSU-Innenminis­ter Seehofer befürchtet, dass der Staat in das Familienle­ben eingreift. Müssen Sie Ihren Gesetzentw­urf ändern?

Lambrecht: Wir wollen Kinderrech­te in der Werteordnu­ng unseres Grundgeset­zes verankern. Daraus ergeben sich Verpflicht­ungen für Justiz, Verwaltung und die Legislativ­e. Aber es gibt keinen Eingriff in das Eltern-Kind-Verhältnis. Das wäre von mir auch nicht gewollt. Daher wäre es der richtige Weg, auf der Grundlage meines Entwurfs jetzt zügig mit dem parlamenta­rischen Verfahren zu beginnen.

Das Gesetz gegen Hass und Hetze im Internet hat es schon ins Parlament geschafft. Es gibt aber Kritik an der Durchsetzb­arkeit. Gibt es dafür genug Personal bei Polizei und Justiz? Lambrecht: Zwei Drittel unserer Kommunalpo­litiker erleben Anfeindung­en und Bedrohunge­n – das ist erschrecke­nd und wird zu einer Gefahr für unsere Demokratie. Deshalb ist es wichtig, dass wir unseren Worten auch Taten folgen lassen. Wir schaffen zur Umsetzung meines Gesetzes 300 zusätzlich­e Stellen bei der neuen Zentralste­lle des Bundeskrim­inalamtes. Aber auch die Staatsanwa­ltschaften und Gerichte müssen mit ausreichen­d Personal ausgestatt­et sein. Der Richterbun­d hat Kosten von 24 Millionen Euro pro Jahr zur Umsetzung des Gesetzes für alle 16 Länder berechnet. Das ist eine überschaub­are Summe, die uns ein wehrhafter Rechtsstaa­t wert sein muss.

Was ist mit dem Datenschut­z? Kritiker beklagen, die Internetpr­ovider würden zu Hilfssheri­ffs des Staates gemacht.

Lambrecht: Nein, keineswegs. Strafverfo­lgung ist selbstvers­tändlich eine Sache des Staates – und dabei bleibt es auch. Aber große Internetko­nzerne sind zukünftig verpflicht­et, Straftaten auf ihren Plattforme­n zu melden. Das gleiche Verfahren haben wir übrigens beim Kampf gegen die Geldwäsche: Banken müssen Verdachtsf­älle an die Ermittler weiterleit­en. Was bei Geldwäsche funktionie­rt, muss auch bei Volksverhe­tzung und Morddrohun­gen möglich sein.

Eine weitere Baustelle ist das Strafrecht gegen Unternehme­n. Mittlerwei­le steht nach zähen Verhandlun­gen ein Gesetzentw­urf der Koalition. Die Wirtschaft fühlt sich aber davon unter Generalver­dacht gestellt. Bis zu zehn Prozent des Umsatzes soll die Strafe betragen, wenn Unternehme­n Gammelflei­sch verkaufen oder Motoren manipulier­en. Das ist ja eine ziemliche Hausnummer, oder?

Lambrecht: Ja, und das ist bewusst so gewählt, um abschrecke­nd zu wirken. Denn sonst wäre das Gesetz ein zahnloser Tiger. Die übergroße Mehrheit der Firmen hält sich in Deutschlan­d an die Regeln. Und sie sollen nicht die Dummen sein, wenn andere sich Vorteile verschaffe­n wollen, indem sie gegen Gesetze verstoßen.

Zehn Prozent des Umsatzes als Strafe könnten eine Firma bei Verstößen in den Ruin treiben.

Lambrecht: Die zehn Prozent gelten lediglich als Höchstmaß für Großuntern­ehmen. Die Sanktionen sind immer im Einzelfall zu bemessen und sollen nicht zu einer Existenzge­fährdung des Unternehme­ns führen. Uns ist wichtig, dass differenzi­erte Sanktionen möglich sind. Dabei spielt eine Rolle, welcher Schaden entstanden ist und wie das Unternehme­n mit der Justiz kooperiert. Oder ob es Vorsorge trifft, dass sich die Vergehen nicht wiederhole­n. Wenn ein Unternehme­n zum Beispiel alles zur Aufklärung tut und interne Ermittlung­en durchführt, kann das zu seinen Gunsten berücksich­tigt werden.

Sie sind auch für das Mietrecht zuständig. Millionen Menschen im Land sorgen sich wegen der stark steigenden Mieten. Ist die Reform des Mietrechts eigentlich abgeschlos­sen?

Lambrecht: Es gibt zwei Themen, die wir meiner Meinung nach in der Koalition noch einmal intensiv beraten müssen. Die Umwandlung von Miet- in Eigentumsw­ohnungen ist häufig ein Riesenprob­lem für Mieter. Deshalb will ich das in Gebieten

„Große Internetko­nzerne sind zukünftig verpflicht­et, Straftaten auf ihren Plattforme­n zu melden.“

Christine Lambrecht

mit angespannt­em Wohnungsma­rkt erschweren und von einer behördlich­en Genehmigun­g abhängig machen. Zweitens muss das Thema Mietwucher besser geregelt werden. Ich habe mich darüber gefreut, dass es dazu aus dem Bundesrat einen Vorschlag gab. Auch mir sind die Hürden für die Feststellu­ng von Mietwucher noch zu hoch.

Welche Probleme haben die Mieter dabei in der Praxis?

Lambrecht: Dem Vermieter muss immer noch nachgewies­en werden, dass er bei seinem Mietwucher eine bestimmte Situation ausnutzt. Dieses Merkmal des „Ausnutzens“wird von der Rechtsprec­hung so weitreiche­nd ausgelegt, dass der Nachweis für Mieter extrem schwierig ist. Ich finde, wir müssen da noch einmal ran, um die Situation der Mieterinne­n und Mieter zu verbessern.

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Foto: Janine Schmitz, Photothek, Imago Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht: „Zwei Drittel unserer Kommunalpo­litiker erleben Anfeindung­en und Bedrohunge­n.“

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