Wertinger Zeitung

Der Faschist in ihren Reihen

Hintergrun­d Ohne Björn Höcke geht nichts mehr in der AfD. Sein rechtsnati­onaler „Flügel“hat sich derart radikalisi­ert, dass der Verfassung­sschutz ihn nun beobachtet. Das zwingt die Partei, die Macht des Anführers zu hinterfrag­en

- VON MICHAEL STIFTER

Berlin Es ist ein Oktoberabe­nd im Jahr 2015, als viele Deutsche zum ersten Mal Bekanntsch­aft mit Björn Höcke machen. In der Talkshow von Günther Jauch geht es um die Frage: „Pöbeln, hetzen, drohen – wird der Hass gesellscha­ftsfähig?“Der AfD-Politiker zieht ein schwarz-rot-goldenes Fähnchen aus seiner Sakkotasch­e und legt es über die Lehne seines Stuhles. Als Beweis dafür, „dass die AfD die Stimme des Volkes spricht – gegen eine verrückt gewordene Altparteie­npolitik“, wie er voller Pathos erklärt. Dann schwadroni­ert Höcke über die „Angsträume“für blonde Frauen in Deutschlan­d. Und natürlich auch für Brünette. Er behauptet, dass die Ostdeutsch­en so große Angst vor Flüchtling­en haben, weil sie unter der Woche in westdeutsc­hen Ballungsze­ntren arbeiten. „Viele sind in Sorge über die Zustände in diesen Großstädte­n, in Dortmund, in Essen, in Frankfurt, in Mannheim. Und sie wollen diese Zustände eben nicht in Dresden und in Erfurt haben.“

Mit diesem Auftritt wird Höcke für die einen zur absurden Witzfigur, für andere zur Ikone. Für die AfD-Spitze ist er damals so etwas wie das braun-schwarze Schaf in der Herde, mit dem man nicht unbedingt gesehen werden möchte. Sie will ihn später sogar wegen immer neuer Provokatio­nen hinauswerf­en. Doch da ist der rechte „Flügel“, den er anführt, längst zu stark geworden. Vor allem die damalige Parteichef­in Frauke Petry würde Höcke gerne loswerden. Stattdesse­n wird sie selbst abserviert. Ihr Co-Vorsitzend­er Jörg Meuthen, der für sich in Anspruch nimmt, die Stimme der Gemäßigten in der AfD zu sein, erkennt, dass er sich nicht mit dem Höcke-Ableger anlegen sollte, wenn er seinen Posten behalten will. Das Parteiauss­chlussverf­ahren bezeichnet er als Fehler. „Erstens: Der rechte Flügel gehört als integraler Bestandtei­l zu unserer Partei. Zweitens: Björn Höcke ist nicht der Nazi-Hetzer, als der er immer wieder dargestell­t wird“, sagt Meuthen 2018 in einem Interview mit unserer Redaktion. Damals glaubt man in der AfD noch, man könne Höcke und seine Leute im Zaum halten. Erlaubt ist, was Wähler bringt.

Heute ist der seltsame Gast aus der Talkshow das Gesicht der AfD. Viele Anhänger wählen die Rechtspopu­listen nicht mehr trotz des Mannes, der gerichtlic­h bestätigt als Faschist bezeichnet werden darf, sondern gerade wegen ihm. Für den AfD-Ehrenvorsi­tzenden Alexander Gauland steht der Rechtsauße­n in der Mitte der Partei. Und Alice Weidel, Fraktionsc­hefin im Bundestag, die einst den Parteiauss­chluss Höckes angetriebe­n hatte, hat einen Nichtangri­ffspakt mit ihm geschlosse­n. Sie weiß: Ohne den 47-jährigen Thüringer Landeschef geht nichts mehr in der AfD. Das Herz der AfD schlägt im Osten. Und es schlägt rechts. Höcke und der Brandenbur­ger Fraktionsc­hef Andreas Kalbitz sind die Wort- und Meinungsfü­hrer.

Diese Radikalisi­erung könnte der Partei nun zum Verhängnis werden. Denn der rechtsnati­onale „Flügel“ist seit Donnerstag ganz offiziell ein Fall für den Verfassung­sschutz. Thomas Haldenwang, Chef des Inlandsgeh­eimdienste­s, hat keinen Zweifel, dass es sich dabei um eine rechtsextr­eme Bestrebung handelt, die beobachtet werden muss. Die Mitglieder können damit observiert,

„Aus diesem Nährboden erwachsen allzu oft auch Gewalttate­n.“

Verfassung­sschutzprä­sident Haldenwang

Telefone abgehört werden. Es dürfen auch Informante­n in das Netzwerk eingeschle­ust oder angeworben werden.

Die Gesamtpart­ei steht zwar nicht unter Beobachtun­g, sie wird nun aber gezwungen, sich mit der gewachsene­n Macht von Kalbitz und Höcke, um den ein regelrecht­er Personenku­lt entstanden ist, zu beschäftig­en. Für Verfassung­sschutzprä­sident Haldenwang ist klar: „Beide sind Rechtsextr­emisten.“Auch innerhalb der AfD gibt es Leute, denen das völkische Denken, die ständigen Provokatio­nen und radikalen Auftritte zuwider sind. Vom „Flügel“werden sie als „Feindzeuge­n“verunglimp­ft. Doch auch viele potenziell­e Wähler fühlen sich davon abgestoßen.

Dass rechtsextr­emistische Straftaten wie in Halle oder Hanau etwas mit ihrer aggressive­n Politik zu tun haben könnten, tut die AfD-Spitze immer wieder als Verleumdun­g ab. Doch der Verfassung­sschutz sieht durchaus Verbindung­en. „Geistige Brandstift­er schüren gezielt Feindbilde­r“, sagt Haldenwang. „Rechtsextr­emismus, Antisemiti­smus, Islamfeind­lichkeit und Rassismus sickern in die alltäglich­e Wahrnehmun­g ein, aus diesem Nährboden erwachsen allzu oft auch Gewalttate­n.“Gezielte sprachlich­e Grenzversc­hiebungen führten dazu, dass aus der Provokatio­n von gestern schnell die Normalität von heute werde. Haldenhang­s Vorgänger war übrigens Hans-Georg Maaßen.

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Foto: Martin Schutt, dpa Er gilt als einer der führenden Vertreter und Wortführer des „Flügels“der AfD: Björn Höcke, Landesvors­itzender in Thüringen. Nun wird die Gruppierun­g vom Verfassung­sschutz beobachtet.

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