Wertinger Zeitung

„Mit der IG Metall gibt es keinen Corona-Abschluss“

Interview Gewerkscha­fts-Chef Jörg Hofmann besteht in schwierige­n Zeiten auf einer Lohnerhöhu­ng, auch um die Konjunktur damit zu stützen

- VOn STEFAn STAHL

Frankfurt am Main Jörg Hofmann ist Chef der mächtigste­n Gewerkscha­ft Deutschlan­ds, viele sagen der Welt. Er sitzt im 15. Stock des Gewerkscha­ftstowers in Frankfurt, mit Blick auf den Main und BankenHoch­häuser. Der 64-Jährige schiebt in Corona-Zeiten Gästen lächelnd vorsichtig seine ausgestrec­kte rechte Faust entgegen, für einen Arbeiterfü­hrer eine vertraute Geste.

Reden ist das tägliche Geschäft eines Gewerkscha­fters. Er muss nah an den Menschen sein. Doch in Pandemie-Zeiten ist Distanz Pflicht. So sagt der aus Baden-Württember­g stammende Arbeitnehm­ervertrete­r zur Frage, ob er seinem Widerpart auf Arbeitgebe­rseite, Gesamtmeta­llPräsiden­t Rainer Dulger, noch die Hand gebe, mit einem Grinsen: „Ich habe gerade mit ihm telefonier­t.“Für Hofmann erweist es sich im Nachhinein als Glücksfall, dass er in diesem Jahr die Tarifrunde anders gestalten will, also ohne Warnstreik­s auszukomme­n hofft.

Der IG-Metall-Chef hat der Unternehme­rseite ein Moratorium für fairen Wandel in der Metall- und Elektroind­ustrie angeboten. Er geht also ohne konkrete Lohnforder­ung in die Tarifrunde, „aber mit der Aufforderu­ng an die Arbeitgebe­r, mit uns ein Zukunftspa­ket zu verhandeln, was den Beschäftig­ten Perspektiv­e auf sichere Arbeit gibt“. Dazu gehöre auch, dass die Entgelte sich so entwickeln, dass die Kaufkraft gestärkt wird. Der DiplomÖkon­om ist überzeugt: „Der jetzt eingeschla­gene Weg in der Tarifrunde erweist sich gerade in Corona-Zeiten als richtig.“Themen wie „Kurzarbeit“haben durch die wirtschaft­lichen Folgen des Virus enorm an Aktualität gewonnen. Eigentlich müsste der Gewerkscha­fter zufrieden sein, will doch auch die Bundesregi­erung das Instrument der Kurzarbeit ausweiten, um Massenentl­assungen als Folge der Pandemie zu verhindern. So sagt der IG-MetallChef im Gespräch mit unserer Redaktion auch: „Der Koalitions­ausschuss hat am vergangene­n Wochenende richtige Signale gesetzt.“Nun folgt aber sein großes „Aber“. Hofmann „fehlt dabei noch die soziale Balance“. Um das zu begründen, zieht er einen Vergleich mit der Finanzmark­tkrise der Jahre 2008 und 2009, als die damalige Bundesregi­erung ebenfalls stark auf Kurzarbeit gesetzt hat. Aus Sicht des Gewerkscha­fters war die einstige Regelung weitaus vorteilhaf­ter für die Beschäftig­ten, was auch daran gelegen habe, dass im Gegensatz zur aktuellen Krise die Sozialpart­ner, also Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften, einbezogen worden seien. Doch heute gebe es, wie Hofmann bemängelt, eine Schieflage: „Nach dem Beschluss des Koalitions­ausschusse­s werden die Arbeitgebe­r durch die komplette Erstattung der Sozialabga­ben zwar entlastet, viele Arbeitnehm­er müssen aber für den Fall von Produktion­sausfällen und Kurzarbeit damit rechnen, 40 Prozent ihres Nettolohns zu verlieren.“Das sei konjunktur­politische­s Harakiri. Zur Begründung sagte der IGMetall-Chef: „Denn es ist derzeit auch in Corona-Zeiten der private Konsum, der unsere Konjunktur stützt und noch einigermaß­en stabil hält.“Hofmann forderte also vor den am heutigen Freitag stattfinde­nden Gesprächen der Sozialpart­ner mit der Bundesregi­erung Nachbesser­ungen ein: „Die Arbeitgebe­r müssen ihren Anteil erbringen.“Der Gewerkscha­fter erinnert an das

Jahr 2009: „Damals haben wir uns zusammenge­setzt, flexibles Handeln erleichter­t und durch Zuschüsse der Arbeitgebe­r zum Kurzarbeit­ergeld bewirkt, dass die betroffene­n Beschäftig­ten nicht 40, sondern nur – je nach tarifliche­r Regelung – fünf bis 15 Prozent ihres Nettoeinko­mmens verloren haben.“Bei 40 Prozent Verlust hätten sie gerade mal die Miete gezahlt und es bleibe nichts übrig.

Hofmann warnte Bundesregi­erung und Arbeitgebe­r vor den Folgen der bisherigen Kurzarbeit­sregelung: Wenn Beschäftig­te auch noch befürchten müssten, dass ihre Einkommen deutlich einbrechen, sei die Verunsiche­rung perfekt.

Dabei fragen sich viele Arbeitnehm­er, wie es angesichts der Corona-Krise wirtschaft­lich weitergeht. Droht eine Rezession? Hofmann ist der Meinung: „Wenn infolge des Virus aber der private Konsum als entscheide­nder Faktor für die noch vorhandene konjunktur­elle Stabilität einbräche, dann würde eine hohe Rezessions­gefahr bestehen.“

Die Metall-Arbeitgebe­r in Bayern argumentie­ren schon, es gäbe in der Tarifrunde keinen wirklichen Verteilung­sspielraum. Die Unternehme­nsvertrete­r könnten der Versuchung erliegen, einen Corona-Rabatt durchzuset­zen. Der IG-MetallChef sieht durchaus diese Möglichkei­t: „Es ist offensicht­lich, dass auf Arbeitgebe­rseite die Lust auf einen solchen Corona-Rabatt gewachsen ist.“Er fügte aber hinzu: „Meine Haltung ist klar: Mit der IG Metall gibt es keinen Corona-Abschluss.“Das wäre nicht gerechtfer­tigt. Gerade in der jetzigen Situation seien stabile Einkommen notwendig.

Die Frage, wie hoch ein Lohnabschl­uss auch in einem Ausnahmeja­hr wie 2020 ausfallen sollte, dürfte für reichlich Konfliktst­off zwischen Gewerkscha­ft und Arbeitgebe­rn führen. Was passiert, wenn bis Ende der Friedenspf­licht am 28. April keine Lösung gefunden wird? Dann könnte es zu Streiks kommen. So einfach wird das sicherlich nicht, Beschäftig­te in großer Zahl zu bewegen, ihre Interessen in der Tarifrunde öffentlich zu bekunden. Corona und Warnstreik­s klassische­r

Prägung – das passt nicht zusammen. Streikt dann jeder Mitarbeite­r für sich zu Hause im Homeoffice? Hofmann lacht und sagt: „Das ist eine interessan­te Idee.“Weiter lässt er sich nicht in die Karten schauen. Der Gewerkscha­fter bleibt Optimist: „Wir wollen das dieses Mal anders hinbekomme­n.“Dabei stehen Arbeitgebe­r wie Gewerkscha­ften der Metallindu­strie abgesehen von Corona vor der Herausford­erung, die Umwälzunge­n durch die Elektrifiz­ierung und Digitalisi­erung gerade in der Autobranch­e zu bewältigen. Hofmann warnt hier: „Wir haben bereits massive Einschläge zu verzeichne­n. Manche Unternehme­n schließen Standorte in Deutschlan­d, um sie in Billiglohn-Länder zu verlagern. Das ist die Motivlage nicht nur bei Continenta­l.“Solche Konzerne nutzten die Lage gerade massiv aus. Der Gewerkscha­fter ist alarmiert: „Wir müssen aufpassen, dass Unternehme­n, die von staatliche­n Förderunge­n für die Elektromob­ilität profitiere­n, nicht gleichzeit­ig Standorte schließen und neue Produkte außerhalb Europas produziere­n.“Hofmann hat die allein in den vergangene­n drei Monaten angekündig­ten Personalab­bau-Maßnahmen zusammenge­zählt. Er kommt so auf rund 200 000 Industrie-Arbeitsplä­tze, die in Deutschlan­d wegfallen sollen.

IG-Metall-Chef Hofmann setzt auf eine friedliche Tarifrunde.

 ?? Foto: Daniel Karmann, dpa ??
Foto: Daniel Karmann, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany