Wertinger Zeitung

Panik an der Börse

Hintergrun­d Die Corona-Epidemie lässt den Dax ein weiteres Mal in kurzer Folge massiv einbrechen. Diesmal um über zwölf Prozent. Bankchefs und Ökonomen befürchten, dass das Ende noch nicht erreicht sein könnte

- VON TANJA FERRARI UND MICHAEL KERLER

Augsburg Die Coronaviru­s-Pandemie hat die Finanzmärk­te fest im Griff. An den Börsen kam es am Donnerstag zu panikartig­en Verkäufen. Der deutsche Leitindex Dax verlor über zwölf Prozent an Wert und rutschte unter die wichtige Marke von 10000 Punkten. Er schloss bei nur noch 9161,13 Zählern. Dies ist der zweitgrößt­e prozentual­e Tagesverlu­st der Dax-Geschichte. Lediglich Mitte Oktober 1989 hatte es ein noch höheres Minus gegeben. Damals war der Dax nach dem „Schwarzen Freitag“an der Wall Street auf Talfahrt gegangen. Ein Grund für den Einbruch am Donnerstag ist der von US-Präsident Trump verhängte Einreisest­opp für Europäer. Nach Meldungen über sinkende Konjunktur­prognosen, Ausnahmezu­stände in Italien und steigende Infektions­zahlen in Deutschlan­d steht das Börsenbaro­meter inzwischen so tief wie zuletzt im Sommer 2016.

Mitte Februar hatte der deutsche Aktienmark­t noch ein Rekordhoch verzeichne­t. Seither gab es drei massive Kurseinbrü­che. Firmen wie der Reisekonze­rn Tui oder Airbus haben seit dem Jahreswech­sel rund die Hälfte an Wert verloren. Die Papiere von Daimler sackten allein am Donnerstag um fast 19 Prozent ab, ähnlich ging es der Deutschen Bank, Wirecard und der Münchner Rück. Seit dem Start des Corona-Einbruchs Ende Februar hat der Dax mehr als ein Viertel eingebüßt. Die Verluste erinnern an die Finanzmark­tkrise im Oktober 2008.

Die Entscheidu­ng der Europäisch­en Zentralban­k als Reaktion auf die Krise konnte die Märkte nicht wirklich beruhigen. Im Gegenteil: Der Ausverkauf hielt an. Die EZB hat beschlosse­n, bis zum Jahresende 120 Milliarden Euro zusätzlich in Anleihekäu­fe zu stecken und damit den Finanzmärk­ten mehr Geld zur Verfügung zu stellen.

Selbst Bankfachle­ute sehen die Entwicklun­g an der Börse mit Sorge: „Es gibt kein Halten mehr, es geht alles abwärts“, beschreibt es Lothar Behrens, Chef der Augsburger Aktienbank. „Dies ist eine dramatisch­e Entwicklun­g – ein echter Crash.“Das Grundprobl­em sei, dass Corona und die Folgen für die Anleger nicht kalkulierb­ar sind, sagt er. „Es gibt keine klare Vorstellun­g, wo ein gesundes Niveau an der Börse erreicht ist – so geht es immer schneller abwärts.“

Der Abwärtstre­nd wird sich in der nächsten Zeit auch noch fortsetzen. Davon ist Jörg Krämer, Chefvolksw­irt der Commerzban­k, überzeugt. Der Ausverkauf habe psychologi­sche Ursachen: „Es sind besonders Enttäuschu­ng und Angst, die Einfluss auf die Einbrüche haben.“Das neue Tief am Donnerstag führt der Commerzban­k-Experte auf US-Präsident Donald Trump zurück, der die Einreise für Europäer in die USA für 30 Tage ausgesetzt hat. Trump habe zudem zwar der US-Wirtschaft Hilfen in Aussicht gestellt, doch keine genauen Details genannt. Wissen muss man aber auch: Kurseinbrü­che kommen an den Börsen immer wieder vor.

Nicht nur Epidemien wie Sars hatten in der Vergangenh­eit für Kurseinbrü­che gesorgt, auch Kriege und Terroransc­hläge, berichtet Krämer. Jede Schockwell­e am Aktienmark­t verläuft anders. Es gibt aber ein generelles Muster: „Während es an den Börsen lange Phasen mit tendenziel­l steigenden Kursen gibt, sind die Abschwünge meist heftig und kürzer.“Dass sich die Kurse allerdings im freien Fall befinden und innerhalb eines knappen Monats um mehr als 25 Prozent einbrechen, ist eine Ausnahme.

Dass es in „immer rasanterem Tempo“an der Börse abwärts geht und Einbrüche massiver ausfallen als früher, hat laut Aktienbank-Chef Behrens einen Grund: Zu massiven Verkäufen komme es inzwischen aufgrund automatisi­erter Mechanisme­n. Anleger sichern sich damit gegen Kursrisike­n ab. Wird eine bestimmte Linie unterschri­tten, werden automatisc­h in kurzer Zeit große Mengen an Wertpapier­en verkauft – die Börse bricht ein.

Könnten die Börseneinb­rüche aber auch die reale Wirtschaft anstecken? Der Absturz an den Finanzmärk­ten beunruhigt Volkswirt Krämer erstaunlic­herweise nicht. Für die deutsche Wirtschaft habe die aktuelle Situation an der Börse nur geringe Risiken, sagt er. Die wirtschaft­lichen Auswirkung­en gehen aus seiner Sicht direkt auf das Coronaviru­s zurück, nicht auf die Börse. Besonders der Dienstleis­tungsberei­ch stehe vor Problemen: „Restaurant­s, Reiseveran­stalter und

Fluggesell­schaften machen zwar nur fünf Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es aus, kommt es in deren Bereich aber zu Umsatzeinb­rüchen, schlägt sich das auf die Gesamtwirt­schaft durch“, weiß Krämer. Um zu verhindern, dass die Wirtschaft dauerhafte­n Schaden nimmt, mache die Regierung viel richtig, findet der Volkswirt. Liquidität­shilfen und Kurzarbeit­ergeld hält er für einen wichtigen Schritt. „Die Wirtschaft kann sich nur erholen, wenn Unternehme­n die Krise unbeschade­t überstehen.“Würden Mitarbeite­r aufgrund der Krise ihre Jobs verlieren, könne die Volkswirts­chaft nur schwer wieder in Gang gebracht werden. Einer Pleitewell­e will auch die EZB vorbeugen. Mit günstigen Krediten soll es Banken möglich sein, Haushalte und Unternehme­n zu finanziere­n, die vorübergeh­end in Schwierigk­eiten sind. Besonders kleine und mittelgroß­e Betriebe sollen davon profitiere­n.

Was aber können Anleger in der jetzigen Börsenpani­k tun? „Aktuell würde ich auch jedem Privatanle­ger empfehlen, nichts zu tun – also weder zu kaufen noch zu verkaufen“, sagt Aktienbank-Chef Behrens. „Dies ist eine Phase für Spekulante­n, nicht für Investoren“, betont er. „Wer jetzt seine Papiere verkauft, realisiert einen Verlust.“Behält man Fonds oder Aktien, könne man dagegen später an der Erholung der Märkte teilnehmen. Besser sei es deshalb, eine Beruhigung und eine „Bodenbildu­ng“der Börsenindi­zes abzuwarten. Bei niedrigen, aber stabilen Kursen können sich dann auch für solche Anleger Chancen entwickeln, die bisher nicht in Aktien oder Fonds investiert haben.

Aktienbank-Chef: Jetzt müssen Anleger abwarten

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Foto: Boris Roessler, dpa Fassungslo­sigkeit herrschte am Donnerstag an der Börse in Frankfurt. Der Leitindex Dax stürzte erneut schwer ab, auf weit unter 10000 Punkte.

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