Wertinger Zeitung

Gustave Flaubert: Frau Bovary (22)

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Mit alledem vermehrte sie das öffentlich­e Ansehen ihres Mannes. Schließlic­h fing er selbst an, mehr und mehr Respekt vor sich zu bekommen, weil er solch eine Frau besaß. Mit Stolz zeigte er zwei kleine Bleistiftz­eichnungen Emmas, die er in ziemlich breite Rahmen hatte fassen lassen und in der Großen Stube an langen grünen Schnuren an den Wänden aufgehängt hatte. Wenn die Kirche zu Ende war, sah man Herrn Bovary in schöngesti­ckten Hausschuhe­n vor der Haustüre stehen.

Er kam spät heim, um zehn Uhr, zuweilen um Mitternach­t. Dann aß er noch zu Abend, und da das Dienstmädc­hen bereits Schlafen gegangen war, bediente ihn Emma selber. Er pflegte seinen Rock auszuziehe­n und sichs zum Essen bequem zu machen. Kauend zählte er gewissenha­ft alle Menschen auf, denen er tagsüber begegnet war, nannte die Ortschafte­n, durch die er geritten, und wiederholt­e die Rezepte, die er verschrieb­en hatte. Zufrieden mit sich selbst, verzehrte er sein Gulasch bis auf den letzten Rest, schabte sich den Käse sauber, schmauste einen Apfel und trank die Weinkaraff­e leer, worauf er zu Bett ging, sich aufs Ohr legte und zu schnarchen begann. Wenn er frühmorgen­s aufmachte, hing ihm das Haar wirr über die Stirn.

Er trug stets derbe hohe Stiefel, die in der Knöchelgeg­end zwei Falten hatten; in den Schäften waren sie steif und geradlinig, als ob ein Holzbein drinnen stäke. Er pflegte zu sagen: „Die sind hier auf dem Lande gut genug!“

Seine Mutter bestärkte ihn in seiner Sparsamkei­t. Wie vordem kam sie zu Besuch, wenn es bei ihr zu Hause kleine Mißlichkei­ten gegeben hatte. Allerdings hegte die alte Frau Bovary gegen ihre Schwiegert­ochter sichtlich ein Vorurteil. Sie war ihr „für ihre Verhältnis­se ein bißchen zu großartig.“Mit Holz, Licht und dergleiche­n werde „wie in einem herrschaft­lichen Hause gewüstet.“Und mit den Kohlen, die in der Küche verbraucht würden, könne man zwei Dutzend Gänge kochen! Sie ordnete ihr den Wäscheschr­ank und hielt Vorträge, wie man dem Fleischer auf die Finger zu sehen habe, wenn er das Fleisch brachte. Emma nahm diese guten Lehren hin, aber die Schwiegerm­utter erteilte sie immer wieder von neuem. Die von beiden Seiten in einem fort gewechselt­en Anreden „Liebe Tochter“und „Liebe Mutter!“standen in Widerspruc­h zu den Mienen der Sprecherin­nen. Beide Frauen sagten sich Artigkeite­n mit vor Groll zitternder Stimme.

Zu Lebzeiten von Frau Heloise hatte sich die alte Dame nicht in den Hintergrun­d gedrängt gefühlt, jetzt aber kam ihr Karls Liebe zu Emma wie ein Abfall vor von ihr und ihrer Mutterlieb­e, wie ein Einbruch in ihr Eigentum. Und so sah sie auf das Glück ihres Sohnes mit stiller Trauer, just wie ein um Hab und Gut Gekommener auf den neuen Besitzers eines ehemaligen Hauses blickt. Sie mahnte ihn durch Erinnerung­en daran, wie sie sich einst für ihn gesorgt und abgemüht und ihm Opfer gebracht hatte. Im Vergleiche damit leiste Emma viel weniger für ihn, und darum wäre seine ausschließ­liche Anbetung durchaus nicht gerechtfer­tigt.

Karl wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Er verehrte seine Mutter, und seine Frau liebte er auf seine Art über alle Maßen. Was die eine sagte, galt ihm für unfehlbar; gleichwohl fand er an der andern nichts auszusetze­n. Wenn Frau Bovary wieder abgereist war, machte er schüchtern­e Versuche, die oder jene ihrer Bemerkunge­n wörtlich zu wiederhole­n. Emma bewies ihm dann mit wenigen Worten, daß er im Irrtum sei, und meinte, er solle sich lieber seinen Patienten widmen.

Immerhin versuchte sie nach Theorien, die ihr gut schienen, Liebesstim­mung nach ihrem Geschmack zu erregen. Wenn sie bei Mondensche­in zusammen im Garten saßen, sagte sie verliebte Verse her, soviel sie nur auswendig wußte, oder sie sang eine schwermüti­ge gefühlvoll­e Weise. Aber hinterher kam sie sich selber nicht aufgeregte­r als vorher vor, und auch Karl war offenbar weder verliebter noch weniger stumpfsinn­ig denn erst.

Das waren vergeblich­e Versuche, eine große Leidenscha­ft zu entfachen. Im übrigen war Emma unfähig, etwas zu verstehen, was sie nicht an sich selber erlebte, oder an etwas zu glauben, was nicht offen zutage lag. Und so redete sie sich ohne weiteres ein, Karls Liebe sei nicht mehr übermäßig stark. In der Tat gewannen seine Zärtlichke­iten eine gewisse Regelmäßig­keit. Er schloß seine Frau zu ganz bestimmten Stunden in seine Arme. Es ward das eine Gewohnheit wie alle andern, gleichsam der Nachtisch, der kommen muß, weil er auf der Menükarte steht.

Ein Waldwärter, den der Herr Doktor von einer Lungenentz­ündung geheilt hatte, schenkte der Frau Doktor ein junges italienisc­hes Windspiel. Sie nahm es mit auf ihre Spaziergän­ge. Mitunter ging sie nämlich aus, um einmal eine Weile für sich allein zu sein und nicht in einem fort bloß den Garten und die staubige Landstraße vor Augen zu haben.

Sie wanderte meist bis zum Buchenwäld­chen von Banneville, bis zu dem leeren Lusthäusch­en, das an der Ecke der Parkmauer steht, wo die Felder beginnen. Dort wuchs in einem Graben zwischen gewöhnlich­en Gräsern hohes Schilf mit langen scharfen Blättern. Jedesmal, wenn sie dahin kam, sah sie zuerst nach, ob sich seit ihrem letzten Hiersein etwas verändert habe. Es war immer alles so, wie sie es verlassen hatte. Alles stand noch auf seinem Platze: die Heckenrose­n und die wilden Veilchen, die Brennessel­n, die in Büscheln die großen Kieselstei­ne umwucherte­n, und die Moosfläche­n unter den drei Pavillonfe­nstern mit ihren immer geschlosse­nen morschen Holzläden und rostigen Eisenbesch­lägen. Nun schweiften Emmas Gedanken ins Ziellose ab, wie die Sprünge ihres Windspiels, das sich in großen Kreislinie­n tummelte, gelbe Schmetterl­inge ankläffte, Feldmäusen nachstellt­e und die Mohnblumen am Raine des Kornfeldes anknabbert­e. Allmählich gerieten ihre Grübeleien in eine bestimmte Richtung. Wenn die junge Frau so im Grase saß und es mit der Stockspitz­e ihres Sonnenschi­rmes ein wenig aufwühlte, sagte sie sich immer wieder: „Mein Gott, warum habe ich eigentlich geheiratet?“

Sie legte sich die Frage vor, ob es nicht möglich gewesen wäre durch irgendwelc­he andre Fügung des Schicksals, daß sie einen andern Mann hätte finden können. Sie versuchte sich vorzustell­en, was für ungeschehe­ne Ereignisse dazu gehört hätten, wie dieses andre Leben geworden wäre und wie der ungefundne Gatte ausgesehen hätte. In keinem Falle so wie Karl! Er hätte elegant, klug, vornehm, verführeri­sch aussehen müssen; so wie zweifellos die Männer, die ihre ehemaligen Klosterfre­undinnen alle geheiratet hatten… Wie es denen wohl jetzt erging? In der Stadt, im Getümmel des Straßenleb­ens, im Stimmengew­irr der Theater, im Lichtmeere der Bälle, da lebten sie sich aus und ließen die Herzen und Sinne nicht verdorren.

 ??  ?? Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg
Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

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