Mit Kondomen und Bier auf Stimmenfang
Wahlkampf Um junge Wähler von sich zu überzeugen, müssen Politiker kreativ werden. Schema F funktioniert hier nicht
Nürnberg/Bamberg Sie verteilen Kondome vor Nachtklubs, trinken mit Studenten Bier in der WG-Küche oder posten kurze Musikvideos im Internet. Politiker lassen sich im Kommunalwahlkampf einiges einfallen, um junge Leute zu erreichen. Klassische Massenveranstaltungen auf großer Bühne und Stände vor dem Supermarkt ziehen bei diesen eher weniger. Möglichst jeden individuell ansprechen, lautet die Devise.
„Es stimmt, das ist ein ziemlicher Zeitaufwand“, sagt Jonas Glüsenkamp, der in Bamberg für die Grünen für das Oberbürgermeisteramt kandidiert. Dabei wirbt er aktiv um die jungen Wähler. „Wir haben eine junge Generation, die sehr politisiert ist – allerdings eher für die großen Themen.“Bei kommunalen Themen sei viel Überzeugungsarbeit nötig, und das gehe am besten persönlich. In den vergangenen Monaten hat der 32-Jährige deshalb Studenten-WGs besucht und seinen Wahlkampfstand vor Kneipen aufgebaut. Weil man in lockerer Atmosphäre einfacher ins Gespräch komme, hat Glüsenkamp festgestellt.
Auch der Nürnberger CSU-Spitzenkandidat
Marcus König ist abends schon von Kneipe zu Kneipe gezogen, um sein Wahlprogramm an die Frau und den Mann zu bringen. „Man muss die Leute da abholen, wo sie sind“, sagt der 39-Jährige. Sprich: Früher gab es Wahlkampftermine, zu denen die Leute kamen und einfach nur zuhörten. Heute müssen Politiker zu den Leuten gehen und sich deren Fragen stellen. König beantwortet diese zum Beispiel in kleinen Runden im Café, beim Lauftreff, über WhatsApp oder im Video-Chat. Die digitalen Angebote nutzen seinen Angaben nach vor allem junge Leute.
In der Kommunalpolitik hänge es stark von den einzelnen Kandidaten ab, ob sie die jungen Wahlberechtigten erreichten, meint Karla Frank von der Landeszentrale für politische Bildung. „Da zählen die persönlichen Kontakte. Parteien finden dagegen schwer den Zugang zu jungen Leuten.“Vor allem, wenn es um die sozialen Netzwerke geht, die bei jungen Erwachsenen eine große Rolle spielen. „Da tut sich die Kommunalpolitik eher schwer.“
Das ist auch der Eindruck von Julian Kott, der in Neubiberg bei München lebt. Bei der Kommunalwahl am Sonntag darf der 18-Jährige zum ersten Mal seine Stimme abgeben. Er bezeichnet sich als politisch interessiert und informiert sich hauptsächlich übers Internet. Aber da, wo er sich für gewöhnlich aufhält, sind die meisten der Politiker nicht: auf Instagram. „Die meisten sind auf Facebook unterwegs.“Wo er und seine Freunde niemals sind. Der Münchner SPD-Ortsverein Perlach-Waldperlach ist da schon weiter: Dieser ist nicht nur auf Instagram aktiv, sondern auch auf TikTok. In dem sozialen Netzwerk veröffentlichen Nutzer Videos, wie sie Play-back zu ihren Lieblingsliedern singen. Die Vorsitzende Helena Schwinghammer postet dort regelmäßig kurze Clips, in denen sie Wahlwerbung für die SPD macht.
„Politischer Inhalt auf TikTok ist nach wie vor eine Ausnahmeerscheinung“, sagt Schwinghammer. Präsent zu sein, darum gehe es vor allem. Eine Erfolgsgarantie ist das jedoch nicht. „Man gewinnt mit sozialen Medien keine Wahl. Man verliert höchstens eine, wenn man nicht in ihnen unterwegs ist“, meint der grüne Spitzenkandidat Jonas Glüsenkamp. Auch CSU-Politiker Marcus König hält die sozialen Medien nur für einen Mosaikstein. Noch wichtiger findet er: „Man muss die jungen Leute über Themen ansprechen.“Und diese bewege ganz anderes als ältere Leute, zum Beispiel wie sie vom Nachtklub mit Bus und Bahn nach Hause kämen oder wann die Sperrstunde beginne.
Bei den Themen haben es die Grünen nach Ansicht von Karla Frank von der Landeszentrale für politische Bildung leichter als andere Parteien, weil deren Schwerpunkt auf Umwelt- und Klimaschutz liegt – etwas, was die Jugend zurzeit sehr bewegt. Bei der jüngsten U18-Kommunalwahl, also der Wahl für die unter 18-Jährigen, lagen die Grünen jedenfalls in vielen Städten vorne. Jennifer Weese, dpa