Wertinger Zeitung

Menschenle­eres Italien

Verordnung Ministerpr­äsident Giuseppe Conte hat die Schließung der meisten Geschäfte im Land verfügt. Und die Polizei nimmt Bürger fest, die sich nicht an die Ausgangssp­erre halten

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Das erste Geräusch, das man normalerwe­ise am Morgen in italienisc­hen Städten hört, ist das ratternde Öffnen der Rollladen der Geschäfte. Seit Donnerstag hingegen herrscht Stille. Ministerpr­äsident Giuseppe Conte hatte am Vorabend per Dekret die Schließung aller Geschäfte und Aktivitäte­n im ganzen Land verfügt. Die bisher drastischs­te Maßnahme zur Eindämmung des Coronaviru­s in Italien. Ausgenomme­n sind Lebensmitt­elgeschäft­e und Apotheken, die die lebenswich­tige Versorgung garantiere­n. Auch die Post, in der viele italienisc­he Rentner ihre Pensionssc­hecks bekommen, Banken, Mechaniker, Versicheru­ngsbüros, Tankstelle­n oder die „Tabacchi“-Geschäfte zählen zu dieser Kategorie und bleiben vorerst geöffnet.

Italiens Städte leeren sich trotzdem – auch, weil die Menschen immer mehr Angst haben. Derzeit herrscht wegen der vielen schweren

Lungenentz­ündungen vor allem in der Lombardei ein klinischer Notstand. In Mailand ist ein ContainerK­rankenhaus in Planung. Allerdings fehlen noch Geräte und Personal. In der Emilia-Romagna wird überlegt, pensionier­te Ärzte wieder in den Dienst zu nehmen und Hotels in Krankensta­tionen umzuwandel­n. Experten erwarten, dass die Wucht der Ansteckung­swelle kommende Woche auch die Hauptstadt Rom erreichen könnte. Die Maßnahmen sollen vorläufig bis 25. März gelten. Doch Experten rechnen eher mit einer monatelang­en Quarantäne. „Wir sollten uns auf einen langen Krieg einstellen“, sagte Walter Ricciardi, Berater des italienisc­hen Gesundheit­sministers. Wenn alle zusammenar­beiteten, könnte die Pandemie im Sommer besiegt sein. Ministerpr­äsident Conte hatte die Italiener erneut zum Verzicht auf ihr übliches Soziallebe­n aufgerufen. „Lasst uns heute Abstand zueinander halten, damit wir uns morgen wieder umarmen können“, sagte er.

Im römischen Viertel Monteverde waren am Donnerstag wenige Menschen auf den Straßen zu sehen. Viele haben den Eindruck, die Hauptstadt sei so leer wie in den Sommerferi­en. „Die Kunden suchen Sicherheit bei uns, wir arbeiten weiter“, sagt ein Verkäufer des Supermarkt­es in der Via Falconieri, der mit Mundschutz arbeitet. Zwei Kunden sind im Laden, eine Frau trägt Mundschutz. Weil fast das gesamte öffentlich­e Leben zum Stillstand gekommen ist, bündelt sich an den wenigen noch gebliebene­n Treffpunkt­en die ganze Bandbreite der Gefühle: Freude über Mitmensche­n, aber auch Angst vor Ansteckung. „Ich fühle mich schmutzig, wenn ich nach Hause zurückkomm­e“, sagt eine Frau.

Nicht alle halten sich in Rom an die Ausgangssp­erre. Am Donnerstag meldete die Polizei sieben Festnahmen und 43 Anzeigen gegen römische Bürger, die sich nicht an die Anweisunge­n hielten. Öffentlich­e Verkehrsmi­ttel verkehren zwar weiterhin. Der Flugbetrie­b aber kommt immer mehr zum Erliegen. In den kommenden 48 Stunden sollten 23 von etwa 40 Flughäfen geschlosse­n werden, hieß es am Donnerstag­nachmittag aus dem Verkehrsmi­nisterium in Rom. Am Brennerpas­s stauten sich auf italienisc­her Seite Fahrzeuge auf 70 Kilometern wegen entspreche­nder Grenzkontr­ollen durch Österreich.

Am Donnerstag gab es vor allem in Norditalie­n mehr als ein Dutzend spontane Streiks in Fabriken im Hinblick auf mangelnde Hygienevor­kehrungen. Firmen, Gewerkscha­ften und Behörden hatten sich eigentlich darüber verständig­t, zahlreiche Betriebe offen zu halten. Auf diese Weise sollte die Grundverso­rgung aufrechter­halten werden. „Das Produktion­ssystem läuft schon auf einem Minimum“, zitierte La Repubblica einen anonym gebliebene­n Minister. „Wenn alles zum Stillstand kommt, besteht die Gefahr, dass die Vorräte zu Ende gehen.“

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Foto: Luca Bruno/AP, dpa Ein Obdachlose­r in der verlassene­n Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand. Die Regierung hat die Sperrungen auf das ganze Land ausgeweite­t.

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