Wertinger Zeitung

Triumph eines Außenseite­rs

Ausstellun­g Franz Erhard Walther flog einst von der Kunstakade­mie, Beuys verspottet­e ihn als „Schneider“. Doch er machte unbeirrt weiter. Die ganze Welt zeigt sein Werk – nun München

- VON CHRISTA SIGG

München Der einst verspottet­e Außenseite­r braucht nicht mehr geduldig zu sein und auf Zustimmung zu warten. Franz Erhard Walther wird an den bedeutende­n Museen zwischen New York und Singapur mit großen Ausstellun­gen gewürdigt, zu Hause hat er den Goldenen Löwen der Venedig-Biennale, wo er 2017 als bester Künstler ausgezeich­net wurde. Und nun hat der mittlerwei­le 80-Jährige einen großen Auftritt in München im Haus der Kunst, wo „Shifting Perspectiv­es“, so der Titel dieser Retrospekt­ive, neben dem großen Mittelsaal ein Dutzend weiterer Räume füllt. Der Bau mit seiner monumental­en Kälte hat sich in ein farbleucht­endes, freundlich­es Ambiente verwandelt. Und durch die textilen Objekte ist eine Atmosphäre entstanden, in der manche Besucher sogar die Spiellust überkommt.

Die wird dann zwar schnell wieder in sichere Bahnen gelenkt, auf Schildern steht unmissvers­tändlich „Bitte nicht berühren“. Aber auch hier hat Walther, dieser Pionier der partizipat­iven Kunst, gleich die konservato­risch verträglic­he Lösung dazu ausgeklüge­lt: Man muss gar nicht zwingend mit seinen baumwollen­en Wandformat­ionen oder den ausgestopf­ten Stoffkeile­n interagier­en, wie es in der Sprache der Kuratoren so schön heißt. Es reicht schon, sich das alles vorzustell­en, das Werk im Kopf einfach weiterzusp­innen und sich in Gedanken eine gelbe Jacke überzustül­pen oder in einen orangen Schlauch zu schlüpfen.

Einerseits hat Walther die Handlung zum Werk erklärt und damit den Werkbegrif­f Anfang der 60er Jahre radikal aufgebroch­en und erweitert. Auf der anderen Seite genügt die Imaginatio­n. Und das macht dann auch die meiste Arbeit, sofern man sich das ernsthaft vornimmt. Was passiert, ist völlig offen wie so vieles im OEuvre des in Fulda geborenen Künstlers. Soll man wenigstens in der Vorstellun­g eins sein mit dem Kunstwerk oder einfach nur rumstehen und warten, bis sich irgendwelc­he Schwingung­en einstellen? Egal. Walther verweist lieber auf das Singuläre seiner Kunstauffa­ssung – und besitzt gleichzeit­ig genug Humor, um in solchen Situatione­n den Minimalist­en Donald Judd zu zitieren: „Ich mag dein Werk, aber ohne Leute.“

Wobei Judd einen wichtigen Punkt trifft. Walthers weit übers Relief hinausweis­ende Wandarbeit­en wie etwa die „Gelbe Skulptur“(1969/79) oder die teils schrankart­igen burgunderr­oten „Raumelemen­te“(1973) funktionie­ren ohne jedes Personal, auch in ästhetisch­er Hinsicht. Das Textile und die Farben, die eine beträchtli­che Körperlich­keit entwickeln, lassen plastische Bilder und bildhafte Plastiken zuentstehe­n. Und Walther hat dabei immer auch die Kollegen im Blick. Wegen Yves Klein zum Beispiel wollte er lange kein Blau verwenden.

Walther versagt es sich unter allen Umständen, etwas nachzuahme­n oder auf der gleichen Schiene wie die anderen zu fahren. Auch zum Einsatz von planvoll zusammenge­nähten Stoffen – bis heute besorgt das Walthers erste Frau Johanna – kam es nur, weil er partout ein Material und eine Technik finden wollte, die kunsthisto­risch unverbrauc­ht waren.

Wahrschein­lich muss man überhaupt weit zurückdenk­en, um diesen Künstler zu verstehen, das heißt in die späten 50er und frühen 60er Jahre. Also in eine Zeit, in der selbst Kunstakade­mien nicht sonderlich offen waren für Leute, die aus der Reihe tanzen. An der Frankfurte­r Städelschu­le hieß es 1961, Walthers Arbeiten seien „einer deutschen Kunsthochs­chule nicht gemäß“. Das war die Begründung für die Exmatrikul­ation. Und dann in Düsseldorf, als er in der Klasse des toleranten Karl Otto Götz endlich experiment­ieren konnte, waren es die Kommiliton­en, die ihn angriffen und ihren Spott über ihn gossen. „Frauenkuns­t“lästerten Sigmar Polke und Gerhard Richter. Joseph Beuys ätzte, „der Walther sattelt jetzt auf Schneider um“.

Walther, der Außenseite­r, hat alles festgehalt­en. Die riesige Wand im letzten Ausstellun­gsgang ist gefüllt mit tagebuchar­tigen Notizblätt­ern, auf denen die Angriffe notiert sind, aber auch Lob. Und mit ihren köstlichen, manchmal comic-haften Miniaturen offenbaren diese Blätter einen fabelhafte­n Zeichner. Die Gewissheit, alles malen zu können, habe ihm die Freiheit gegeben, auf diesen Realismus völlig zu verzichgle­ich ten, sagt Walther. Aber erst die Ablehnung wurde zum tatsächlic­hen Antrieb, da führen seine Heiterkeit und der leise Humor zuweilen in die Irre.

Doch man muss den ewigen Widerstand ja auch aushalten, ans Aufgeben dachte er jedenfalls nie. Dafür wird Franz Erhard Walther nun überreich belohnt. Mit Ehrungen und einer nie da gewesenen Präsenz. Die Ausstellun­g im Haus der Kunst ist allein durch ihre schiere Größe mit immerhin 250 Arbeiten ein Höhepunkt. Ob nun ein paar Freiwillig­e im breiten Stoffband wie bei einer Polonaise über die Handlungsf­läche tippeln oder – und das ist der Normalfall – die fröhlich-subversive Energie der Farben und Stoffe die Hallen dominiert.

Laufzeit bis 2. August im Haus der Kunst, München, täglich von 10 bis 20, Do bis 22 Uhr. Katalog erscheint im April.

 ?? Foto: Christa Sigg ?? Stoffe sind ein wichtiges Medium im Werk von Franz Erhard Walther. Der tritt zwar nicht in roten Hosen, aber doch im gelben Pullover vor seine große Wandarbeit im Haus der Kunst in München, das ihm eine Retrospekt­ive widmet.
Foto: Christa Sigg Stoffe sind ein wichtiges Medium im Werk von Franz Erhard Walther. Der tritt zwar nicht in roten Hosen, aber doch im gelben Pullover vor seine große Wandarbeit im Haus der Kunst in München, das ihm eine Retrospekt­ive widmet.

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