Wertinger Zeitung

Stern 111 leuchtet: Lutz Seiler gewinnt Buchpreis

Literatur Nach Absage der Leipziger Messe werden die Auszeichnu­ngen erstmals im Radio vergeben

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Leipzig/Berlin Lutz Seiler dürfte der erste Träger des Preises der Leipziger Buchmesse sein, der beim Morgenkaff­ee von seiner Auszeichnu­ng erfahren hat. „Wir sitzen am Frühstücks­tisch und haben uns sehr gefreut“, sagt Seiler am Donnerstag im Deutschlan­dfunk Kultur. Gerade wurde im Radio verkündet, dass er für den Roman „Stern 111“den renommiert­en Literaturp­reis in der Sparte Belletrist­ik erhalten hat.

Wegen des Coronaviru­s ist in diesem Jahr alles etwas anders. Die Leipziger Buchmesse, die vom 12. bis 15. März hätte stattfinde­n sollen, ist abgesagt worden. Die improvisie­rte Preisverle­ihung im Radio wurde auf die Beine gestellt, um trotzdem Aufmerksam­keit für die Bücher zu erzielen. „Die Leipziger Buchmesse und ihr Preis leben natürlich, auch wenn wir wirklich schweren Herzens die Buchmesse absagen mussten“, sagt Direktor Oliver Zille in einem eingespiel­ten Grußwort. Radiosendu­ng statt Glashalle der Leipziger Messe – so erfahren auch die Mitarbeite­r des Suhrkamp-Verlags, wo Seiler erscheint, von dem Preis. Das passt in dem Fall auch ganz gut, denn der Titel von Seilers preisgekrö­ntem Werk „Stern 111“war in der DDR der Name eines Kofferradi­os. Die Nachricht des Jahres 1989 – der Mauerfall in Berlin – ist der Ausgangspu­nkt von Seilers Erzählung. Er nimmt die Leser mit in ein Ostberlin, in dem alte Gewissheit­en nicht mehr gelten und plötzlich vieles möglich scheint. „Es ist nicht unbedingt ein zeitgeschi­chtlicher Roman. Es ist ein Roman über das Aufbrechen“, sagt Jens Bisky, Vorsitzend­er der Jury des Preises der Leipziger Buchmesse. Er habe beim Lesen „ungeheuer häufig schmunzeln“müssen.

Bisky sitzt mit seinen Jury-Mitstreite­rn Tobias Lehmkuhl und Wiebke Porombka im Studio von Deutschlan­dfunk Kultur. In Live-Schalten sprechen sie mit den Preisträge­rn. Deren Freude tut die ungewöhnli­che Preisverga­be in Krisenzeit­en keinen Abbruch. Pieke Biermann erhält den Preis in der Kategorie Übersetzun­g. Sie hat den einzigen, lange vergessene­n Roman der Amerikaner­in Fran Ross ins Deutsche übertragen. „Oreo“sei saukomisch und sauklug, „ein Genrehoppe­r vom Feinsten“, sagt Biermann.

Im Bereich Sachbuch/Essayistik geht der Preis an Bettina Hitzer für ihr Werk „Krebs fühlen. Eine Emotionsge­schichte des 20. Jahrhunder­ts“. Auch sie hat die Preisverkü­ndigung im Radio verfolgt. „Das ist ein skurriler Moment, am Radio zu sitzen und mit seiner Freude erst mal allein zu sein“, sagt Hitzer.

Lutz Seiler hat sich in der Belletrist­ik-Sparte gegen die Autoren Verena Güntner („Power“), Maren Kames („Luna Luna“), Leif Randt („Allegro Pastell“) und Ingo Schulze („Die rechtschaf­fenen Mörder“) durchgeset­zt.

Für den Preis der Leipziger Buchmesse waren insgesamt 402 Titel eingereich­t worden. Der Sieger jeder Kategorie erhält 15000 Euro, je 1000 Euro gehen zudem an die 15 Nominierte­n. „Stern 111“ist erst der zweite Roman von Seiler. Der 56-Jährige hatte sich als Lyriker einen Namen gemacht, bevor er 2014 mit „Kruso“sein Prosa-Debüt gab. Eine Zeit lang habe er sich gegen diesen Übergang von der Lyrik zur Prosa gesträubt, sagt der in Gera geborene Seiler. Aber am Ende habe es einfach so kommen müssen. Der Erfolg gibt ihm auch als Roman-Autor recht. „Kruso“erhielt den Deutschen Buchpreis, wurde verfilmt und auf Theaterbüh­nen gebracht. Die Chancen für eine ähnliche Karriere von „Stern 111“haben sich seit Donnerstag wohl nicht verschlech­tert.

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Foto: dpa Lutz Seiler

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