Wenn der Brandschutz zum Problem wird
Bürokratie Die deutschen Vorschriften sind extrem umfangreich. Sie umzusetzen, ist nicht einfach. Vor allem aber kann es überaus teuer werden – und dazu führen, dass ein ansonsten gut erhaltenes Gebäude vor dem Abriss steht
Mering/Friedberg Wenn der katholische Pfarrer Thomas Schwartz durch den Saal des Meringer PapstJohannes-Hauses läuft, sieht er an jeder Ecke etwas, das ihn ärgert. Oder zur Verzweiflung treibt. Das kommt auf seine aktuelle Gemütslage an. „Die Decke ist aus Holz, dahinter ist Papier als Dämmmaterial. Das wurde damals so gemacht, damit bei der Dämmung kein Sondermüll anfällt“, erklärt er. Und weiter durch den Saal: „Die Vorhänge der Bühne sind nicht brandsicher, der Bühnenboden ist aus Pressspan.“Und weiter: „Die Galerie für 40 Personen hat keinen Notausgang, es gibt keine Brandschutztüren.“
Die Liste der Brandschutzmängel, die Schwartz abspult, ist lang. „Der ganze Saal ist eine Brandstätte.“Es ist zum Verzweifeln.
Der Raum war die erste Adresse für Veranstaltungen von Vereinen, der Pfarrei und der Marktgemeinde Mering im Landkreis AichachFriedberg. Bis er vor einem Jahr gesperrt wurde. Der Brandschutz verlangte es so. Dabei befindet sich der Saal eigentlich in einem guten Zustand: Die Galerie hat ein modernes Geländer und die Spezialdecke sorgt mit ihrer Form für eine überaus passable Akustik. Doch: Allein um den
Saal provisorisch wieder brandsicher zu machen und statisch abzusichern, wären rund 450 000 Euro fällig, sagt Schwartz. Ein Anfang nur. Denn nach etwa drei Jahren, so der Pfarrer, müssten Mängel am gesamten Gebäude beseitigt werden, siebenstellige Beträge würde das verschlingen – nur um den Brandschutzund Statikanforderungen zu genügen. Und das ist ein riesiges Problem – eines, das sich nicht nur in Mering besichtigen lässt.
Der Brandschutz, so nötig und wichtig er ist, wird zum Kostentreiber und vielerorts zum unlösbaren Problem.
„Die Überraschungen in Bestandsgebäuden sind mannigfaltig“, sagt Uwe Klostermann, Sachverständiger für vorbeugenden Brandschutz der IHK Schwaben. Seit 42 Jahren hat er beruflich mit dem Thema zu tun und weiß: „Der Brandschutz hat in den letzten 15 bis 20 Jahren eine völlig andere Wertigkeit bekommen. Wir haben in Deutschland einen Stand erreicht, der sich weltweit sehen lassen kann.“Inzwischen hätten sich auch die Hersteller von Brandschutzprodukten auf die neue Situation ausgerichtet, mit der Masse an Angeboten seien die Preise gesunken. Das ist das Positive. Das Negative? Auch die Regulierungen sind immer umfangreicher geworden. „Ich maße mir nicht an, sofort alle zu kennen. Es gibt jeden Monat zwei bis vier Seiten neue Vorschriften“, sagt Klostermann.
Fälle, in denen der Brandschutz Millionensummen kostet, machen regelmäßig Schlagzeilen. Die bekanntesten in Augsburg sind das Theater und die Fachober- und Berufsoberschule. Die meisten Gemeinden haben ihre eigenen Brandschutz-Sorgenkinder, oft sind es ältere oder historische Gebäude. Doch auch bei Neubauten wie dem Berliner Flughafen BER oder dem Stuttgarter Bahnhof brachte die Einhaltung der Brandschutzvorschriften Planer und Arbeiter an ihre Grenzen.
Dabei sei der Brandschutz gerade bei einem Neubau normalerweise kein Kostentreiber, sagt Reinhard Eberl-Pacan, Vorsitzender der „Bundesvereinigung Fachplaner und Sachverständige für den vorbeugenden Brandschutz“. Etwa zwei bis fünf Prozent der Baukosten mache er aus. „Mit einer vernünftigen Planung, Vorbereitung und Durchführung lässt sich vermeiden, dass ein Projekt am Brandschutz scheitert oder deswegen sehr viel teurer wird“, sagt er. In den allermeisten Fällen seien für solche Entwicklungen beim Bau auch nicht die Vorschriften der Grund, sondern Probleme bei der Kommunikation. Dann würden Dinge vergessen und müssten teuer nachgebessert werden.
Die Brandschutzmängel-Tour von Pfarrer Schwartz durchs PapstJohannes-Haus in Mering geht wei
Er kommt immer nur wenige Meter weit, bis er anhält und auf das nächste brandschutztechnische Desaster hinweist: die Holzdecke in der Küche, Holz- statt Brandschutztüren. Im ersten Stock und im Keller fehlen Fluchtwege. Und überhaupt: Die Treppenstufen im gesamten Gebäude würden jedem die Flucht vor einem Feuer unmöglich machen, der nicht gut zu Fuß ist. „Alles wurde nacheinander gebaut, in fünf Schritten vom 19. Jahrhundert bis in die 1980er Jahre“, erklärt Schwartz. „Deswegen gibt es auch kein einheitliches Schlüsselsystem.“Noch so ein Problem. Normalerweise müsste für die Feuerwehr ein Generalschlüssel bereitliegen, mit dem sie in alle wichtigen Gebäudeteile kommt.
Dass der Brandschutz im PapstJohannes-Haus nicht ausreiche, sei nicht von der Hand zu weisen, sagt Schwartz. Eines setzt ihm dennoch richtig zu – dass das Gebäude, das prinzipiell gut in Schuss ist, abgerissen werden muss. „Jedem, der das sieht, tut es im Herzen weh, mir als Allererstes“, sagt er. Doch die nötige Entkernung, um es gemäß der Brandschutzvorschriften sanieren zu können, würde über 70 Prozent dessen kosten, was für Abriss und Neubau anfallen würde. Also wird in Mering neu gebaut.
Das ist für Steffen Haase keine Option. Er ist Geschäftsführer der Immobilienverwaltung, die sich um den Gebäudekomplex „Brunnenhof“in Friedberg bei Augsburg kümmert. Der weist beim Brandschutz ernsthafte Mängel auf. 1988 vor allem als Ladenpassage errichtet, sind im Brunnenhof heute Läden, Büros, ein Hotel, Arztpraxen und Wohnungen untergebracht. Und diese geänderte Nutzung ist eines der Probleme, sagt Haase: „Weil beim Umbau von Ladenflächen zu Büroräumen Zwischenwände eingezogen wurden, decken die Sprinkler an den Decken nicht mehr alle Räume ab. Deshalb müssen zusätzliche Sprinklerköpfe eingebaut werden.“
Außerdem gebe es abgehängte Decken, über die Rauch und Feuer möglicherweise schnell in andere Räume ziehen könnten. Deutlich problematischer sei aber, dass der Bauherr von Anfang an einige Brandschutzauflagen nicht eingehalten habe. Deswegen gelte für den „Brunnenhof“kein Bestandsschutz in Sachen Brandschutz.
Uwe Klostermann, der Sachverter. ständige der IHK, erklärt: „Wenn Sie ein altes Gebäude kaufen, müssen Sie nicht immer den ganzen Brandschutz auf den neuesten Stand bringen.“Wenn das Bauwerk den Brandschutzvorschriften zur Zeit des Baus entspricht, gilt es auch heute noch als sicher, es genießt Bestandsschutz. Außer, wenn Gefahr für Leib und Leben droht – dann muss entsprechend nachgerüstet werden. Wenn ein altes Gebäude aber schon gegen die damaligen Brandschutzvorgaben verstößt, muss es in jedem Fall nachgebessert werden, und zwar so, dass es dem heutigen Stand entspricht.
Solche Fälle sind nicht selten: Um die Regeln vergangener Zeiten zu recherchieren, besuchte Klostermann schon so manches Archiv. „Ich habe sie fast regelmäßig vor Gericht, die Frage: Wie war denn das damals geregelt?“, erzählt er.
Dass Brandschutzvorgaben bereits beim Bau immer wieder auf der Strecke bleiben, liege auch daran, dass der Brandschutz kein eigenes Gewerk sei wie Dachdecker-, Klempner- oder Steinmetzarbeiten, kritisiert Klostermann. Jeder Handwerker müsse bei seinen Arbeiten selbst für den Brandschutz sorgen.
Wenn stattdessen der gesamte Brandschutz aus einer Hand käme, würden viele Probleme vielleicht gar nicht erst entstehen.
Im Fall „Brunnenhof“ist es dafür zu spät. Um das Gebäude nachträglich auf den gesetzlich geforderten Stand zu bringen, werde eine Summe im oberen sechsstelligen Bereich fällig, sagt Haase. Manches lässt sich zwar leicht nachrüsten, etwa zusätzliche Fluchtwege aus dem Dachgeschoss in Form von Leitern auf dem Dach. Sie sind inzwischen angebracht, zusammen mit einer Außentreppe vom ersten Stock bis zum Boden. Aber die Mängelliste sei viele Seiten lang, so Haase, und enthalte auch Dinge wie den fehlenden Rauchabzug nach oben im verwinkelten Treppenhaus, der technisch nicht umzusetzen sei. Hier müsse eine Alternative her.
Eine solche ist zum Beispiel eine Brandmeldeanlage, die ein Feuer automatisch bei der Feuerwehr meldet. Im Gegensatz zu einer baulichen Maßnahme verursache sie allerdings laufende Kosten, warnt Peter Bachmeier, leitender Branddirektor der Branddirektion München. Eine Brandmeldeanlage sei zudem für die Feuerwehr eine Belastung: Pro Anlage müsse sie im Schnitt pro Jahr einen Fehlalarm bearbeiten. „Bei vielen Anlagen in einer
Pfarrer Schwartz führt von Desaster zu Desaster
Kommentar zur Bauordnung hat 9600 Seiten
Gemeinde und insbesondere bei freiwilligen Feuerwehren ist dies ein zunehmendes Problem“, sagt Bachmeier, der auch Vorsitzender des Fachausschusses Vorbeugender Brand- und Gefahrenschutz der deutschen Feuerwehren ist.
Im Friedberger „Brunnenhof“läuft derzeit die letzte Umsetzungsphase: Das Brandschutzkonzept steht, der Prüfsachverständige hat die Arbeit aufgenommen, die Aufträge sind vergeben, zählt Haase auf. Das bedeutet jede Menge Arbeit – auch für den Sachverständigen.
Schließlich sei der Brandschutz, der in der Bauordnung verankert ist, nicht nur sehr umfangreich, sondern auch uneinheitlich, erklärt Uwe Klostermann, der IHK-Sachverständige. „Wir haben 16 Bundesländer und damit 16 verschiedene Bauordnungen, jede mit zusätzlichen Sonderbauvorschriften und mit eigenen Durchführungsbestimmungen. Das entspricht nicht unserem Globalisierungsgedanken.“Der Kommentar zur bayerischen Bauordnung, der festlegt, wie die Gesetzestexte praktisch umgesetzt werden sollen, fülle in seinem Büro zwei dicke Aktenordner und umfasse 9600 Seiten.
1962 wurde die erste bayerische Bauordnung nach dem Krieg festgelegt, erzählt Klostermann. Im Laufe der Zeit verabschiedeten die Bauministerkonferenzen der Länder immer wieder Musterbauordnungen, in die sie neue Erkenntnisse aus Schadensfällen einarbeiteten. Nie dauerte es lange, bis die Vorschriften in den einzelnen Bundesländern wieder auseinanderdrifteten. „Ein einheitliches Baurecht würde viele entlasten“, sagt der Experte. Ein frommer Wunsch vermutlich.