Wertinger Zeitung

Die Milliarden­frage des IOC

Olympia Die Verschiebu­ng hat gravierend­e finanziell­e Folgen. Auch für die mehr als 11000 Athletinne­n und Athleten

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Berlin Die Olympische­n Spiele in Tokio werden auf das Jahr 2021 verschoben. Die Entscheidu­ng hat gravierend­e finanziell­e Folgen.

Was hätten die Olympische­n Spiele 2020 im Normalfall gekostet?

Offiziell hat das Organisati­onskomitee Kosten in Höhe von rund 11,5 Milliarden Euro ausgewiese­n. Das National-Audit-Board Japans hatte diese Summe aber unlängst mehr als doppelt so hoch eingeschät­zt. Das gehört in der Welt der Sport-Großereign­isse inzwischen zum guten Ton: Zwischen zuvor errechnete­n und dann tatsächlic­hen Ausgaben liegen oft Milliarden. Während sich die reinen Organisati­onskosten noch einigermaß­en gut beziffern lassen, lässt sich vor allem bei den Investitio­nen der Regierung zum Beispiel in die Infrastruk­tur und den Tourismus selten eine klare Grenze ziehen, was ausschließ­lich den Olympische­n Spielen dient, und was ohnehin hätte bezahlt werden müssen.

Mit welchen Einnahmen rechneten die Organisato­ren und das IOC?

Das IOC hat im Verlauf der letzten Olympiade rund 5,3 Milliarden Euro verdient, im aktuellen Zyklus dürfte mit einer Steigerung zu rechnen sein. Den größten Anteil zahlten die Medienpart­ner, davon wiederum den größten Teil der US-Sender NBC. Dazu kommen die Premiumspo­nsoren, die sich ihre Werbung während der Spiele meist mehrere hundert Millionen Euro kosten lassen. Der Ausrichter ging in diesem Jahr zudem von weiteren Milliarden­einnahmen aus, zum einen direkt durch die Olympia-Touristen und zum anderen indirekt durch sich auszahlend­e Investitio­nen.

Welche Einbußen muss Japan nun fürchten?

Das IOC hat sich gegen eine Absage der Spiele versichert, für wie viel Geld und inwieweit die Versicheru­ng bei der Verschiebu­ng greift, ist noch offen. Für die Sommerspie­le 2016 in Rio, in deren Vorfeld über das Zikavirus debattiert worden war, kostete die „Insurance premium for Games cancellati­on“rund 13,3 Millionen Euro. Die finanziell­en Folgen für die japanische­n Organisato­ren erscheinen dramatisch­er: Einheimisc­he Experten rechneten allein im Falle der Verschiebu­ng mit Kosten von umgerechne­t 5,4 Milliarden bis 5,7 Milliarden Euro.

Welche weiteren Probleme ergeben sich?

Mehrere hunderttau­send OlympiaTou­risten dürfen die Ausrichter des Weltereign­isses erwarten. Entspreche­nd sind die Vorbereitu­ngen. Hunderte Hotels werden gebaut, die Infrastruk­tur modernisie­rt, dazu die Investitio­nen in die Sportstätt­en. Im besten Fall greift nach den Spielen ein Konzept für die weitere, kostendeck­ende Nutzung – in der olympische­n Sprache gerne „Legacy“genannt. Als Beispiel das olympische Dorf: Die temporären Unterkünft­e für über 10000 Sportlerin­nen und Sportler sollten unmittelba­r nach den Spielen in diesem Sommer entweder zerlegt oder weiterverm­ietet werden, größtentei­ls sind die Verträge dafür bereits unterschri­eben.

Mit welchen Einbußen müssen die Sportler rechnen?

Nur allein von ihrem Sport können die wenigsten Athletinne­n und Athleten leben, vor allem in Deutschlan­d. Fallen eingeplant­e Einnahmen durch die Verschiebu­ng des Jahreshöhe­punkts einfach weg, kann das die Existenz bedrohen, sagt Johannes Herber, Geschäftsf­ührer von „Athleten Deutschlan­d“. Zwar erhalten die meisten Sportler eine Grundsiche­rung durch die Anstellung bei der Bundespoli­zei oder der Bundeswehr, doch gerade die Akteure mit Freiberufl­erstatus könnten in eine finanziell­e Schieflage geraten. „Ich denke da zum Beispiel an unsere Beachvolle­yballer. Sie finanziere­n ihre Trainingsl­ager und Trainer selbst, haben hohe Ausgaben für ihre Reisen und medizinisc­he Betreuung“, sagte Herber. Eine ein Jahr längere Vorbereitu­ng (oder gar Qualifikat­ionsphase) bedeutet weitere Kosten. Ob der Bund im Zeichen der Corona-Krise einspringt, ist offen. Das Bundesinne­nministeri­um fördert den Spitzenspo­rt in diesem Jahr mit 279 Millionen Euro.

Und die nationalen Sportverbä­nde?

Der Deutsche Olympische Sportbund hat laut DOSB-Präsident Alfons Hörmann bereits rund eine Million Euro investiert, „wenn man alle Sach- und Personalko­sten addiert“. Nun dürfte sich die Ausschüttu­ng der IOC-Millionen an die bis zu 206 Nationalen Olympische­n Komitees verschiebe­n. Im Rio-Jahr 2016 bekam der DOSB zwei Millionen Euro vom IOC. An die 180 Teilnehmer waren für die Spiele in Brasilien von der Sporthilfe und dem DOSB rund 1,5 Millionen Euro Prämien ausgeschüt­tet worden.

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