Physiotherapeuten in Not
Pandemie Da sie nicht als „Primärversorger“eingestuft werden, erhalten lokale Ergo- und Physiopraxen keine Schutzmasken vom Staat. Die Informationslage ist unübersichtlich – und stellt Therapeuten vor schwierige Entscheidungen
Die Physiotherapeuten in der Region stehen vor schweren Entscheidungen, weil sie nicht als Primärversorger eingestuft sind. Betroffene berichten.
Wertingen/Dillingen Man hört Dennis Reichert den Frust an, als er über die derzeitige Situation spricht. Eigentlich würde er gerne gemeinsam mit seinem Team Menschen helfen, die Verspannungen haben, verrenkte Wirbel, verschobene Rippen, oder die nach Operationen ihren ganzen Bewegungsapparat wieder neu beleben müssen. Reichert ist Physiotherapeut, er lindert in seiner Praxis im Dillinger Westen den Schmerz seiner Patienten und gibt ihnen Hilfestellung für ein schmerzfreies Leben. Doch seit Montag vergangener Woche kann er das wegen der Corona-Pandemie nicht mehr.
Für die Arbeit, die er und sein Team verrichten müssen, ist in diesen Zeiten das Tragen von Schutzmasken vorgesehen. Diese sollten dem Schutzstandard FFP2 entsprechen, sagt Reichert. Solche Masken sind gerade nicht mehr erhältlich, der Markt ist restlos leergekauft. „Ohne Masken können wir unsere Patienten nicht mehr behandeln“, sagt Reichert.
Die Masken, die der 34-Jährige und seine Mitarbeiter benutzt haben, entsprächen sogar dem Schutzstandard FFP3, wie er sagt. Damit schließen sie vollständig mit der Haut ab und lassen keine Luft mehr durch. Das biete hohen Schutz, sei aber auch unangenehm beim Traberichtet Reichert. Außerdem müssen Physiotherapeuten durchaus kräftig zupacken, um etwa Verspannungen zu lösen. Durch die ebenfalls getragenen Schutzhandschuhe wurde auch diese Arbeit erschwert. „Es wird einem heiß, die Haut schwitzt, wird wund. Man muss sich abends stets mit Wundsalbe einreiben“, sagt Reichert. Die Schutzausrüstung dürfe nur jeweils eine Stunde lang getragen werden. Dann werde sie desinfiziert – und anschließend entsorgt. Das seien die Vorschriften.
Doch nun geht eben auch dieses erschwerte Arbeiten nicht mehr. Physiotherapeuten würden nicht als „Primärversorger“eingestuft, sagt Reichert. Damit müssten sie selbst zusehen, woher sie ihre Schutzausrüstung bekommen. Der Staat helfe ihnen nicht. Und durch die enorme Nachfrage auf dem weltweiten Markt und die damit verbundenen Lieferengpässe sieht es kurzfristig schlecht aus für die Versorgung. „Am Wochenende können wir voraussichtlich wieder Masken bestellen. Es kommt dann darauf an, wie schnell sie lieferbar sind“, sagt Reichert. Klare Aussagen gibt es hierzu nicht, aber die ist düster: Die Lieferzeit könnte sechs bis acht Wochen betragen.
Soforthilfen gebe es erst, wenn die privaten Ressourcen aufgebraucht seien. Reichert hat für seine Mitarbeiter Kurzarbeit beantragt, doch die Hilfestellung vom Staat findet er insgesamt für die Physiotherapeuten „schwierig“.
Er habe zahlreiche Telefonate geführt, zunächst mit der Regierung von Schwaben und anschließend mit dem Gesundheitsamt Dillingen. Denn was, wenn ein Patient nicht auf eine Behandlung warten kann? Wenn sie „lebensnotwendig“ist, was für den Bereich der Physiotherapie nicht einmal klar definiert ist? „Dann ist es mir freigestellt, auf eigenes Risiko als Praxisinhaber die Behandlung durchzuführen“, sagt Dennis Reichert. Mit seinen Patienten stehe er per Telefon und Email in regem Kontakt. Und über eine Sache ist er sehr froh: „Die Patienten haben volles Verständnis für unsere Lage.“
Ronny Gantze, der in Wertingen in der Industriestraße und am Krankenhaus Standorte betreibt, hat seinen Betrieb stark reduziert – „auf etwa zehn Prozent des normalen Nigen, veaus“, wie er sagt. Er konstatiert Folgendes zur derzeitigen Lage: „Die Unsicherheit ist überall groß, die Informationen oft vage.“Fest steht für ihn, dass er einen Behandlungsauftrag habe für diejenigen Patienten, die es wirklich nötig haben, also „Notfälle“sind. „Akute Schmerzbehandlungen, Lymphdrainagen, Nachbehandlungen und Krankengymnastik nach kürzlich erfolgten Operationen – das wird bei uns auch weiterhin durchgeführt“, sagt Gantze. Eben das, was nötig sei – auch bei Gantze unter den höchsten hygienischen Standards, die er gewährleisten kann, inklusive Mundschutz und Handschuhen.
Dass es keine klare Definition eines „Notfalls“in der Branche der Physiotherapie gebe, führt nach Ansicht von David Schmunk vor allem bei einer Gruppe zu Verunsicherung: den Patienten selbst. „Viele, die Schmerzen haben, bleiben in diesen Tagen lieber auf Verdacht zu Hause, da sie sich selber nicht als Notfall ansehen“, sagt der Geschäftsführer von Rehamed, der zwei Standorte in Wertingen und Dillingen hat. Vor allem ein Kriterium darf in Schmunks Augen allerPrognose dings nicht vernachlässigt werden: „Wichtig ist die Behandlung auch dann, wenn ohne sie Folgeschäden drohen.“
Die Corona-Epidemie hat es für Schmunk und sein Team mit sich gebracht, dass sie ihre Patienten nun auch bei offensichtlichen Krankheitssymptomen abweisen müssen. Wer hustend oder mit laufender Nase in die Praxis komme, werde nicht behandelt. Das Risiko sei zu groß – selbst wenn der jeweilige Patient gar nicht an dem Virus selbst erkrankt sei. „In diesen Zeiten ist auch das Risiko einer Ansteckung für eine andere Erkrankung der Atemwege entscheidend“, sagt Schmunk – schließlich könne dies im Falle einer zusätzlichen Erkrankung mit Covid-19 sehr gefährlich werden.
Finanziell könnte die Pandemie für die Physiopraxen schwere Folgen haben. Und dazu kommt, dass sich die Physiotherapeuten in puncto Ausfallzahlungen nicht detailliert informiert sehen. Die Therapeuten stehen vor der Gratwanderung, sich und ihr Personal zu schützen, und trotzdem ihr Geschäftsmodell weiterzuführen. „Das ist nicht ausreichend geklärt“, findet Schmunk. „Wenn ich ohne Verdacht auf einen konkreten CoronaFall zumache, habe ich wohl keinen Anspruch auf Entschädigung.“
Fotos: Reichert, Gantze, Rehamed