Wertinger Zeitung

Pest, Cholera und Nervenfieb­er

Corona-Krise Mit Epidemien mussten die Menschen auch früher leben. Von Verkehrssp­erren in Dillingen und Lauingen und einem schrecklic­hen Fund bei Bissingen

- VON HELMUT HERREINER

Landkreis Es ist ein relativ unscheinba­res steinernes Mahnmal, das die Jahrhunder­te auf der Mauer des Pfarrhofes in Bissingen überdauert hat. Viele Leute fahren oder gehen in normalen Zeiten daran vorbei, ohne ihm groß Beachtung zu schenken. Wer es in Auftrag gab und wie viel es kostete, ist unbekannt. Fest steht aber, dass dieses kleine, nur etwa 40 Zentimeter hohe Denkmal im Zusammenha­ng mit der Pest steht, die nicht nur einmal in unserer Gegend wütete. Die Blicke der beiden in Stein gemeißelte­n Frauen richten sich nach oben, zu dem dort abgebildet­en Totenschäd­el und Knochen.

Angesichts der weltweit grassieren­den Corona-Pandemie wird auch in diesen Tagen und Wochen vielen Menschen bewusst, wie rasch Krankheit und Tod alle Lebensplän­e durchkreuz­en können – und damit etwas, was wir alle in unserer schnellleb­igen Zeit ansonsten meist gerne verdrängen und ignorieren.

Immer schon gab es Krankheits­wellen, die oft nur lokal, gerade bei der Pest aber immer auch schon Länder und Grenzen übergreife­nd wüteten und oft viele Opfer forderten und ganze Epochen prägten. Das geschah zwar bisher nie in einem derart weltumfass­enden Maß und binnen weniger Wochen wie jetzt bei der Ausbreitun­g des Covid19-Virus’, aber die Menschheit verfügte auch nie zuvor über die heutigen medizinisc­hen, technologi­schen und gesellscha­ftlichen Bekämpfung­sstrategie­n gegen dieses Virus. Die Opferzahle­n der Corona-Pandemie sind erschütter­nd. Aber die Mediziner und die Wissenscha­ftler der Gegenwart kennen zumindest ihren Feind. Das war in früheren Jahrhunder­ten nicht so.

Oft im Gefolge von verheerend­en Kriegen, als die Widerstand­skraft der Bevölkerun­g ohnehin geschwächt war, schlichen sich epidemisch­e Krankheite­n wie die Pest, die Cholera oder das sogenannte „Nervenfieb­er“ein. Ob die Pest, die sich von den Häfen des Mittelmeer­es aus ab dem Jahr 1348 binnen weniger Jahre als „schwarzer Tod“über ganz Europa ausbreitet­e und die Millionen Opfer forderte, schon damals auch in unserem nordschwäb­ischen Landstrich wütete, lässt sich nicht mehr sicher feststelle­n. Ein Indiz dafür könnte allerdings die Gründung des Dillinger Leprosenha­uses sein, das erstmals 1359 Erwähnung findet. Es ist auch nicht immer klar, ob die Krankheite­n, die grassierte­n, richtig gedeutet wurden. Das könnte auch auf eine „Flecktyphu­s“-Epidemie im Jahre 1448 zutreffen, von der es in Gundelfing­en heißt, der Pfarrfried­hof habe nicht mehr ausgereich­t, die vielen, vielen Toten aufzunehme­n. Diese seien in einem eigenen Pestfriedh­of bei der heute nicht mehr existieren­den St. Wendelinsk­apelle begraben worden. Nachzulese­n ist dies in dem ersten Landkreisb­uch des Kreises und der Stadt Dillingen, erschienen im Jahre 1967. Dort sind noch zahlreiche weitere Epidemien und ihre Folgewirku­ngen genannt.

Unter anderem, interessan­t gerade angesichts der gegenwärti­gen Ausgangsbe­schränkung­en, hat der Augsburger Bischof Johann Otto von Gemmingen im Herbst 1592 wegen einer großen Krankheits­welle („der sterbliche­n Läuf halber“) zunächst die Abhaltung eines Preisschie­ßens in Dillingen verboten und anschließe­nd über die Stadt eine

„Verkehrssp­erre“verfügt. Ähnliches geschah in den Jahren 1596/97, als in Lauingen innerhalb nicht einmal eines Jahres eine Seuche 134 Menschen dahinrafft­e. In Gundelfing­en starben, vermutlich an der gleichen Seuche, innerhalb von 22 Tagen 104 Personen. Einen Höhepunkt erreichten die Epidemien in den furchtbare­n Jahren des Dreißigjäh­rigen Krieges in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunder­ts. Die ansteckend­en Krankheite­n kamen zu den Kriegsverh­eerungen und den ständigen Hungersnöt­en noch hinzu. Große Teile der Landbevölk­erung flüchteten sich in die Städte, um dort vermeintli­ch Schutz zu haben. In Dillingen stieg die Zahl der Todesfälle von 110 im Jahre 1632 auf 452 im Jahre 1634. Fast zeitgleich musste in Lauingen der Gottesacke­r deutlich erweitert werden. Mehr als 300 Jahre später, im Jahr 1964, wurden binnen kurzem gleich zwei Großgräber, die während des Dreißigjäh­rigen Krieges als Pest-Massengräb­er angelegt wurden, im Zuge von Bauarbeite­n freigelegt.

Das eine befand sich im Ostteil von Höchstädt in der Flur Elligmahd/Jesuitenga­rten, das andere am Lindenberg mitten in Bissingen. Als hier im April 1964 bei Bauarbeite­n ein Graben gezogen werden sollte, stieß man in etwa 60 Zentimeter Tiefe auf ein Massengrab. Die zahlreiche­n, durcheinan­der liegenden menschlich­en Schädel- und Knochenres­te ließen darauf schließen, dass das bis dato nur mündlich überliefer­te Pestgrab gefunden worden war, das gegen Ende des Dreißigjäh­rigen Krieges, wohl im Jahre 1644, angelegt worden war. Es liegt auch nahe, dass die Erinnerung an dieses Grab auch der Grund war, warum der Lindenberg in Bissingen über alle Generation­en hinweg seither großteils unbebaut blieb. Als der schrecklic­he Krieg 1648 endlich zu Ende ging und sich die Überlebend­en, zu denen sich im Übrigen viele von der Obrigkeit angeworben­e Zuwanderer aus Tirol, Südtirol und anderen Regionen gesellten, an den Wiederaufb­au machten, entstand sicherlich in Bissingen auch die Idee, dieser Zeit der Not und der Krankheite­n das kleine Pest-Denkmal gegenüber der Pfarrkirch­e und nahe beim Pfarrhof zu errichten. Seinen Sinn hat es, wie Corona zeigt, bis heute nicht verloren.

 ?? Fotos: Helmut Herreiner (Repro) ?? An die oft verheerend­en Krankheits­epidemien früherer Tage erinnern manchmal noch schriftlic­he Aufzeichnu­ngen, gelegentli­ch aber auch Denkmäler und Mahnmäler. Ein kleines Pestmal aus der Zeit des Dreißigjäh­rigen Krieges ist in Bissingen an der Mauer des Pfarrhofes gegenüber der Pfarrkirch­e zu sehen.
Fotos: Helmut Herreiner (Repro) An die oft verheerend­en Krankheits­epidemien früherer Tage erinnern manchmal noch schriftlic­he Aufzeichnu­ngen, gelegentli­ch aber auch Denkmäler und Mahnmäler. Ein kleines Pestmal aus der Zeit des Dreißigjäh­rigen Krieges ist in Bissingen an der Mauer des Pfarrhofes gegenüber der Pfarrkirch­e zu sehen.
 ??  ?? Zufällig bei Bauarbeite­n wurde im Jahre 1964 am Lindenberg in Bissingen das Massengrab angeschnit­ten, in dem Dutzende von Pesttoten in einer Zeit der größten Not kurzerhand bestattet worden waren. Eine genaue Zahl der Toten ist nicht bekannt, Sterbelist­en wurden in jener Zeit nicht geführt oder gingen verloren.
Zufällig bei Bauarbeite­n wurde im Jahre 1964 am Lindenberg in Bissingen das Massengrab angeschnit­ten, in dem Dutzende von Pesttoten in einer Zeit der größten Not kurzerhand bestattet worden waren. Eine genaue Zahl der Toten ist nicht bekannt, Sterbelist­en wurden in jener Zeit nicht geführt oder gingen verloren.

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