Richter: Familienvater trägt „massive Schuld“
Justiz 60-Jähriger aus dem Kreis wird wegen schweren sexuellen Missbrauchs verurteilt. Darum ist das Strafmaß so hoch
Augsburg Hat ein Familienvater zwei seiner leiblichen Kinder dutzende Male sexuell missbraucht und vergewaltigt? Fünf Termine hat es für die öffentliche Hauptverhandlung am Augsburger Strafgericht gegen einen Mann aus dem Landkreis Dillingen gebraucht, um diese Frage zu beantworten. Das Mädchen, nun volljährig, soll bei der ersten Tat im Jahr 2010 zehn Jahre alt, der jüngere Bruder sieben Jahre alt gewesen sein (wir berichteten).
Die Jugendkammer unter Leitung von Richter Lenart Hoesch holte zur Beurteilung eine Vielzahl von Stimmen ein. Neben Videoaufnahmen der Geschädigten wurden unter anderem die Ex-Frau und Schwester des Angeklagten vernommen. Seine Kinder zeichneten das Bild eines gewalttätigen Alkoholikers mit Wahnvorstellungen, der sie mit Drohungen gefügig machte. Die vom Angeklagten geschiedene Mutter der Kinder sagte, sie habe erst Jahre später von den Taten erfahren. Für die vernommene Schwester ist ihr Bruder ein Vorbild und „100-prozentig“unschuldig. In äußerst problematischen Familienverhältnissen aufgewachsen, sei der Angeklagte der einzige psychisch Gesunde der Geschwister geblieben, so seine Schwester.
Am vierten Verhandlungstag bescheinigte ein Gutachten dem Angeklagten, weder eine krankhafte sexuelle Neigung oder psychotische Störung zu haben. Auch könne man nicht von einer Alkoholsucht des 60-Jährigen sprechen. Die Kinder haben eine Vielzahl von stationären und ambulanten Therapien hinter sich. Die vor Gericht geladenen Therapeuten bezeugten, dass die Kinder unter anderem unter einer posttraumatischen Belastungsstörung
leiden. Staatsanwältin Kramer betonte in ihrem Plädoyer, dass vor allem die Vorwürfe des Buben unkonkret und daher schwer zu quantifizieren seien. Trotzdem hält sie beide Zeugen für glaubwürdig und plädierte auf eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren und elf Monaten. Die Verteidiger verlangten einen Freispruch ihres Mandanten und eine Haftentschädigung, da die Aussagen der Kinder unglaubwürdig seien. Der Angeklagte wollte dem nichts hinzufügen.
Mit einem Tag Bedenkzeit hat das Gericht unter Leitung von Richter Lenart Hoesch am Donnerstagnachmittag ein Urteil gefällt: Der Angeklagte wird schuldig gesprochen. Er wird wegen schweren sexuellen Missbrauchs in 18 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Strafmaß liegt damit höher als das von der Staatsanwaltschaft vorgegebene. Die Untersuchungshaft in den Niederlanden und der JVA Gablingen soll angerechnet werden. Die Schwester steht nach der Verkündung auf und protestiert. Sie wird vom Richter ermahnt, der nun das Urteil begründet. Das Gutachten
der Kinder würde für ihre Glaubwürdigkeit sprechen. Die Entstehungsgeschichte der Übergriffe sei nachvollziehbar. „Eine Pädophilie liegt beim Angeklagten nicht vor“, betont Richter Hoesch, genauso wenig eine starke Alkoholsucht oder psychische Störung. Er trage daher massive Schuld an der Belastung der Geschädigten, die bis heute andauere. Dass er weder ein Geständnis abgelegt hat, noch Reue zeigt, wirkt sich negativ auf die Gesamtstrafe aus.
Opferanwältin und Nebenklägerin des Verfahrens, Marion Zech, ist mit dem Urteil „mehr als zufrieden“. Strafverteidiger Ulrich Swoboda ist nach der Verkündung über das Strafmaß „geschockt“. „Sehr selten“liege jenes höher als von der Staatsanwaltschaft veranschlagt. Er zieht eine Revision in Betracht, weiß jedoch um die geringen Chancen für seinen Mandaten.