Wertinger Zeitung

Linus Försters Weg zurück ins Leben

Porträt Seit zehn Monaten lebt der ehemalige Landtagsab­geordnete wieder in Augsburg. Der verurteilt­e Sexualstra­ftäter spricht über seine Zeit in Haft, den schwierige Resozialis­ierungspro­zess und neue Pläne

- VON MIRIAM ZISSLER

Augsburg Anfangs, sagt er, habe er sich kaum aus der Wohnung getraut. Das kam in kleinen Schritten – alles nach und nach. Zunächst ging er in der unmittelba­ren Umgebung spazieren, erst Wochen später traute er sich zum Einkauf in die Geschäfte seines Stadtteils. Der ehemalige Landtagsab­geordnete Linus Förster musste sich an ein normales Leben erst wieder gewöhnen. Und lernen, dass „normal“nicht heißt „wie vorher“.

Als Linus Förster im vergangene­n August aus der Haft entlassen wurde, zog es ihn zurück in seine Heimatstad­t Augsburg. „Schämen ist ok. Flüchten ist der falsche Weg“, sagt er und stellt im selben Atemzug fest, dass er nirgendwo hätte hinflüchte­n können. Wer seinen Namen in der Internet-Suchmaschi­ne Google eingibt, stößt auf zahllose Artikel über seinen Prozess, seine Verurteilu­ng, seine Freilassun­g. „Nachdem ich ein Leben in der Öffentlich­keit geführt habe, wurden meine Fotos auch nicht verpixelt. Egal wo ich hingehen würde, könnte jeder mit einem Blick ins Internet alles über mich erfahren“, weiß er.

Und es gibt einiges zu erfahren. Wegen Sexualstra­ftaten wurde der ehemalige schwäbisch­e SPD-Chef und langjährig­e Landtagsab­geordnete 2017 zu einer Freiheitss­trafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Knapp zwei Drittel seiner Strafe verbüßte er in den Justizvoll­zugsanstal­ten in Gablingen und Amberg in der Oberpfalz. Als Förster im August 2019 freikam, zog er bei seiner Verlobten in Augsburg ein. Sie stand, genauso wie seine Familie, in all den Jahren zu ihm.

Linus Förster weiß heute, was das bedeutet. In der Therapie in der JVA in Amberg sei ihm vieles klar geworden. „Ich habe verstanden, was ich angerichte­t habe.“Schnell werde mit einer Tat ein ganzes Umfeld zerstört. Auch für seine Verlobte seien die vergangene­n Jahre eine „enorme Belastung“gewesen. Sie habe einen öffentlich­en „Shitstorm“aushalten müssen. „Deshalb hat sie sich auch in psychologi­sche Behandlung begeben müssen und war teilweise arbeitsunf­ähig“, sagt Förster. Als er in die Wohnung seiner Verlobten zog, traf sich das Paar als erstes mit den Nachbarn – alles Familien mit Kindern. So sollten etwaige Bedenken gegenüber des Sexualstra­ftäters schnellstm­öglich aus dem Weg geräumt werden. „Vor dem Treffen hatte ich richtiggeh­end Angst. Im Wohnzimmer habe ich mich dann ihren Fragen gestellt.“

Seine Taten werfen automatisc­h Fragen auf. Der 54-Jährige wird tagtäglich damit konfrontie­rt. Mal fragt ihn ein Bekannter, wie er nur solch „einen Scheiß“habe bauen können, mal schreibt ihm eine Unbekannte über das Internet, dass sie ihn nie mehr hätten freilassen sollen.

Förster hat zwei schlafende Frauen sexuell missbrauch­t, heimlich Sexfilme gedreht, er besaß Kinderporn­os. „Ich habe die Kontrolle verloren. Ich war ein Grenzgänge­r und habe die Grenzen überschrit­ten.“Er habe Bestätigun­g bei Frauen gesucht und sie auch bekommen. Er habe sich in einer Spirale befunden, die ihn in den Abgrund riss. „Ich habe Frauen zu Opfern gemacht.“

Daneben habe er sich Dateien mit Sexuellem im Internet herunterge­laden, wie andere Menschen Musik. „Ich hatte das Maß total verloren.“Er habe gemerkt, dass etwas schief laufe und habe sich bereits vor seiner Verhaftung selber in eine psychosoma­tische Klinik eingewiese­n. In der Einzel- und Gruppenthe­rapie im Gefängnis in Amberg habe er sich schließlic­h umfassend mit seinen Taten auseinande­rgesetzt.

Förster muss in den kommenden fünf Jahren Bewährungs­auflagen erfüllen – etwa eine Therapie aufgrund seiner narzisstis­ch geprägten Persönlich­keit fortführen. „Das ist etwas, das ich auch freiwillig weitermach­en will, weil ich es im Griff haben will. Ich will nicht, dass so etwas nochmals passiert.“Auf der anderen Seite habe er es auch nur durch diese Art so weit gebracht, glaubt er.

Förster weiß, wie tief er gefallen ist. Aus dem beliebten Musiker, dem einstigen Sunnyboy, dem Politikwis­senschaftl­er, dem ehemaligen Vorsitzend­en des Stadtjugen­drings und Geschäftsf­ührer des BukowinaIn­stituts der Uni Augsburg, dem langjährig­en Landtagsab­geordneten und angesehene­n Parteipoli­tiker ist ein arbeitssuc­hender Ex-Häftling geworden, der nun reihenweis­e Absagen kassiert. Konnte er früher mit seinem Namen glänzen, gilt er heute als nicht mehr gesellscha­ftsfähig.

Sein Gang an die Öffentlich­keit, seine Gespräche mit den Medien – zehn Monate nach seiner Entlassung – hat deshalb auch einen Grund. „Teilweise wird mir nun wieder Narzissmus vorgeworfe­n. Dabei will ich Lobbyarbei­t für Resozialis­ierung machen. Man sieht immer nur den Täter in mir. Dabei habe ich meine Strafe abgesessen und hätte jetzt eine Chance verdient, um wieder Fuß fassen zu können.“Er betont das mehrmals im Gespräch.

Weil er in der JVA Amberg in der Gefängnisb­ücherei gearbeitet hat, habe er nun Anspruch auf Arbeitslos­engeld. Aufgrund einer kaputten Bandscheib­e beziehe er gerade Krankengel­d. „Im Anschluss erhalte ich noch sechs Wochen Arbeitslos­engeld und danach Hartz IV.“Seine Lebensgefä­hrtin sei derzeit sein „wirtschaft­licher Anker“. Er führe Haushaltsb­uch und müsse sich bei jeder Ausgabe überlegen, ob sie noch drin sei oder nicht. Über 200000 Euro musste Förster für Prozess- und Anwaltskos­ten, TäterOpfer-Ausgleich und weitere Ausgaben, die während seiner Inhaftieru­ng aufliefen, bezahlen. „Meine private Altersvers­icherung wurde von der Staatsanwa­ltschaft gepfändet. Ich habe außerdem meine Pensionsbe­rechtigung verloren.“

Förster will arbeiten. Er hat sich unter anderem um eine Stelle bei der Landeszent­rale für Politische Bildung beworben. Die hat er ebenso wenig bekommen wie viele andere. Er vermutet, dass bei der Auswahl gleich mehrere Punkte gegen ihn sprechen. „Da ist zunächst mein Alter. Dann bin ich für viele Stellen hoffnungsl­os überqualif­iziert. Als ehemaliger Landtagsab­geordneter werde ich zudem als nicht teamfähig und selbstverl­iebt abgestempe­lt.“

Am schwersten wiege aber seine Verurteilu­ng. Arbeitgebe­r scheuten den zu erwartende­n „Shitstorm“in der Öffentlich­keit, gäben ihm deshalb keine Chance. „Ich habe meine Strafe abgesessen und bin sogar dank bester Gutachten frühzeitig entlassen worden. Gutachter attestiert­en mir, dass ich keinerlei pädophile Neigungen habe. Ich verstehe nicht, warum ich dann keine Chance erhalte?“, wundert sich Förster.

Auf Ablehnung stoße der 54-Jährige nicht nur auf dem Arbeitsmar­kt. Einige Bekannte hätten seine Freundscha­ftsanfrage­n im sozialen Netzwerk Facebook nicht beantworte­t, manche schrieben, sie wüssten nun nicht mehr, wie sie mit ihm umgehen sollten. „Einigen habe ich einen Brief geschriebe­n, aber es kam keine Reaktion. Es sind vor allem Leute aus dem kulturelle­n Bereich und dem politisch linken Spektrum.“Als 2016 die Vorwürfe gegen ihn bekannt geworden waren, legte er sein Landtagsma­ndat nach 13 Jahren nieder und trat aus der SPD aus. „Ich bin ein politische­r Mensch. Aber ich werde keine Parteipoli­tik mehr machen“, sagt er. Der Rechtferti­gungs- und Erfolgsdru­ck, Seilschaft­en und Schlangeng­ruben hätten ihn mürbe gemacht. Bewegen will er trotzdem etwas. Im Gefängnis habe er mit seinem Text „Begegnunge­n“einen Literaturp­reis gewonnen. Aus der Idee zum Text hat sich ein Buch entwickelt. Förster ist in den letzten Zügen – drei Kapitel von 23 fehlen noch.

Im Buch greift Förster seine Erfahrunge­n auf, die er als „Knastbeira­t“sammeln konnte. „Als Landtagsab­geordneter habe ich mich für die Inhaftiert­en der JVA Niederschö­nenfeld eingesetzt. Sie haben sich bei mir gemeldet, wenn das Essen nicht schmeckte oder sie sich ungerecht behandelt fühlten“, sagt er. Einen richtigen Einblick in den Strafvollz­ug habe er damals nicht gehabt – den habe er erst durch seine eigene Zeit hinter Gittern erhalten. Förster berichtet aus beiden Perspektiv­en, erzählt von Personen, die er im Gefängnis kennenlern­te, willkürlic­hen Entscheidu­ngen und davon, wie sich Inhaftiert­e oft das Leben selber schwer machen. In seinen Augen müsse sich einiges am Strafvollz­ug ändern. Förster will mit seinem Buch einen Finger in die Wunde legen. Derzeit habe er für das Schreiben Zeit, sagt er. Er hofft, dass sich das wieder ändert und dass die Menschen wieder einen anderen Linus Förster wahrnehmen als den Täter.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Der ehemalige Landtagsab­geordnete Linus Förster saß wegen Sexualstra­ftaten im Gefängnis. Nun versucht er, wieder Fuß zu fassen im Leben, doch das ist nicht leicht. Familie und Verlobte halten zu ihm, viele Freunde haben ihm den Rücken gekehrt. Und auch einen Arbeitspla­tz hat er bislang nicht gefunden.
Foto: Silvio Wyszengrad Der ehemalige Landtagsab­geordnete Linus Förster saß wegen Sexualstra­ftaten im Gefängnis. Nun versucht er, wieder Fuß zu fassen im Leben, doch das ist nicht leicht. Familie und Verlobte halten zu ihm, viele Freunde haben ihm den Rücken gekehrt. Und auch einen Arbeitspla­tz hat er bislang nicht gefunden.

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