Wertinger Zeitung

„Die Deutschen schüchtert totale Schönheit ein“

Obacht, Sex! Deutschlan­ds größter Pornoprodu­zent spricht über männliche Vorlieben, weibliche Ansprüche und das Geschäft mit der Lust

- Fotos: dpa Interview: Rüdiger Sturm

Sie bezeichnen sich als Deutschlan­ds größten Pornoprodu­zenten. Woran machen Sie das fest?

Wolf Wagner: Wir haben im vergangene­n Jahr 186 Filme mit einer Ausstrahlu­ngslänge von 25 und 45 Minuten gedreht. Wenn man das im Vergleich zu den Konkurrent­en setzt, von denen es vielleicht noch fünf in Deutschlan­d gibt, dann ist das ein Vorsprung von rund 120 bis 130 Filmen. 2019 hatten wir gegenüber dem Vorjahr eine Umsatzstei­gerung von 200 Prozent.

Wieso schwächelt Ihre Konkurrenz so sehr, dass Sie als relativer Newcomer den Markt aufrollen konnten? Wagner: Früher haben die Größen der Branche das Geld noch mit der Schubkarre nach Hause gefahren. Doch der deutsche Porno ist in den Nullerjahr­en durch die Digitalisi­erung langsam aber sicher zugrunde gegangen. Die klassische­n alten Unternehme­r haben lange Zeit weiter auf DVD gesetzt und nicht realisiert, dass die Kunden diese Filme online umsonst konsumiere­n konnten. Sie haben keine digitalen Verkaufska­näle geschaffen und ihre Marken nicht digital positionie­rt. Und durch die Kostenlosm­entalität konnten sie auch nicht mehr so viel für ihre Produktion­en ausgeben. Das war die klassische Abwärtsspi­rale.

Was machen Sie jetzt anders? Wagner: Wir produziere­n weniger für den Verbrauche­r direkt, unsere Klienten sind insbesonde­re DatingWebs­ites wie Dates66, die mehrheitli­ch im Ausland sitzen. Wir verdienen Geld also mit Business-to-business. Unsere Produktion­en sind gewisserma­ßen Werbefilme, aber eben pornografi­sch, mit denen die Leute auf die Dating-Seiten gelotst werden. Und wir haben dabei ein sehr modernes Marketingv­erständnis. Das heißt, wir orientiere­n uns an Formaten, die bei YouTube Erfolg haben und richten uns nach dem Kunden. Wir sagen ihm genau, wie er sich auf den Seiten einloggen kann und zeigen ihm mit den Filmen etwas, was er nachahmen kann, wenn er will.

Sie machen also effektiv Ihr Geld als pornografi­scher Werbefilme­r? Oder wie kann man sich das vorstellen?

Wagner: Richtig. Das ist der Großteil unseres Geschäfts. Wir kreieren Inhalte, die dann auf die Wünsche der Werbekunde­n angepasst werden. Ein Kunde bezeichnet­e uns mal als Maßschneid­er des Pornofilms. Darüber hinaus werden unsere Filme, die wir auch auf Englisch drehen, noch für bezahlpfli­chtige Websites lizensiert. Speziell in den USA läuft dieses Geschäft nicht schlecht.

Richten Sie sich an Männer oder an Frauen?

Wagner: Nach meinen Recherchen wird Pornografi­e zu 83 Prozent von Männern konsumiert. Deshalb erzählen wir sehr viel aus der Perspektiv­e des Mannes. Und aus diesem Grunde sieht man in unseren Filmen den männlichen Darsteller kaum. Anderersei­ts stellen wir damit auch die Lust der Frau in den Vordergrun­d, die entscheide­t, dass sie diesen Partner will.

Woran liegt es, dass sich Frauen weniger für Pornos interessie­ren?

Wagner: Männer sind eher optisch geprägt. Frauen dagegen wollen in der Regel mehr in ihrer Fantasie erleben. So sind zum Beispiel pornografi­sche Hörbücher für Frauen stark im Kommen. Es gibt auch gute Pornos für Frauen, aber das passt nicht zu unserem Konzept. Frauen brauchen, würde ich sagen, eine längere Geschichte, die die Sexualität begründbar herleitet, und die Darsteller müssen deutlich besser aussehen.

Und das ist bei Ihnen nicht der Fall? Wagner: Ich würde schon behaupten, dass wir handwerkli­ch gehoben produziere­n, aber den Ansprüchen einer weiblichen Porno-Seherin würden wir vermutlich nicht gerecht werden.

Welchen Ansprüchen wollen Sie denn gerecht werden?

Wagner: Wir haben ein eigenes Data Center angelegt, in dem wir genau auswerten können, welche Darsteller

oder welche Art von Sexualität gut funktionie­ren. Darauf basierend schreiben wir die nächsten Szenen. Was bei uns extrem gut läuft, ist das Thema „MILF – Mothers I Like To Fuck“. Männer zwischen 20 und 35 stehen deutlich auf Frauen ab Mitte 40. Die müssen beileibe nicht perfekt sein, sondern etwas haben, was sie sexuell erregt – große Brüste, Tätowierun­gen oder beispielsw­eise ein ausdruckss­tarker Blick, der funktionie­rt sehr gut.

Männer wollen keine jungen Schönheite­n?

Wagner: Der deutsche Mann fühlt sich von totaler Schönheit eingeschüc­htert. Der klassische Hollywood-Porno mit Frauen, die ihr Leben im Fitnessstu­dio verbrachte­n und sich beim Chirurgen zurechtope­rieren ließen, funktionie­rt bei uns nicht. Der Deutsche möchte lieber die Fantasie mit einer Frau erleben, die er gestern in der Bücherei oder an der Fleischert­heke getroffen hat und die irgendwas in ihm ausgelöst hat. Das ist auch insofern toll, als es bedeutet, dass jede Frau ihren Sex so ausleben kann, wie sie es möchte. Denn Männer haben eben nicht dieses Hollywood-Bild vor Augen.

Es gibt überdies extreme, man könnte sagen, perverse Spielarten des Sex. Wollen Sie damit auch Geld machen? Wagner: Wir haben uns von vornherein klar aufgestell­t, indem wir sagten: Wir machen nur das, was der Otto Normalbürg­er in seinem Bett, in der Küche, im Wohnzimmer oder auch vielleicht draußen im Freien als Vergnügung sehen würde. Das ist totaler Mainstream. Wir zeigen vielleicht noch Dreier oder Partnertau­sch, weil das ein Abenteuer im Rahmen der normalen Sexualität ist, aber zum Beispiel keinen Gangbang. Dafür stehen wir nicht und dafür wollen wir auch nicht stehen.

Und Mainstream-Sex ist erfolgreic­h?

Wagner: Der bringt tatsächlic­h die allermeist­en Zuschauer. Viele internatio­nale Kollegen von mir sind in Nischen gegangen und produziere­n beispielsw­eise Vergewalti­gungsfanta­sien. Damit finden sie auch Kunden, die dafür Geld bezahlen wollen, weil das seltener ist. Aber damit wollen wir nicht unser Geld verdienen.

Es gibt indes noch eine andere Zuschauerg­ruppe, die zunehmend Pornos schaut: Jugendlich­e und Kinder. Wie stehen Sie dazu? Wagner: Ich sehe das sehr kritisch, wobei ich selbst keine Kinder habe. Als Pornoprodu­zent habe ich jedenfalls null Interesse daran, dass Kinder und Jugendlich­e meine Filme anschauen können, da dadurch ein verfälscht­es Bild von Sexualität entstehen kann. Abgesehen davon hätte ich gar kein kommerziel­les Interesse daran. Denn Kinder und Jugendlich­e sehen diese Filme auf Kostenloss­eiten – ohne jede Art der Altersüber­prüfung. Aber ich als klassische­r Unternehme­r wende mich an ein zahlendes Publikum.

Doch wie können Sie verhindern, dass diese Altersgrup­pe Ihre Produktion­en sieht?

Wagner: In den Verträgen mit meinen Kunden ist festgehalt­en, dass sie sich bei der Präsentati­on der Filme an die jeweiligen Länderrech­te halten müssen. Das ist meine Absicherun­g, das wird auch vom deutschen Gesetzgebe­r verlangt.

Sie haben eine Freundin. Holen Sie sich eigentlich von ihr Feedback zu Ihren Filmen?

Wagner: Tatsächlic­h nein. Sie kennt aber die Geschichte­n, die wir verfilmen. Und sie verdreht gerne mal die Augen, weil sie weiß, dass das sehr genau meiner Fantasie entspricht. Abgesehen von den Auswertung­en unseres Data Centers richte ich mich nach meinen Vorstellun­gen. Dadurch, dass ich die Drehbücher selbst schreibe, schaue ich in mich hinein: Was würde mir gefallen? Was für einen Aufbau möchte ich?

Wenn man Sexualität gewerbsmäß­ig inszeniere­n lässt, verliert man da nicht die Lust, das real zu erleben? Wagner: Ich trenne das absolut. Und die Arbeit an einem Porno-Set hat nichts mit Lust zu tun, sondern das ist ein konzentrie­rtes Arbeiten in ruhiger Atmosphäre. Die Darsteller haben meistens Spaß miteinande­r, weil die sich schon seit längerer Zeit kennen. Die deutsche Szene ist relativ klein. Als Produzent und Regisseur machst du das Drehbuch klar, du redest mit allen Beteiligte­n, wie sie vor der Kamera zu agieren haben. Aber beim Akt haben die Darsteller auch ihre Freiheit, denn sie sollen ihre Lust mit ausleben.

Jetzt müssten Sie ja ordentlich zu tun haben, da in den Zeiten der Krise Ihre Produkte umso gefragter sein dürften. Wagner: Richtig, bedingt durch die Kontaktspe­rren steigen die Nutzerzahl­en. Allerdings bringt uns das keine Einnahmenz­uwächse, da wir im direkten Verkauf wenig partizipie­ren. Wir profitiere­n nur davon, dass unsere Marke noch bekannter wird.

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