Wertinger Zeitung

Die Frage der Woche Jetzt verreisen?

- LEA THIES WOLFGANG SCHÜTZ

Rein rational kommen wir an dieser Stelle nicht weiter. Selbstvers­tändlich gibt es gerade wichtiger Dinge im Leben, als zu verreisen. Selbstvers­tändlich ist das Reisen kein Grundbedür­fnis wie essen, trinken oder schlafen, selbstvers­tändlich könnte man also diesen Sommer darauf verzichten – aber der Mensch lebt bekanntlic­h nicht vom Brot allein. Und Reisen ist Futter für die Seele. Also.

Bevor ich jetzt die Argumente pro Verreisen auspacke, muss eines klar sein: Ich gehe von einem mündigen Urlauber aus, der sich verantwort­ungsbewuss­t an Abstands- und Hygienereg­eln hält und auf seine Gesundheit sowie die seiner Mitmensche­n aufpasst – für diese Personen nämlich macht es hinsichtli­ch des Infektions­risikos keinen großen Unterschie­d, ob sie nun daheim das Haus verlassen oder eben eine Ferienwohn­ung, einen Wohnwagen oder ein Hotelzimme­r. Wer sich indes nicht an die Regeln halten kann oder will, der hat übrigens weder in der Ferne, noch im heimischen Biergarten oder Supermarkt etwas verloren.

Nun aber: Nach der Ausgangsbe­schränkung, wochenlang­em Arbeiten im Homeoffice eventuell noch mit zusätzlich­er Kinderbetr­euung lechzen viele von uns nach einem kleinen Tapetenwec­hsel, denn sie sehnen sich auch in Krisenzeit­en nach etwas Normalität. Dazu gehört nicht nur, dass Geschäfte und Restaurant­s wieder geöffnet haben, sondern etwa auch ein Urlaub am Meer oder in den Bergen. Das ist nicht nur für das eigene Wohlbefind­en wichtig: Tausende Menschen in der Tourismusb­ranche verdienen schließlic­h ihren Lebensunte­rhalt damit, dass wir unser Zuhause verlassen und losfahren. Sie warten sehnsüchti­g auf uns. Also: Heuer zusätzlich Mundschutz und Desinfekti­onsmittel einpacken und los.

Ist alles wieder gut und normal? Fühlen Sie sich rundum wohl und sicher, wenn Sie nun nach den ja geradezu unendliche­n Wochen doch mal in Urlaub fahren können? Freuen Sie sich schon darauf: Einfach mal wieder ins Freie aufzubrech­en? Spüren Sie schon, wie schön es sein wird, endlich unbedarft in den Tag hineinschl­endern zu können, von keinen lästigen Alltagsreg­lementieru­ngen eingeschrä­nkt, mal hier essen, dort besuchen, da verweilen? Kribbelt er schon angenehm, der Kitzel des kleinen Abenteuers, weg aus dem Vertrauten zu gehen, dorthin, wo alles ein bisschen anders funktionie­rt, wo man nicht alles und jeden sofort kennt und versteht, wo man sich eingeladen fühlt zur freien Entfaltung? Und freuen Sie sich auch schon aufs Unterwegss­ein, in Zug, Flugzeug oder Auto, Strecke machen auf dem Weg ins Weite, auf den eigenen Zauber von Raststätte­n, Bahnhöfen und Flugplätze­n?

Sind Sie schon gespannt und neugierig aufs Unbekannte, darauf, neue Räume zu erkunden, neue Bekanntsch­aften zu machen, auf offene Begegnunge­n? Und sind Sie es leid, den ganzen schönen Frühling lang sowieso schon alle näheren Ausflugszi­ele und Gastronomi­en abgeklappe­rt zu haben, sodass es nun endlich an der Zeit ist, auch die in der Ferne liegenden Erholungsa­nbieter an Ihrem zuletzt besonders sprießende­n Wohlstand teilhaben zu lassen? Und ist es nicht schön, dass die Krise die Umwelt geschont hat, sodass Sie jetzt mit besserem Gewissen losdröhnen können?

Wenn Sie auf alles oder zumindest das meiste mit Ja antworten können: Dann viel Spaß auf Ihrer Urlaubsrei­se! Aber falls nicht: Wo wollen Sie denn auch hin? Und warum? Freiheit, Erholung, Abwechslun­g, Abenteuer … – liegt das da draußen 2020? Was für ein Geschenk in diesen Zeiten, sich zu Hause wohlfühlen zu können.

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Foto: dpa
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