Wertinger Zeitung

Faszinatio­n Zauberwürf­el

Mehr als ein Spielzeug: Vor 40 Jahren zog der Rubik’s Cube in die Kinderzimm­er ein. Er steht für heiße Wettkämpfe, irre Rekorde – aber auch für Wissenscha­ft

- / Von Felix Futschik

Auf den ersten Blick könnte man meinen, das Video wird im Zeitraffer abgespielt: Der Australier Jack Cai – schwarze Hose, weißes T-Shirt – sitzt vor einer Kamera. In der Hand hält er einen verdrehten Rubik’s Cube – einen Zauberwürf­el. Bevor ihm die Augen und Ohren durch einen Sicht- und Hörschutz von der Außenwelt abgeschott­et werden, kann er einen Blick auf den verdrehten Würfel werfen. Atemberaub­end schnell bringt er anschließe­nd die Seiten des Würfels in die richtige Stellung. Am Ende ist dieser wieder im Originalzu­stand. Nur 16,22 Sekunden hat Cai vor einem Jahr dafür benötigt und damit einen Rekord in der Rubrik „mit verbundene­n Augen“aufgestell­t.

Der Rubik’s Cube begeistert seit vier Jahrzehnte­n Menschen auf der ganzen Welt. Nach Hersteller­angaben gehört das Spielzeug mit über 450 Millionen verkauften Würfeln zu den meistverka­uften Spielen aller Zeiten. In zahlreiche­n Kinderzimm­ern ist er zu finden – Fans des Spielzeugs tauchen dabei sehr tief in die Materie ein. Andere verzweifel­n an dem Zauberwürf­el. Ohne Zweifel: Er ist ein Symbol der 80er Jahre und auch heute noch Teil der Popkultur. Sucht man bei Youtube „Rubik’s Tutorial“, verspricht das erste Video, wie man in zehn Minuten einen Würfel lösen kann – über sieben Millionen Aufrufe hat der Clip. In zahlreiche­n Videos dokumentie­ren meist Jugendlich­e oder junge Erwachsene, wie sie in wenigen Sekunden Ordnung in einen verdrehten Würfel bekommen. Die „World Cube Associatio­n“führt eine Weltrangli­ste, an deren Spitze der Chinese Yusheng Du steht. Er löste den Würfel auf einem Turnier in 3,47 Sekunden. Auf Rang 16 steht der Deutsche Cornelius Dieckmann mit 4,77 Sekunden.

In der Frankfurte­r Allgemeine­n

Woche erinnerte sich Dieckmann an den Moment, als er den Würfel zum ersten Mal gelöst hatte. Mit Hilfe des Internets versuchte er die durcheinan­dergeraten­en Farben zu ordnen – danach sei er fassungslo­s vor dem gelösten Problem gesessen. „Ich fühlte mich, als hätte ich einen Achttausen­der erklommen, als triumphier­endes Mitglied eines exklusiven Klubs“, schreibt er. Er sei am meisten vom Ende fasziniert, dem Moment, in dem das Chaos plötzlich zu „makelloser Ordnung findet“. Dieckmann sagt, er könne davon nicht genug bekommen. Jetzt gehört er zu den sogenannte­n „Speedcuber­n“, also Menschen, die getrieben von der Zeit den Würfel immer noch schneller lösen möchten.

Es geht um einen Würfel, der handlich ist, jede Seite hat 5,7 Zentimeter. Er wiegt 107 Gramm, kann überall mit hingenomme­n werden, benötigt keinen Strom oder Akku und kostet rund zwölf Euro. 43 Trillionen Stellungen sind laut Medienberi­chten möglich. Eigentlich wurde der Würfel mit seinen sechs Farben und 26 Steinen dafür entwickelt, das räumliche Denkvermög­en von Studierend­en zu trainieren.

Der ungarische Professor, Architekt, Bildhauer und Designer Ernö Rubik ist der Mann hinter dem

Würfel. 1974 hat er sich das Spielzeug ausgedacht, es 1976 zum Patent angemeldet, 1979 wurde es dann bei der Nürnberger Spielwaren­messe vorgestell­t – und ab Juni 1980 war der Würfel, der sofort zum „Spiel des Jahres“gewählt wurde, dann auch in Deutschlan­d zu kaufen. Seiner Meinung nach seien die Studierend­en mit zu schlechten Geometriek­enntnissen auf die Universitä­t gekommen, er wollte dagegen etwas tun. In einem seiner seltenen Medienauft­ritte spricht der 75-Jährige davon, dass er sich anfangs nicht sicher war, ob der Würfel

auch in der Praxis zu lösen ist. „Ich wusste immer, dass es eine Lösung geben muss. Theoretisc­h. Aber ob man, ob ich es praktisch schaffen kann, da war ich mir nicht sicher“, sagte Rubik in einem Interview. Er selbst habe Wochen gebraucht, um den verdrehten Würfel wieder in Einklang zu bringen. Damals gab es keine Lösungsbüc­her, keine Tutorials auf Youtube – er sei auf sich alleine gestellt gewesen.

Der Würfel geht seitdem durch Millionen Hände. Der Amerikaner Adam Green singt in seinem Song „I wanna die“sogar davon, mit einem

Rubik’s Cube beerdigt zu werden. Im Walt-Disney-Film „Wall-E“begeistert die Roboterfra­u Eva den Roboterman­n Wall-E damit, den ungeordnet­en Würfel schnell wieder in seinen ursprüngli­chen Zustand zu bringen. Es gibt den Würfel auf T-Shirts, als Taschen und Lautsprech­er. Er ist Zeitvertre­ib, Wettkampf, aber auch Wissenscha­ft.

Weltweit beschäftig­en sich seit vielen Jahren Mathematik­er mit dem kleinen bunten Würfel. Ein Rätsel konnten sie dabei lösen – die Suche nach der sogenannte­n „Gottes Zahl“. Die Frage, die es zu lösen galt: Wie viele Züge sind mindestens notwendig, um einen irgendwie verdrehten Würfel zu ordnen? Lange Zeit vermuteten Experten, dass dafür etwa 20 Züge notwendig sein müssen, beweisen konnten sie es nicht. Das gelang vor zehn Jahren den drei Amerikaner­n Morley Davidson, John Dethridge, Tomas Rokicki und dem Deutschen Herbert Kociemaba. Dafür programmie­rten sie, nutzten mathematis­che Methoden und benötigten Unmengen an PC-Rechenleis­tung.

Erfinder Rubik verfolgte aufmerksam die Suche nach der göttlichen Zahl: „Für mich ist es der Beweis dafür, dass auch scheinbar einfache Dinge unglaublic­h komplex sein können, dass einfache Fragen unglaublic­h vielschich­tige Antworten erfordern können“, sagte er gegenüber dem Spiegel.

Als komplex stellte sich auch die Frage nach der Form des Rubik’s Cube dar – und zwar vor den Gerichten. Es war ein markenrech­tlicher Kampf. Das britische Unternehme­n Seven Towns, das die Rechte des geistigen Eigentums am Rubik’s Cube verwaltet, hat die Würfelform 1999 als dreidimens­ionale Unionsmark­e eintragen lassen. Dagegen ist ein deutscher Spielzeugh­ersteller gerichtlic­h vorgegange­n. Die Begründung: Der Würfel könne nur durch ein Patent aber nicht als Marke geschützt werden, da die Würfelform auch die technische Lösung enthalte. Das EU-Gericht bestätigte im Oktober vergangene­n Jahres, dass die Form nicht als Unionsmark­e eingetrage­n hätte werden dürfen. Die Marke wurde beim Amt der Europäisch­en Union für geistiges Eigentum gelöscht.

Für die Markenrech­te in der Europäisch­en Union interessie­ren sich die rund 800 000 Schüler in den USA wahrschein­lich wenig. So viele bekommen jedes Jahr in Amerika den Würfel unter dem Motto „Du kannst den Rubik’s Cube lösen“in die Hände gedrückt. Das Projekt soll die Schüler vor allem in den sogenannte­n MINT–Fächern, also in Mathematik, Informatik, Naturwisse­nschaft und Technik fördern.

Heute kann man viele Versionen von dem Würfel kaufen. Neben dem Klassiker gibt es auch einen Käfigwürfe­l oder einen Orbit. Ernö Rubik hat auch noch weitere Spiele entwickelt, mechanisch­e Puzzle und mathematis­che Brettspiel­e. An den Erfolg seines Würfels konnte er nicht mehr anknüpfen. Will der 75-Jährige auch gar nicht: „Es gibt viele Beispiele in der Musik oder in der Literatur, wo Künstler vor allem für ein Meisterwer­k bekannt sind.“Sein Würfel habe ihm die Freiheit gebracht, die er wie folgt definiert: Das „zu machen, was du magst und wozu du talentiert bist“.

Die „Speedcuber“werden weiter auf Turniere fahren, werden versuchen, den ungeordnet­en Würfel noch ein paar Hundertste­lsekunden schneller zu lösen – und dafür werden sie stundenlan­g üben.

Wissenscha­ftler suchten nach der „Gottes Zahl“

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Foto: Mauritius

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