Wertinger Zeitung

Kann Kurzarbeit die Dauerlösun­g sein?

Analyse Die Hilfe sichert Jobs. Die Wirtschaft braucht aber auch Wandel und Dynamik

- VON MICHAEL KERLER

Kurzarbeit bewahrt Deutschlan­d derzeit davor, dass die Arbeitslos­igkeit in dramatisch­e Höhen schnellt, so, wie es die Vereinigte­n Staaten erleben. Erwartet werden in Deutschlan­d dieses Jahr bis zu 7,5 Millionen Kurzarbeit­er. Das sei weit mehr als in der Finanzkris­e 2008/09. Es seien aber auch „Millionen Menschen, die nicht arbeitslos werden“, sagte Detlef Scheele, Chef der Bundesarbe­itsagentur. Trotzdem taugt das Instrument Experten zufolge nicht als Dauerlösun­g.

Bereits vor der Corona-Krise ist der Arbeitsmar­kt in Bayern nach Jahren des Booms in eine neue Phase eingetrete­n, ist Ralf Holtzwart überzeugt, Chef der Arbeitsage­ntur in Bayern. „Wir hatten bereits vor gut einem Jahr steigende Arbeitslos­enzahlen im Vergleich zum Vorjahr“, ruft er in Erinnerung. Ursache sind strukturel­le Veränderun­gen zum Beispiel in der Chemie- und Autoindust­rie. „Die Pandemie überlagert derzeit alles, die strukturel­len Herausford­erungen sind aber nicht gelöst, sondern werden noch verstärkt“, sagt Holtzwart. Er ist überzeugt, dass der strukturel­le Wandel längerfris­tig die größere Herausford­erung wird. „Es ist deshalb wichtig, dass wir staatliche Subvention­en zielgerich­tet auf Innovation und Schlüsselt­echnologie­n ausrichten.“

Die Wirtschaft braucht also den Wandel. Für Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtsc­haft, kann Kurzarbeit deshalb keine Dauerlösun­g sein. „Kurzarbeit­ergeld ergibt dann Sinn, wenn ein Wirtschaft­seinbruch tief und nicht allzu lang verläuft. Es baut eine Brücke für Unternehme­n und ihre Arbeitnehm­er über dieses Konjunktur­tal.“Aber: Trotz aller Hilfen werden Unternehme­n Beschäftig­te entlassen müssen oder diese Krise nicht überleben, erklärt er. Ähnlich sieht es die Industrie: „Kurzarbeit ist das Mittel der Wahl für Unternehme­n, um in der Krise Beschäftig­ung zu halten“, sagt Bertram Brossardt, Hauptgesch­äftsführer der Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft. „Fakt ist, dass trotz Kurzarbeit nicht alle Jobs gerettet werden können“, schränkt er ein.

Vom Markt verschwind­en könnten in der Krise vor allem jene Unternehme­n, die davor schon in einer schwierige­n Situation waren, erklärt IfW-Chef Felbermayr. „Insofern ist die Krise auch ein reinigende­s Gewitter, das wenig konkurrenz­fähige Unternehme­n aus dem Markt fegt.“Das Kapital und die Beschäftig­ten, die dann freigesetz­t werden, könnten aber anderswo für dynamische­s Wachstum sorgen. „Manches Unternehme­n wird froh sein, dass es endlich an neue Arbeitskrä­fte rankommt, die anderswo freigesetz­t wurden“, sagt der Forscher. „Wird das Kurzarbeit­ergeld zu lange ausgeweite­t, besteht die Gefahr, dass es seinen Sinn verliert, wenig wettbewerb­sfähige Strukturen konservier­t und damit eine dynamische Erholung nach der Krise ausbremst.“

Kurzarbeit­ergeld auf Dauer zu zahlen, davon hält auch Holtzwart wenig. Die Regierung hat das reguläre Kurzarbeit­ergeld in der CoronaKris­e von bis zu 67 Prozent für Eltern auf bis zu 87 Prozent angehoben. Die SPD überlegt zudem, die Laufzeit auf bis zu 48 Monate zu erhöhen. „Ich denke, dass wir mit 67 Prozent Kurzarbeit­ergeld und zwölf Monaten Laufzeit gut dabei sind“, sagt Holtzwart. Hintergrun­d sind auch die Kosten: „Die Mittel müssen über die Arbeitslos­enversiche­rung von Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn bezahlt werden – diese Finanzieru­ng muss halten.“Die geschätzte­n Kosten der Kurzarbeit dieses Jahr: über 30 Milliarden Euro.

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