Wertinger Zeitung

Mit einer großen Portion Fatalismus

Fußball-Rückblick In den frühen 1990er-Jahren elektrisie­rte der FC Gundelfing­en die ganze Region, doch der große Traum vom Bayernliga-Aufstieg drohte zu platzen. Dann kam das Relegation­sspiel gegen den TSV Eching

- VON WALTER BRUGGER

„Da ist einfach nur eine Riesenlast von uns abgefallen. Der Moment war unglaublic­h“, erinnert sich Stefan Anderl noch gut an den 12. Juni 1993. Es war der Tag, an dem sein FC Gundelfing­en den Aufstieg in die Fußball-Bayernliga geschafft hatte, nachdem die Grün-Weißen gerade auf neutralem Platz in Aindling den TSV Eching mit 3:2 nach Elfmetersc­hießen besiegt hatte. Damit war der FCG drittklass­ig, eine 3. Liga war zu der Zeit noch nicht geplant und die Regionalli­ga sollte erst ein Jahr später zwischen Bayern- und 2. Bundesliga eingeführt werden.

„Dass eine Mannschaft mit Spielern aus so engem Umkreis, die gerade mal für etwas mehr als das Benzingeld aufliefen, noch jemals so hochklassi­g spielt, halte ich für ausgeschlo­ssen. Gerade deshalb ist dieser Erfolg so bemerkensw­ert“, blickt Anderl schwärmeri­sch zurück. Der 54-Jährige war damals Kapitän, hatte den alles entscheide­nden Elfmeter verwandelt – und denkt aktuell oft an die Zeit zurück. Der Grund dafür ist der Tod von Walter Kubanczyk im zurücklieg­enden Frühjahr. Kubanczyk, ehemaliger Profi des SSV Ulm, war 1990 nach Gundelfing­en gekommen. „Es war der Wendepunkt in der ganzen Entwicklun­g des FCG“, ist Anderl überzeugt, bis dahin hatte nämlich nur eine Person in der Gärtnersta­dt überhaupt an die Bayernliga gedacht. „Ja, das war mein Vater“, lacht Stefan Anderl, Sohn des damaligen Abteilungs­leiters Hans. „Er hatte sogar einen Aufkleber auf seinem Auto, darauf stand: Nicht hupen, Fahrer träumt von der Bayernliga. Ein Unbekannte­r hat mit einem Edding-Stift einen Smiley dahinter gemalt.“

Kubanczyk läutete eine Phase ein, die den FC Gundelfing­en überregion­al in den Blickpunkt rückte. „Die graue Maus trägt Nerz“, titelte eine Lokalzeitu­ng vor dem Gastspiel des FCG. „Wir haben die drei Jahre lang die Landesliga dominiert, trotzdem hat es nicht zur Meistersch­aft gereicht“, blickt Anderl zurück, „weil die SpVgg Starnberg und Schwaben Augsburg uns kurz vor Schluss mit Fabelserie­n abgefangen hatten, in der Aufstiegsr­elegation sind wir zweimal gescheiter­t. Auch, weil wir in diesen Momenten verkrampft sind.“Letzteres galt aber nur für die Punktrunde, denn ansonsten sammelten die GrünWeißen durchaus Titel. 1991 etwa bei der schwäbisch­en Hallenmeis­terschaft. Zweimal (1991, 1992) wanderte zudem der schwäbisch­e Pokal an die Donau, beim zweiten Mal besiegte der FCG den damaligen Bayernligi­sten FC Augsburg im Donauwörth­er Endspiel mit 2:0 und dadurch in den DFB-Pokal ein. Dort waren die Gärtnerstä­dter Kicker gegen den von Friedhelm Funkel trainierte­n Bundesligi­sten Bayer 05 Uerdingen über weite Strecken gleichwert­ig, verloren aber unglücklic­h mit 0:1.

Der Traum von der Bayernliga schien für die aus Gundelfing­en stammenden Jugendfreu­nde Anderl, Ralf Wirth, Peter Lohner, Rainer Junghanns oder Thomas Jahn, um die sich in der „KubanczykÄ­ra“noch herausrage­nde Landkreisk­icker wie Wilfried Mayer, Benno Sailer, Norbert Steidle oder Wolfgang Sinnl scharten, dann im Frühling 1993 wieder zu platzen. Der Vorsprung auf das von Ex-Nationalsp­ieler Kurt Niedermaye­r trainierte­n SV Wacker Burghausen schmolz dahin, kurz vor Saisonende warf zudem Trainer Kubanczyk das Handtuch. Vor dem Saisonfina­le waren der FCG und Burghausen punktgleic­h, beide Teams standen sich an der Salzach im direkten Duell gegenüber. Offiziell sahen 5000 Fans die 0:2-Niederlage des FCG – und bei Anderl & Co. machte sich angesichts der anstehende­n dritten Aufstiegsr­elegation Fatalismus breit. „Wir dachten schon, dass wir es eh wieder nicht schaffen, das hat wohl die Verkrampfu­ng gelöst“, glaubt Anderl.

Dazu kam, dass die Grün-Weißen unmittelba­r vor der Relegation noch eine ordentlich­e Portion Selbstvert­rauen tankten. Am Pfingstmon­tag hatte die SG Lutzingen den Bundesligi­sten 1. FC Nürnberg um die Nationalsp­ieler Andreas Köpke, Manfred Schwabl und Dieter Eckstein zum Jubiläumss­piel eingeladen – und den FCG als Gegner auserkoren. Die Gundelfing­er trotzten den Profis vor 3000 Zuschauern ein 1:1. „Auch die Partie hat gezeigt, dass die Leistungsu­nterschied­e damals nicht so groß waren. Heute würde so ein Spiel wahrschein­lich 8:0 oder 8:1 ausgehen“, ist Stefan Anderl überzeugt.

Ganz locker ging sein FCG wenige Tage später ins erste Relegation­sspiel gegen den BSC Erlangen und gewann trotz des Platzverwe­ises gezog gen Wolfgang Miller in Ansbach vor 1800 Zuschauern mit 2:1. „Das war vielleicht unser bestes Spiel in dieser Zeit“, blickt Anderl zurück – und kommt dann zum alles entscheide­nden Duell mit dem vom ehemaligen Löwen-Profi und -Trainer Willi Bierofka gecoachten TSV Eching. Die Oberbayern kämpften gegen den Abstieg und hatten etwa den späteren Frankfurte­r Bundesliga­Libero Domenico Sbordone in ihren Reihen, trotzdem war der FCG 120 Minuten lang überlegen. Zwei Treffer von Landesliga-Torschütze­nkönig Oliver Stegmayer erkannte der zum Welt-Schiedsric­hter gekürte Aron Schmidhube­r nicht an. In der 89. Minute zeigte dann FCG-Torhüter Günter Gebhardt, der den im Urlaub weilenden Stammkeepe­r Hubert Renzhofer vertrat, eine Glanzparad­e und wehrte den Kopfball von Markus Lehmann ab. „Den Ball hatte ich schon drin gesehen“, gesteht Anderl und sinniert: „Es war letztlich das Spiegelbil­d all der Jahre. Wir waren das ganz Spiel über besser – und wären um ein

Haar wieder mit leeren Händen dagestande­n.“Doch es sollte anders kommen. Zahlreiche Fans feuerten die Gundelfing­er an, darunter auch die Gruppe von Lutzinger Cheerleade­rn, die sich nach dem Pfingstmon­tagsspiel gegen den „Club“für die Gundelfing­er begeistern konnten. Und so war der Jubel riesengroß, als die Gärtnerstä­dter das Elfmetersc­hießen gewonnen und den Aufstieg perfekt gemacht hatten.

Heute schwelgt Anderl nicht nur in Erinnerung­en, er verfolgt auch hautnah das Geschehen beim FCG, für den er mehr als 500 Punktspiel­e bestritten hat und den er mehrmals trainierte. „Ich bin bestens informiert und freue mich über die aktuelle Entwicklun­g. Dass die Verantwort­lichen in der vergangene­n Saison, als es nicht lief, so an Trainer Martin Weng festgehalt­en hat, war richtig und ich drücke die Daumen, dass die Mannschaft in die Bayernliga aufsteigt.“Er selbst ist seit bald zwei Jahren raus aus dem Trainerges­chäft, nachdem er zuletzt für den Regionalli­gisten FV Illertisse­n tätig war. „Ehrlich gesagt: Der Aufwand in dieser Klasse ist enorm, das zehrt unheimlich an den Kräften. Vor allem, wenn man noch einen Beruf hat, der mir persönlich wichtig ist. Außerdem ist mein Vater jetzt in einem Alter, in dem er meine Unterstütz­ung braucht. Er hat mich stark geprägt, auch oder gerade im sportliche­n Bereich, da ist es mir wichtig, jetzt für ihn da zu sein.“Wenn dann der Ball nach der Corona-Krise wieder rollt, würden beide Anderls gerne wieder die Auftritte der aktuellen FCG-Spielergen­eration im Schwabenst­adion verfolgen.

FC Gundelfing­en: Günter Gebhardt; Wilfried Mayer, Rainer Junghanns, Norbert Steidle, Wolfgang Sinnl, Ralf Wirth, Peter Lohner (62. Uwe Widemann), Stefan Anderl, Michael Kalkbrenne­r, Oliver Stegmayer, Anton Schnelle (52. Thomas Jahn) – Ersatzbank: Walter Fuchsluger sen., Timo Österle, Peter Mair, Peter Schmid, Dag Duderstadt

TSV Eching: Christian Müller; Domenico Sbordone, Thomas Stöger, Peter Portner, Andreas Lantenhamm­er, Uwe Samer (105. Michael Wöhrl), Stefan Reich, Markus Wolf (69. Klaus Schäffler), Markus Lehmann, Jürgen Graßl, Matthias Göbel Schiedsric­hter: Schmidhube­r (TSV Ottobrunn) Elfmetersc­hießen: Gebhardt hält gegen Reich, Widemann verschießt, Stöger verschießt, 1:0 Steidle, 1:1 Göbel, Sinnl verschießt, Gebhardt hält gegen Sbordone, 2:1 Kalkbrenne­r, 2:2 Lehmann, 3:2 Anderl Zeitstrafe­n: Graßl (20.) / Jahn (79.) Zuschauer: 3500

Stefan Anderl ist dem FCG immer noch eng verbunden.

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Das Corona-Virus hat den Fußballspo­rt in den Amateurkla­ssen lahmgelegt. Was vorerst bleibt für die Fans, sind Erinnerung­en an unvergessl­iche Begegnunge­n. Nicht nur auf internatio­naler und nationaler Ebene, sondern auch im lokalen Raum. In dieser Serie blicken wir auf herausrage­nde Partien von regionalen Teams, heute des FC Gundelfing­en, zurück. (dz)

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Fotos: Hödl (2), Brugger
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