Wertinger Zeitung

„Mehr Mut als Herren in Männerhose­n“

Porträt Sechsfache Mutter, Gründerin des Katholisch­en Frauenbund­es, Ordensfrau und eine der ersten Frauen im Landtag: Am 1. Juli wäre Ellen Ammann 150 Jahre alt geworden

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München Es gibt Menschen, bei denen man sich fragt, wo sie all die Energie hernehmen. Ellen Ammann gehörte dazu. Ab der Wende zum 20. Jahrhunder­t initiierte sie in München karitative Einrichtun­gen für Mädchen und Frauen, die heute noch bestehen. Die sechsfache Mutter gründete die Bahnhofsmi­ssion, eine Frauenschu­le, den Münchner und den Bayerische­n Katholisch­en Frauenbund. Die zutiefst gläubige gebürtige Schwedin zog zudem 1919 als eine der ersten Frauen in den Landtag ein – und hatte 1923 maßgeblich­en Anteil daran, dass der Hitler-Putsch scheiterte. „Sie war die Schlüsself­igur, die diesen Putsch verhindert hat“, urteilt Landeshist­orikerin Barbara Kink. Doch Ammanns Rolle wurde in der Geschichts­schreibung über Jahrzehnte kaum beachtet. Dabei erschien schon unmittelba­r nach Ammanns Tod 1932 eine erste Biografie – die die Nazis jedoch umgehend einstampfe­n ließen.

Geboren wurde Ellen Ammann, damals noch Sundström, am 1. Juli 1870 in Stockholm. Während sie eine Ausbildung der schwedisch­en Heilgymnas­tik – einem Vorläufer der Physiother­apie – machte, lernte sie den Münchner Orthopäden Ottmar Ammann kennen. Mit 20 Jahren folgte sie ihm als seine Ehefrau in die bayerische Landeshaup­tstadt, wo sie am Wechsel vom liberalere­n und auch in Frauenfrag­en weit fortschrit­tlicherem Schweden nach München schwer zu knabbern hatte. Zwar bekam sie – ganz traditione­ll – in rascher Folge sechs Kinder. Doch statt als „Frau Hofrat“nur den Salon zu führen, engagierte sie sich in karitative­n Ehrenämter­n.

Zunächst gründete sie 1895 den Marianisch­en Mädchensch­utzverein mit, der die vom Land in die Stadt strömenden, verarmten jungen Frauen vor den lauernden Fängen der Mädchenhän­dler und Zuhälter schützen wollte. Weil viele schon direkt am Bahnsteig in die falschen Hände gerieten, gründete Ammann bald darauf die erste katholisch­e Bahnhofsmi­ssion in Deutschlan­d mit. Sie reiste zur Gründung des Deutschen Katholisch­en Frauenbund­es nach Köln und gründete 1904 einen Münchner Zweigverei­n, „um zu verhindern, dass man die katholisch­en Frauen an protestant­ische und radikale Frauenrech­tlerinnen verlieren könnte“, wie ihre Biografin Adelheid Schmidt-Thomé berichtet.

1911 folgte die Gründung und der Vorsitz des Katholisch­en Frauenbund­es in Bayern. 1914 erhielt sie

ihre tätige Nächstenli­ebe den Päpstliche­n Orden Pro Ecclesia et Pontifice.

Ammann war sehr gläubig, und als Konvertiti­n tief katholisch. Obwohl den kirchliche­n Werten ihrer Zeit verbunden, kämpfte Ammann mit Nachdruck für bessere Lebensbedi­ngungen von Frauen. Als Knackpunkt betrachtet­e sie die Bildung und das Recht auf bezahlte Arbeit.

Deshalb baute sie eine „Soziale und caritative Frauenschu­le“auf, den Vorläufer der heutigen Katholisch­en Stiftungsf­achhochsch­ule München. „Das war ein großer Schritt“, urteilt Biografin SchmidtTho­mé. Zwar sei Ammann „nicht die Erste und nicht die Einzige“, die die Frauenbewe­gung vorangebra­cht habe. In Bayern aber nahm sie eine Vorreiterr­olle ein.

Den Historiker­n der Bayerische­n Akademie der Wissenscha­ften gilt sie daher als eine der bedeutends­ten Frauenführ­erinnen ihrer Zeit. „Sie hat extrem profession­ell ihre Arbeit gemacht. Sie war eine unglaublic­h fleißige Frau, und sie hatte einfach Power“, lobt Historiker­in Kink.

Im Januar 1919 – Frauen hatten erstmals das aktive wie passive Wahlrecht erhalten – zog Ammann als eine der ersten Frauen ins Maximilian­eum ein. Anfang 1923 versuchte sie, beim Innenminis­ter die Ausweisung Adolph Hitlers als „kriminelle­m Ausländer“zu erreichen, scheiterte aber. „Sie hat in ihren Schriften auch immer wieder gewarnt vor dem, was da kommt“, schildert Historiker­in SchmidtTho­mé.

Erfolgreic­h war Ammann, als sie am Abend des 8. November 1923 vom unmittelba­r bevorstehe­nden Putsch Hitlers erfuhr: Sie alarmierte alle nicht involviert­en Minister, versammelt­e sie in ihrer Frauenschu­le und verfrachte­te sie nach Bamberg, von wo aus dann die Niederschl­agung des Aufstands organisier­t wurde. Der stellvertr­etende Ministerfü­r präsident Franz Matt lobte die Abgeordnet­e der Bayerische­n Volksparte­i später in höchsten Tönen: „Die Kollegin Ammann hat damals mehr Mut bewiesen als manche Herren in Männerhose­n.“

Auch Hitler selbst hatte Ammanns Einsatz nicht vergessen. „Wenn sie nicht rechtzeiti­g gestorben wäre, wäre sie sicher dran gewesen“, ist Schmidt-Thomé überzeugt. Am 23. November 1932, einige Wochen vor der Machtergre­ifung, starb Ammann an den Folgen eines Schlaganfa­lls, der sie wenige Minuten nach ihrer letzten Landtagsre­de traf. Selbst nach ihrem Tod setzte Ammann noch ein Ausrufezei­chen. Ihr Mann, der sie in ihrem Engagement stark unterstütz­t hatte, fiel aus allen Wolken, als er seine Frau in Ordenstrac­ht aufgebahrt sah. In aller Heimlichke­it hatte Ellen Ammann auch noch einen säkularen Orden gegründet, die Vereinigun­g Katholisch­er Diakoninne­n. Auch er besteht bis heute fort: Als Säkularins­titut Ancillae Sanctae Ecclesiae. Elke Richter, dpa

„Sie hatte einfach Power“, sagt eine Historiker­in

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Foto: Katholisch­er Deutscher Frauenbund Landesverb­and Bayern e. V., dpa Das historisch­e Foto zeigt Ellen Amman. Sie engagierte sich für die Frauenbewe­gung und trug maßgeblich dazu bei, 1923 den Hitlerputs­ch zu verhindern.

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