Verehrter Diderot
Gumbrecht holt den Aufklärer ins Heute
Es hat ja schon Bücher gegeben, die das versucht haben: Denis Diderot aus dem Schatten prominenterer Aufklärer wie Voltaire zu ziehen – und damit aus der Vereinnahmung in deren Vernunftsprogramm. Aber kein Buch wie dieses. Denn gleich zweierlei Besonderheiten vereint „Prosa der Welt“. Zum einen ist es geradezu eine persönliche Liebeserklärung an den großen Intellektuellen des 18. Jahrhunderts von einem großen heutigen Gelehrten: Hans Ulrich Gumbrecht, eine internationale
Instanz in der Literaturwissenschaft, lange im kalifornischen Stanford lehrend, aber auch in Montréal und Paris. Das führt hier auch zu der Skurrilität, dass dieses Buch des gebürtigen Würzburger in deutscher Übersetzung vorliegt.
Und zum anderen ist es das eindrückliche Unternehmen des 72-Jährigen, diesen Diderot auf seine besondere Bedeutung für das 21. Jahrhundert hin zu lesen – und nicht nur wieder als Schöpfer des ersten modernen Lexikons, des legendären Irrsinnswerks der Aufklärung, der über 70000 Artikel umfassenden „Encyclopédie“. Sondern als literarisch praktizierender Vordenker eines Prinzips, das eigentlich erst die Post-Moderne prägt: der Kontingenz. Hier herrscht kein stringentes Programm, keine übergeordnete Vernunft – in diesem mäandernden Werk wie in der wechselvollen Welt kann alles immer auch anders sein. Gutes Buch, bloß leider ein bisschen arg gelehrt im Ton.