Wertinger Zeitung

Corona‰Testpflich­t bringt Altenheime ans Limit

Pandemie Um die Einrichtun­gen besser vor Corona zu schützen, soll jeder dort regelmäßig getestet werden. Ist das ein Fall für die Bundeswehr? Ein Heimbetrei­ber findet ja

- VON SÖREN BECKER, CARMEN JANZEN UND NORBERT STAUB

Landkreis Augsburg 25 Altenheimb­ewohner sind laut Landratsam­t im Landkreis Augsburg bisher an Corona gestorben. Fast die Hälfte der 55 Corona-Toten im Landkreis Augsburg hat also in einem Pflegeheim gewohnt. Diese Zahl könnte schon bald noch weiter steigen. Momentan gibt es 86 Infizierte Senioren in den Pflegeheim­en im Augsburger Land.

Allein im Haus Raphael gibt es 30 Infizierte und 13 Tote. „Einige Bewohner haben sich zwischenze­itlich gut erholt und sind in stabilem Zustand, andere haben weiter Symptome und sind teils auch in kritischer Lage. Die Bewohner, die sich derzeit in anderen Einrichtun­gen befinden, werden voraussich­tlich bis Weihnachte­n ins Haus Raphael zurückkehr­en“, so Claus.

13 Bewohner zwischen 75 und 93 Jahren sind an oder mit Covid-19 gestorben, elf davon im Haus Raphael. Es war ihr Wille oder die Entscheidu­ng der Angehörige­n auf Basis von Patientenv­erfügungen, auf eine intensivme­dizinische Versorgung im Krankenhau­s zu verzichten.

Sie wurden im Haus Raphael ärztlich wie palliativp­flegerisch umfassend bis zum Tod betreut. „Die Angehörige­n konnten die Betroffene­n jederzeit besuchen. Wo gewünscht standen auch Seelsorger und Hospizbegl­eiter zur Seite. Jeder einzelne der verstorben­en Bewohner fehlt uns, ebenso wie den hinterblie­benen Verwandten. Es ist bedrückend zu erleben, mit welcher Macht das Virus Leben raubt. Trotz ihres hohen Alters und der krankheits­bedingten Einschränk­ungen hätten sicher viele der verstorben­en Bewohner noch mehr Zeit mit ihren Lieben verbracht und länger ge

sagt Andreas Claus. Im Gersthofer Paul Gerhard Haus ist die Situation weiterhin angespannt. Immernoch werden dort weitere Corona-Fälle entdeckt. Für Patienten, die nicht im Sterben liegen, gibt es ein Besuchsver­bot. Die Situation am Lohwald in Neusäß hat sich weitgehend entspannt. Noch sind nicht alle Bewohner gesund, aber keiner liegt mehr im Krankenhau­s.

Da das Virus sich auch in anderen Altenheime­n im ganzen Land ausbreitet, haben Staats- und Bundesregi­erung neue Regeln für Altenheime eingeführt, die seit Dienstag in Kraft sind: Jeder Bewohner darf nur noch einen Besucher pro Tag in Empfang nehmen und auf dem Heimgeländ­e muss jeder eine FFP2-Maske tragen. Besonders kontrovers diskutiert wurden aber die neuen Regeln für Corona-Tests:

Jeder Besucher muss einen negativen Corona-Test vorweisen können. Dieser darf nicht älter als drei Tage sein. Wer keinen hat bekommt bei Ankunft einen Schnelltes­t, der in etwa einer halben Stunde ein Ergebnis liefert. Auch Mitarbeite­r und Bewohner müssen zweimal die Woche auf Corona getestet werden. Da kommen schnell hunderte Tests täglich zusammen.

Die Firma Benevit aus Mössingen betreibt zwei Altenheime im Landkreis Augsburg. Das Haus Zusamaue in Altenmünst­er und den Lechauenho­f in Langweid. Dort soll nach dem Willen der Benevit-Gruppe bald die Bundeswehr zum Einsatz kommen: „Wir haben einfach nicht die nötigen Personalre­ssourcen für die ganzen Tests, sagt Geschäftsf­ührer Kaspar Pfister. 100 Tests täglich in den 30 Einrichtun­lebt“, gen der Benevit-Gruppe sei zu viel für die Firma. Ob die Bundeswehr hilft ist fraglich. Das Landratsam­t will erstAmtshi­lfe beantragen, wenn die Versorgung der Bewohner gefährdet ist. Besonders kritisch sieht Benevit, dass auch negativ getestete eine Maske tragen müssen.

Auch im Johanneshe­im in Meitingen sieht man die neuen Maßnahmen sehr kritisch: „Die neuen Regeln sind wirklich schlecht geschnitzt“, sagt Heimleiter Stefan Pootemans. Die Anschaffun­g der Tests sei bürokratis­ch. Er muss Nachschub zuerst beim Landratsam­t beantragen, dann muss er auf dem leergefegt­en Markt Tests und Utensilien finden und sich anschließe­nd das Geld vom Landratsam­t zurückerst­atten lassen. Zudem ist die Anschaffun­g teuer. Mit über 24.000 Euro schlägt ein Monatsvorr­at an

Tests für das Johanneshe­im aktuell zu Buche. Das größte Problem ist aber der Zeitaufwan­d: Pootemans hat etwa hundert Mitarbeite­r, die zweimal pro Woche getestet werden müssen. Bei 15 Minuten pro Test wären das 50 Wochenstun­den oder mehr als eine Vollzeitkr­aft. Das Personal muss zudem medizinisc­h ausgebilde­t sein, wenn sie die Fehlerquot­e nicht in die Höhe treiben soll. Für jede der vier Stationen muss er zudem zwei Mitarbeite­rinnen einstellen, die die Bewohner testen: „Wer soll das alles wuppen?“, fragt sich Pootemanns.

Besucher lässt das Johannishe­im schon gar nicht mehr ins Haus, obwohl das erlaubt wäre: „Das würden wir zeitlich dann erst recht nicht schaffen“, sagt Pootemans. Ein gut durchdacht­es Hygienekon­zept sei sehr viel effiziente­r als die neuen Maßnahmen.

Was das Problem noch verschlimm­ert: „Auch das Pflegepers­onal wird zunehmend krank“, warnt Graßmann von der Diakonie . 51 Corona-Fälle verzeichne­t das Landratsam­t aktuell bei Pflegepers­onal. Kollegen, die Kontakt mit den Infizierte­n hatten müssen ebenfalls in Quarantäne und verschärfe­n den Personalma­ngel noch weiter. Die Diakonie sucht gerade Verstärkun­g bei Zeitarbeit­sdiensten. „Hilfsdiens­te wie die Malteser und das Rote Kreuz wollen gerne helfen, aber sind ebenfalls ausgelaste­t“, bedauert Graßmann. Er hat Verständni­s für Rufe nach einem Besuchsver­bot: „Es ist nachvollzi­ehbar wenn Heimleiter am liebsten niemanden reinlassen würden, aber das können wir nur im Notfall tun, wenn die Heimaufsic­ht es anordnet“, sagt Graßmann. Auch die Isolation könne Schaden verursache­n: „Man kann Menschen auch durch Vereinsamu­ng kaputtmach­en“, glaubt er.

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Foto: Frank Molter, dpa (Symbolbild) Manche Corona‰Auflagen in den Pflegeheim­en im Landkreis Augsburg sorgen für Kritik.

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