Wie der Impfstoff fast am Steuerrecht scheiterte
Wirtschaftspolitik Die jungen deutschen Unternehmen Biontech und Curevac liefern das Mittel, das die Corona-Pandemie besiegen soll. Doch deutsche Bürokratie hätte diesen Erfolg zunichtemachen können. Die FDP fordert daher Änderungen
Berlin Es ist ein Triumph für die Wissenschaft in Deutschland, der noch nicht richtig in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen ist. Mit Biontech aus Mainz und Curevac aus Tübingen stehen zwei junge Unternehmen parat, mit ihren Impfstoffen das Coronavirus zu bezwingen. Biontech wird aller Voraussicht nach am Montag die Zulassung für sein Serum von der Europäischen Arzneimittelagentur bekommen, Curevac befindet sich mit seinem Mittel in der entscheidenden Testphase 3. Dass Deutschland in Zukunftsbranchen vorne liegt, passiert nicht so oft. Das Internetgeschäft beherrschen die USA und China, die Elektromobilität wurde beinahe verschlafen.
Auch das deutsche Impfwunder hätte genauso gut ausbleiben können. Verhindert von drögen Paragrafen. Denn das Steuerrecht macht es jungen Firmen hierzulande schwer, vor allem der Paragraf 8c des Körperschaftsteuergesetzes. In den ersten Jahren häufen Gründungen wie die beiden Pharmafirmen, aber auch andere Unternehmen aus der Internetwirtschaft hohe Verluste an. In der Medizin sind die Forschungsausgaben hoch. DigitalStart-ups wiederum müssen häufig auf Teufel komm raus wachsen, weil im Internet nur Größe zählt.
Steuerlich bilden die jungen Unternehmen Verlustvorträge, die sie später mit Gewinnen verrechnen können, wenn sie sich etabliert haben. Für Wagniskapitalgeber wie Dietmar Hopp, bekannt als Gründer des Software-Riesen SAP und Fußball-Mäzen Hoffenheims, ist das ein wichtiger Anreiz, ihr Geld in diese Start-ups zu stecken.
Doch wenn sich die Eigentümerstruktur der Firmen ändert, wenn zum Beispiel ein Wagniskapitalgeber oder ein Risikofonds mehr als 50 Prozent der Anteile kaufen, verfallen die Verlustvorträge. Sie gehen unter, wie es in der Fachsprache der Steuerberater heißt. Bei jungen Firmen kurz nach der Gründung sind
Eigentümerwechsel keine Seltenheit. Das ist ein Unterschied zu etablierten Unternehmen, deren Besitzstruktur stabiler ist und die Verlustvorträge deshalb erhalten können. „Noch nie kam jemand aus dem Wirtschaftsministerium auf uns zu, dieses Thema zu lösen“, beklagte Biontech-Aufsichtsratschef Helmut Jeggle unlängst in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Diese Problematik nannte er dabei ein „Dauerthema, über das ich mich ärgere“.
Die FDP will den Gründern helfen und den Paragrafen ändern. „Die GroKo kann froh sein, dass überhaupt Unternehmen am Standort Deutschland in der Lage waren, diesen Impfstoff zu entwickeln“, sagte Fraktionsvize Christian Dürr unserer Redaktion. „Es scheitert nicht an kreativen Köpfen, es scheitert am Steuerrecht“, fügt er hinzu.
In einem Positionspapier machen die Liberalen die Forderung auf, „dass der Untergang von Verlustvorträgen bei Anteilseignerwechseln nach Paragraf 8c des Körperschaftsteuergesetzes vollständig beseitigt wird“. Das Papier liegt unserer Redaktion vor.
Gerade in der schweren Wirtschaftskrise, die die Bekämpfung der Corona-Seuche ausgelöst hat, besitzt der Vorstoß eine besondere Dringlichkeit. Wenn vielversprechende junge Firmen unverschuldet in Not geraten sind, brauchen sie Geldgeber, die bei ihnen einsteigen. Das gilt zum Beispiel für Gründungen in der Reisebranche oder Mobilitätsplattformen. Banken geben Start-ups nur in Ausnahmefällen Kredite, weshalb ihnen dieser Weg versperrt ist, an frisches Geld zu kommen. Der Untergang der Verlustvorträge wirkt aber auf potenzielle Retter abstoßend.
Dietmar Hopp hat viel in Curevac investiert und ist über eine Holding Ankerinvestor der Tübinger. Häufig wird beklagt, dass es in Deutschland zu wenige Investoren wie den Milliardär gibt, die Gründern eine Chance geben. Curevac und Biontech haben es trotz des Steuerrechts geschafft.