„Arbeitgeber sollen CowboyMentalität ablegen“
Interview IG-Metall-Chef Jörg Hofmann warnt die Unternehmerseite davor, Corona für eine Rückabwicklung von Arbeitnehmerrechten zu nutzen. Der Gewerkschafter sieht für die Industrie enorme Gefahren durch einen härteren Lockdown
Herr Hofmann, die IG Metall muss sich in der angelaufenen Tarifrunde auf einen im Vergleich zu den vergangenen Jahren härteren Ton der Arbeitgeberseite einstellen. Der neue Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf sagt schlicht: „Es gibt absolut nichts zu verteilen.“Wie schmeckt Ihnen das Angebot einer Null-Lohndiät?
Jörg Hofmann: Die Metall- und Elektroindustrie befindet sich gerade auf dem Weg raus der Krise. Wir wollen diesen Pfad als Gewerkschaft stabilisieren und beitragen, Beschäftigung zu sichern. Über Zukunftstarifverträge wollen wir als Gewerkschaft stärker auch bei kleinen und mittleren Unternehmen den Fuß reinbekommen, wenn es um Strategien geht, den Wandel der Industrie hin zu Digitalisierung und Klimaschutz zu gestalten.
Beschäftigungssicherung geht aus Sicht der Arbeitgeber aber am besten mit einem „Anhalten der Lohntabelle“, also einer Nullrunde.
Hofmann: Das wäre falsch. Denn was wir jetzt in der Krise zur Stabilisierung der Wirtschaft brauchen, ist vor allem eines: Nachfrage. Das bestätigen auch die Wirtschaftsweisen, ist es doch ihrer Ansicht nach der private Konsum, der uns vor allem aus der Krise herausführen kann. Das funktioniert über sichere Arbeitsplätze und eine Anhebung der Löhne, wo das möglich ist. Deshalb fordern wir vier Prozent mehr Lohn, wobei Betriebe einen Teil der Erhöhung dafür verwenden können, die Arbeitszeit etwa im Rahmen einer Vier-Tage-Woche abzusenken und dafür den Beschäftigten einen teilweisen Lohnausgleich zu zahlen.
Gesamtmetall-Präsident Wolf „fehlt dafür jedes Verständnis, wie man jetzt mit so etwas kommen kann“. Wie können Sie bei ihm Verständnis wecken?
Hofmann: Ich habe selten Arbeitgeberpräsidenten erlebt, die Verständnis für Entgelterhöhungen hatten. Das scheint berufsbedingt. Fakt ist: 20 bis 30 Prozent der Betriebe der Metall- und Elektroindustrie schreiben gute Zahlen. Allein die GroßUnternehmen haben im großen Krisen-Jahr 2020 rund zwölf Milliarden Euro an Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet. Der Verteilungsspielraum ist da, nur die Prioritäten sind falsch gesetzt. Wir müssen die realen Entgelte erhöhen, damit der Wachstumspfad raus aus der Krise sich festigt.
Dabei wollen die Arbeitgeber nicht nur eine Nullrunde, sondern auch Sonderzahlungen wie etwa Spätzuschläge kappen. Wo ist da Ihre rote Linie?
Hofmann: Wer die Krise jetzt zum Abbau von Arbeitnehmerrechten missbrauchen will, der wird sich an uns die Zähne ausbeißen. Ich halte das für eine Unverschämtheit. Denn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben viel dazu beigetragen, dass wir die Krise bisher gut überstanden haben: So haben die Beschäftigten ihre Arbeitszeitkonten abgebaut, sie haben auf Schichten, also Einkommen verzichtet, sie haben ihre Urlaube dann genommen, wenn das für die Unternehmen gut war. Insofern ist es eine Unverschämtheit, jetzt den Beschäftigten als Rechnung für ihr Entgegenkommen das Streichen von tariflichen Leistungen zu präsentieren.
Ihre Appelle scheinen GesamtmetallPräsident Wolf nicht zu beeindrucken. Er sagt, überall dort, wo die Gewerkschaft dabei ist, werde es kompliziert. Er will mehr Regelungen auf Betriebsebene, am liebsten ohne IG Metall.
Hofmann (lacht): Das ist ein alter Arbeitgeber-Traum. Der geht nicht auf. Bei diesem Herr-im-Haus-Spiel machen wir nicht mit. Es geht nur mit der Gewerkschaft – und es geht nur auf Augenhöhe. Das Tarifvertragsrecht zieht hier klare Grenzen. Betriebsräte haben kein Streikrecht und das braucht es, um die Kräfte in Balance zu halten. Wir sind den Arbeitgebern im März 2020 entgegenund haben auf Lohnerhöhungen verzichtet und die Verhandlungen verschoben. Noch einmal schieben wir die Tarifrunde nicht auf.
In der Metallindustrie sind bereits massiv Arbeitsplätze weggefallen. Setzt sich der negative Trend fort? Hofmann: In der Metall- und Elektroindustrie sind 2020 schon 120 000 Arbeitsplätze weggefallen. Zudem wurden Zehntausende Leiharbeiter abgemeldet. Eine Prognose, wie es weitergeht, ist schwer. Zum Teil verlagern Firmen wie Conti jetzt Arbeitsplätze ins Ausland. Diese Verlagerungen zeugen von einem mangelhaften Verantwortungsbewusstsein. Es passt nicht zusammen, Betriebe in Niedriglohnländer zu verlegen, wenn man gleichzeitig die Hand für enorme Subventionen aufhält, die der Staat nun Firmen in der Krise gewährt, damit sie Beschäftigung sichern. Hier fehlt mir eine klarere Position der Politik gegenüber solchen Firmen.
Arbeitgeber-Vertreter Wolf sagt je
doch, der Wirtschaftsstandort Deutschland befinde sich nach Einschätzung von Unternehmern wieder an dem Punkt, wo sich Verlagerung rechne. Ja, Deutschland könnte, wie zu Beginn der 2000er-Jahre, erneut der kranke Mann Europas werden.
Hofmann: Das ist einfach nicht richtig. Gerade in Europa ist die deutsche Industrie der Leitmotor für Innovation in vielen Branchen. Und dies auch, weil die Gewerkschaften diese Innovationsdynamik nicht nur akzeptieren, sondern aktiv einfordern. Aus taktischen Überlegungen, den eigenen Standort und damit die Leistung von tausenden Betrieben und ihrer Beschäftigten schlecht zu reden, ist nicht anständig.
Droht die Tarifrunde trotz der Corona-Lage angesichts der aufgefahrenen Geschütze zu eskalieren?
Hofmann: Innerhalb des Arbeitgeberlagers existieren sehr offensichtlich unterschiedliche Strömungen. So gibt es Regionen, in denen konstruktiv versucht wird, Lösungen zu finden. Es gibt aber auch PöbelArien, mit denen ich nichts anfangekommen gen kann. Angesichts der CoronaLage wäre es auf Arbeitgeberseite angemessen, die Cowboy-Mentalität abzulegen und konstruktiv an Themen zu arbeiten. Wenn jedoch die Arbeitgeber Corona für eine Rückabwicklung von Arbeitnehmerrechten nutzen wollen, werden auch wir garstiger.
Wie gefährlich wäre ein langer, harter Lockdown für die deutsche Metallindustrie mit den zentralen Branchen Maschinenbau und Autoindustrie?
Hofmann: Dadurch werden die Lieferketten instabiler, es wird also etwa für Autohersteller schwieriger, wichtige Zulieferteile zu bekommen. Doch ganz ohne die CoronaKrise verzeichnen die Autobauer schon heute spürbare Engpässe, was Chips und Batteriezellen betrifft. Das ist auch eine Folge unserer Abhängigkeit von Lieferungen aus Fernost. Wir brauchen mehr Stabilität in den Lieferketten und das verlangt entsprechenden Aufbau von Kapazitäten in Europa. Jetzt kommt die positive Entwicklung von Fahrzeugherstellern im zweiten Halbjahr 2020 wieder ins Stocken. Das hat mit der Pandemie gar nichts zu tun.
Und wenn jetzt noch die Industrie komplett runterfahren müsste?
Hofmann: Dann würde unsere Wirtschaftskraft zusammenbrechen. Doch diese Kraft brauchen wir dringend, um uns weiter alle sozialstaatlichen Maßnahmen zur Abfederung der Folgen der Krise leisten zu können. So ein Runterfahren der Wirtschaft hat lang anhaltende Konsequenzen: Wenn die Produktionsbetriebe zwei, drei Wochen schließen würden, dauert es mindestens doppelt so lange, ehe die Firmen wieder in der Lage sind, richtig loszulegen. So ein Shutdown hat ja erst einmal vor allem eine Konsequenz: Die Menschen sind daheim statt im Betrieb. Ob dies die Pandemie-Lage verbessert?
Was meinen Sie?
Hofmann: Wir können feststellen, dass dort, wo in den Betrieben die in Zusammenarbeit mit der Politik entwickelten Hygienemaßnahmen strikt umgesetzt werden, die Infektionszahlen geringer sind als im privaten Umfeld. Aber wir kennen die schwarzen Schafe, nicht nur in der Fleischindustrie. Daher spricht die Faktenlage nicht dafür, die Industrie stillzulegen, um die Zahl der Corona-Ansteckungen zu senken, sondern in aller Konsequenz die Einhaltung der Hygienemaßnahmen durchzusetzen, wo es noch Lücken gibt.