Einsamkeit und Trauer in Pandemie-Zeiten
Krankheiten und der Tod sind schwer zu bewältigen – jetzt noch mehr. Betroffene aus dem Landkreis erzählen
Kranke Menschen und ihre trauernden Angehörigen aus dem Landkreis leiden momentan besonders unter dem Lockdown. »
Landkreis Susanne Kraus aus Dillingen hat schlimme Wochen hinter sich. Ihre Mutter Edith Stegmüller hat erlebt, was es heißt im Lockdown im Krankenhaus zu sein. Ende November 2020 wurde sie wegen akuten Nierenversagens in das St.Elisabeth-Krankenhaus gebracht. Nach einigen Tagen auf der Intensivstation befand sie sich auf der Station für Innere Medizin. Wochen, die für Mutter und Tochter eine Katastrophe waren. „Sie wurde super betreut. Das Personal war sehr nett, aber dass ich sie nicht besuchen konnte, war menschenunwürdig.“Kraus wohnt nur zehn Minuten vom Dillinger Krankenhaus entfernt und doch war das Krankenbett ihrer Mutter unerreichbar. In diese Zeit fiel, trotz des strengen Hygienekonzeptes der Kreisklinik, auch ein Corona-Ausbruch auf einer Station. Die Dillingerin war davon nicht betroffen, doch die Einsamkeit und Ungewissheit, ihre Familie je wieder zu sehen, ließ sie in Depressionen verfallen. Nach dreieinhalb Wochen durfte sie endlich wieder nach Hause, doch die Erleichterung währte nicht lang. Einen Tag vor Heiligabend musste sie bis Neujahr erneut auf die Station. In dieser Zeit habe sie keinen Arzt erreichen können, so Susanne Kraus, die sagt: „Es war furchtbar, nicht sehen zu können, wie es um meine Mutter steht.“
Mittlerweile ist die schwerkranke 87-Jährige wieder zu Hause. Fünf Kinder kümmern sich um sie, unterstützt vom Sozialdienst und der Palliativbetreuung. Kraus will das Virus nicht verharmlosen, doch sie finde es nicht in Ordnung, wenn Menschen aufgrund von Hygienemaßnahmen vereinsamen. „Der Gedanke, dass Mama hätte alleine sterben können“, diesen Gedanken möchte sie gar nicht zu Ende führen. Ihre Mutter sei froh wieder daheim zu sein. Ins Krankenhaus, sagt Edith Stegmüller, wolle sie unter keinen Umständen mehr.
Tanja Link ist Koordinatorin beim Ambulanten Hospizdienst St. Elisabeth in Dillingen und kennt viele Geschichten wie diese. Sie sagt, ihre Arbeit sei mit Beginn der Pandemie schwieriger geworden. Erst seit kurzem könne der Ambulante Hospizdienst wieder ins Krankenhaus. Voraussetzung sei ein negativer Coronatest. Das betreffe jedoch nur die hauptamtlichen Mitarbeiter, die vielen ehrenamtlichen Helfer der Hospizarbeit könnten den Kranken und ihren Angehörigen nicht beistehen. Bis Mitte Dezember 2020 sei es sehr ruhig zugegangen. „Wir dürften unter Auflagen weiterhin arbeiten, aber viele scheinen das nicht zu wissen“, sagt Link, die seit einigen Tagen jedoch einen Trend beobachtet: Die Ambulante Betreuung wird verstärkt nachgefragt. „Viele wollen ihre schwerkranken Angehörigen mit unserer Hilfe von zu Hause aus betreuen.“Auch das sei mit den nötigen Hygienemaßnahmen möglich – zudem dürfen Ehrenamtliche helfen.
Ob der Trend zur Heimpflege nur mit der Pandemie zur erklären ist, kann Link nicht sagen. Was sie weiß: Angehörige stoßen dabei auch ohne Corona-Auflage an ihre Grenzen, schließlich ist Heimpflege eine 24-Stunden-Betreuung. „Es war noch nie einfach, aber ich finde es wunderschön, wenn Menschen das leisten können.“Die Palliativ-Fachkräfte selbst sind in einem Zwiespalt: Sie möchten niemanden ansteund versuchen deshalb, die Auflagen so gut wie möglich umzusetzen, doch der fehlende Körperkontakt mache sich bemerkbar. „Es ist sehr schwer, weinende Angehörigen nicht in den Arm nehmen zu können. Da muss man sich arg ausbremsen“, so Link. Auch für sie seien diese Umstände eine psychische Belastung. Trotzdem ist Link froh, diese wichtige Arbeit auch in Pandemiezeiten ausüben zu dürfen. „Wir erhalten sehr viel positive Rückmeldung von Angehörigen, die froh sind über unsere Unterstützung.“Vor allem ältere Angehörige, die jemanden im Heim oder Krankenhaus besuchen wollen, seien mit den Auflagen überfordert. „Es gibt sehr viele Hürden, die man bewältigen muss, um Heimbesuche zu tätigen.“
Die Pflegeheime bemühten sich wahnsinnig, so Link, doch die Kapazitäten für Abstriche in den Heimen seien sehr gering. „Wenn manche Angehörige nach zwei oder drei Wochen wieder zu Besuch kommen, sind sie schockiert, wie sich die Menschen verändert haben.“Jeder Mensch, der einsam sei, baue ab – sei es im Heim oder Eigenheim.
Sarah Lipp ist die stellvertretende Leiterin des privaten Pflege- und Seniorenheims St. Florian in Höchstädt. Die überschaubare Einrichtung mit 27 Bewohnern nutzt ein Nebengebäude für die vorgeschriebenen, zweimal wöchentlich stattfindenden Corona-Schnelltests der Mitarbeiter. Besucher müssen sich anmelden, Maske tragen und einen negativen Schnelltest vorweisen. „Wir sind normalerweise ein offenes Haus, doch die Bewohner und Angehörigen haben Verständnis“, sagt Lipp. In Notsituationen macht eine geschulte Pflegekraft auch schnell vor Ort einen Schnelltest, sodass die Angehörigen direkt zu ihre Liebsten können.
Die Umstände erschweren laut Lipp das Abschiednehmen, wenn Bewohner im Sterben liegen: „Das ist ein intimer Moment und durch die Maske können die Emotionen schlechter transportiert werden.“Das Pflegeheim versucht zudem Besuche, soweit es geht, auf das Aucken ßengelände zu verlagern. Auf die Einschränkungen reagieren die Pflegeheimbewohner ihrer Einschätzung nach unterschiedlich. „Für diejenigen, die sehr regen Kontakt zu ihren Familien und Bekannten hatten, ist es eine belastende Einschränkung“, erklärt die stellvertretende Heimleiterin.
Sonja Unger koordiniert die Trauerbegleitung der Dillinger Caritas. Viele erkundigten sich nach Hilfe, „weil sie sich nicht richtig verabschieden konnten“, sagt Unger. Doch der wichtige Treffpunkt trauernder Menschen, das Lebenscafé, bleibt weiterhin geschlossen. Einzelgespräche seien weiterhin möglich, doch vor allem Männer würden dieses Angebot nicht in Anspruch nehmen. „In der Gruppe und bei Aktivitäten fällt es ihnen meist leichter, über ihre Trauer zu sprechen“, erklärt Unger, die hofft, dass in der Trauerbegleitung bald wieder Alltag eintreten kann.
Als Seelsorger hat Dillingens Stadtpfarrer Wolfgang Schneck auch in Pandemiezeiten Zugang zu Kranken und Trauernden im Landkreis. Wie tief die Wunden der Trauernden sein müssen, die ihre Angehörigen nicht in ihren letzten Wochen begleiten konnten, könne man gar nicht einschätzen, sagt Pfarrer Schneck, der Trauernden rät, mit den Verstorbenen weiter im Gespräch zu bleiben. „Der Leib mag beerdigt sein, aber die Beziehung bleibt erhalten“, sagt der Seelsorger. Hierbei könne der Glaube eine große Hilfe sein, im Sinne von „wir werden uns wiedersehen“.
Auch bei Beerdigungen ist die Teilnehmeranzahl weiterhin beschränkt. Bis zu 25 Personen aus dem engsten Familienkreis sind erlaubt. Freunde und Arbeitskollegen können sich somit nicht vor Ort verabschieden. Die Beerdigungen finden nur am Grab statt, der Nachruf in der Aussegnungshalle und der Prozessionsgang entfällt. Pfarrer Schneck spricht von einer alternativen Beileidsbekundung: „Ich habe mitbekommen, wie viele Anrufe und Briefe Angehörige erhalten haben.“In den Gottesdiensten kann im größeren Kreis gemeinsam der Verstorbenen gedacht werden. „Eine sehr musikalische Familie wollte bei der Beerdigung unbedingt ein Ständchen spielen. Das ging jedoch nicht. Stattdessen konnten sie im Gottesdienst musizieren“, berichtet Dillingens Stadtpfarrer.